Die Proteste dynamisieren!

Gegen das Hoffen auf die Linkspartei. von peter grottian

Wer zu viel hofft, der sei mit Oskar Lafontaines Traum konfrontiert. Nach allen seinen öffentlichen Bekundungen ist er leicht zu entschlüsseln: Die Linkspartei erreicht 19,8 Prozent bei der Bundestagswahl, die SPD 19,7 und die Grünen erstaunliche 9,2. Schröder tritt zurück, Lafontaine führt die Koalitionsverhandlungen mit Müntefering und Fischer. Er will nur Bundeskanzler werden, wenn dieses Amt mit denen für Auswärtiges sowie Wirtschaft und Finanzen synergieorientiert zusammengelegt wird.

Das Regierungsprogramm ist eine Mischung aus Verbesserungen der Marktrahmenbedingungen, linkskeynesianischen Zukunftsinvestitionsprojekte, einem Mindestlohn von 1 000 Euro und einer Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 400 Euro. In der Regierungserklärung ist ein expliziter Dank an die ostdeutschen Sozialprotestinitiativen formuliert.

Natürlich wird dieser Traum nicht Wirklichkeit, aber er zeigt, dass die bisher erkennbare Linkspartei mit den Zielen der neuen sozialen Bewegungen nicht sehr viel gemein hat. Dabei geht es nicht darum, irgendwelche Menschen von der Wasg oder der Linkspartei zu verteufeln, weil sie sich dem Parteienprojekt verschrieben haben, sondern der linken Hoffnung zu widerstehen, hier würde eine hegemonieträchtige Mehrheitskultur neuen Typs geboren.

Die Gründe, warum die Hofferei enttäuscht werden könnte, sind rasch zusammengetragen. Erstens: Die Programmatik der Linkspartei ist als Gegenentwurf zur Politik der etablierten Parteien auf halbem Weg stehen geblieben. Es ist zwar verdienstvoll, sich für einen vernünftigen Mindestlohn und ein menschenwürdiges Grundeinkommen einzusetzen und für ein milliardenschweres kommunales Investitionsprogramm zu streiten, aber wer sich so nebulös zur solidarischen Arbeitszeitverkürzung äußert, die Geschlechterdemokratie nur symbolisch anstrebt und keine die Menschen inspirierende Vorstellung von gesellschaftlich sinnvoller Arbeit, die auch gesellschaftlich bezahlt wird, zu entwickeln vermag, der wird die Menschen kaum gewinnen. Da sind die sozialen Protestinitiativen viel radikaler und konsequenter in ihrer Forderung nach der Teilabschaffung des Verwahrungswahnsinns der Bundesagentur für Arbeit und der Umschichtung ihrer Mittel für sinnvolle Arbeitsplätze.

Zweitens: Das Führungspersonal der Linkspartei streichelt zwar die sozialen Protestinitiativen, hat aber für eine echte Kooperation keinen Nerv. Lafontaine und Gysi in Verbindung mit neuen sozialen Bewegungen – das ist wohl ein Irrtum. Lange ist es her, dass Lafontaine in Mutlangen gegen die Nachrüstung Raketensilos blockierte (1983) oder das hohe Lied des solidarischen Umverteilens sang (1978). Und ein wirkliches Engagement Gysis im Rahmen der Sozialproteste ist nicht wahrnehmbar. Er hat es mit der PDS gehalten: Die sozialen Proteste wurden bis zu den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg unterstützt, dann wurde, von Ausnahmen abgesehen, die infrastrukturelle Hilfe weitgehend eingestellt. Pragmatische Instrumentalisierung ließe sich das freundlich nennen. Aber auch die Durchsicht der aussichtsreichsten Listenplätze der Linkspartei verheißt für die Kooperation nichts Gutes. Von zwei bis drei Ausnahmen abgesehen, handelt es sich um bewegungsresistentes Personal.

Drittens: Die Linkspartei wird zunächst mehr Interesse an sich selbst zeigen, als sich überhaupt auf neue soziale Bewegungen einzulassen. Es spricht einiges dafür, dass nach der Wahl der Vereinigungsprozess von Wasg und Linkspartei einen Großteil der Kräfte binden wird. Lafontaine zu bändigen, wird ein Sonderprojekt werden müssen, will man nicht erneut zulassen, dass »Gregor und ich die Partei führen«.

Die sozialen Protestinitiativen müssen selbst ihre außerparlamentarische Kraft wieder entfalten, gegen die herrschenden Parteien, aber auch als Schienbeintreter gegen die Linkspartei. Einen ersten Test dazu wird es am 5. September geben, beim Protesttag unter dem Titel »Hartzschluss«, der auf dem Sozialforum in Erfurt vereinbart wurde. An diesem Tag soll in 20 bis 30 Städten der Sozialprotest erneuert werden: mit Instandsetzung von Arbeitsplätzen, neuen Demonstrationsformen und der Schließung von Arbeitsagenturen. Das Schielen auf die Linkspartei ist keine Politik. Die sozialen Protestinitiativen müssen ihre erfolgreichen Proteste dynamisieren.

Der Autor ist Hochschullehrer für Politikwissenschaften und Mitglied des Berliner Sozialforums.