Der Staat, mein Freund

Über die Staatsfixiertheit der Linkspartei. von felix klopotek

Das große Parteien-Ranking, die Zeit, die taz und der Spiegel machen es, und welches Medium nicht damit aufwartet, diskutiert die Fragen in ungezählten Leitartikeln, Kommentaren und Analysen. Was will welche Partei? Steuern runter oder Löhne rauf? Linksruck oder Neokonservatismus? Umverteilung oder Sozialabbau?

Alle diese Oder-Fragen setzen eins voraus: die Vergleichbarkeit der Parteien. Das ist so, weil sie alle kapitalkonform sind, wird man sich am linken Stammtisch denken. Stimmt aber nicht. Kapitalkonform ist noch nicht einmal die FDP. Die FDP ist wirtschaftsfreundlich und will für Maßnahmen sorgen, die »die Wirtschaft« wieder in Schwung bringen. Auch die Linkspartei ist wirtschaftsfreundlich, freilich mit anderen Akzenten als die FDP, und will selbstverständlich auch entsprechende Maßnahmen einleiten. Parteien haben zur Wirtschaft ein äußerliches, wenn man so will nachgeordnetes Verhältnis. Sie sind immer dann zur Stelle, wenn die Wirtschaft nicht mehr weiter weiß, wenn es gilt, die Märkte zu regulieren; das kann über eine Stärkung der Kaufkraft geschehen oder über eine Entlastung der Angebotsseite.

Damit Parteien überhaupt als Regulatoren in Erscheinung treten können, muss aber eine Grundbedingung erfüllt sein: die Bindung an den Staat. Nicht eine Kapital-, sondern eine Staatskonformität macht die Parteien vergleichbar. Sie sind auf das Grundgesetz verpflichtet und auf den Erfolg des Staates nach innen ( Sicherung des sozialen Friedens, Garantie der Reproduktion durch Familien-, Bildungs-, Gesundheits- und Rentenpolitik), wie nach außen (Konkurrenz der Staaten untereinander) ausgerichtet. Sie nehmen an den spezifischen staatspolitischen Prozessen teil, vor allem ist das die parlamentarische Arbeit, und artikulieren ihre Vorstellungen in diesen Prozessen. Eine Partei, die sich dem Procedere vollständig verweigern will, ist entweder keine Partei (und sollte sich auch nicht so nennen) oder leidet an einer verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Was bedeutet das für das Verhältnis der Linksparteien zum Nationalstaat? Allgemein gesagt: Es ist der Nationalstaat samt seinen Aufgaben, Mitteln und Zwecken, der die Parteien definiert und deren prinzipielle Staatsverankerung vorgibt. Nicht umgekehrt. Wer als Linker meint, den Nationalstaat stärken zu müssen – negativ: gegen die vermeintlich zersetzenden Kräfte der Globalisierung, positiv: für den Ausbau des Sozialstaats –, befindet sich nicht in Opposition zu den bürgerlichen Parteien, sondern in einem Konkurrenzverhältnis. Wer kommt den Aufgaben des Staates besser nach, wer kann dessen Mittel geschickter handhaben, wer erreicht die Zwecke schneller und effektiver? Der Staat ist die feste Größe, die linke Politik eine abhängige Variable.

Die Linke irrt, wenn sie den Staat als zumindest halbwegs neutrales Instrument versteht. Sie erkennt an, dass linke Politik, offiziell organisiert in Parteiform, auf den Staat ausgerichtet ist. Es soll die Staatsmacht erobert und der Staat als Hebel für den Aufbau des Sozialismus eingesetzt werden. Der Maßstab ist dabei der Erfolg: Auf welchem Weg und in welchem Ausmaß erobern wir die Staatsmacht? Wer den Erfolgsmaßstab akzeptiert, opfert ihm die Möglichkeit radikaler Kritik. Es ist die Geburtsstunde des faulen Kompromisses.

Wer seine Politik auf den Staat ausrichtet, richtet sie auch auf das Nationale aus. Das Problem ist dann nicht mehr die Lohndrückerei durch eingesetzte Billiglöhner, sondern die Tatsache, dass diese in der Regel ausländisch sind (»Fremdarbeiter«). Wer am Nationalstaat festhält, stärkt zwangsläufig ein Ausschlusskriterium: Man sortiert die Lohnabhängigen nach inländischen und ausländischen; man konstruiert, im Folgeschritt, eine »Inländerfeindlichkeit« wie der Autor Jürgen Elsässer in der Jungen Welt, wo man, klobig zwar, aber immerhin wahr, von einer generellen Arbeiterfeindlichkeit sprechen müsste; man erklärt Antirassismuspolitik zur Minderheitenangelegenheit und spricht nicht mehr über die mannigfaltigen Spaltungen der Arbeiterklasse, die in der Tat fatal sind.

Da macht es auch keinen bedeutenden Unterschied, wenn der Inländerbegriff vom deutschen Blutsrecht unterschieden wird und man die Migranten zu den Inländern zu zählen versucht. Ab wie viel Jahren Aufenthalt ist eigentlich ein Migrant ein Inländer? Und wer darf überhaupt Migrant sein? Wer wird reingelassen, wer muss Illegalität in Kauf nehmen? Akzeptiert man erst mal den Nationalstaat, schafft man sich auch das Szenario einer Bedrohung von außen.

Wer das Problem der Fixierung auf den Nationalstaat allein mit der so genannten Debatte über die »Fremdarbeiter« verknüpft und damit das Problem eindeutig lokalisieren will, redet es klein. Strukturell prägt es auch die Debatte um die bedingungslose Grundsicherung: Wer soll sie bekommen? Na klar, alle, die hier leben. Aber für wen genau gilt das eigentlich? Auch für Wanderarbeiter? Und für Illegale?

Eine nationale Ausrichtung linker Politik bedeutet, Ausschlusskriterien zu übernehmen und anzuwenden, linke Politik in eine staatliche Struktur einzupassen und einem imaginierten Allgemeinwohl unterzuordnen. Wenn es so offensichtlich ist, dass eine Fixierung auf den Nationalstaat, und sei sie auch noch so sehr als »Taktik« ausgegeben oder als Teil eines »Übergangsprogramms« deklariert, zu autoritärer, reaktionärer Politik führt, die mit keinem emphatischen Begriff von Emanzipation zu vereinbaren ist, warum verfängt sie dann? Weil der Nationalstaat bereits da ist und sich als das Konkrete setzt. Er hat doch die Instrumente, mit denen man eine Umverteilungspolitik in Gang setzen könnte, sich ein freizügiges Zuwanderungsgesetz durchsetzen ließe, eine liberalere Drogengesetzgebung beschlossen werden könnte! Warum soll man sie nicht zu nutzen versuchen?

Aber alle staatlichen Wohltaten implizieren eine Gegenleistung, die die Angelegenheit schon in einem weniger rosigen Licht erscheinen lässt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer das Kindergeld erhöhen will, muss damit rechnen, dass die Familienpolitik wieder konservativer wird. Soziale Leistungen sind kein Selbstzweck und auch nicht ausschließlich eine Konzession an einen permanent schwelenden Klassenkampf, sondern dienen zunächst der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion. Was der Staat auf der einen Seite ausgibt, holt er sich auf der anderen wieder rein. Linke Realpolitik bestünde darin, dieses Nullsummenspiel für die Lohnabhängigen, das letztlich nur einen Sieger kennt, eben den Staat, immer wieder aufs Neue unter die Lupe zu nehmen und jede »Wohltat« zum Anlass zu nehmen, nach dem entsprechenden sozialen Antagonismus zu fragen.

Manchmal reicht auch eine einfache Frage: Wenn der Staat ein quasi neutrales Terrain ist, auf dem sich soziale Kämpfe austragen lassen, warum hat dann die Linke immer verloren, wenn sie sich auf den Staat eingelassen hat?