Die wollen was

Das Wählermilieu der Linkspartei von richard gebhardt

Was für eine sensationelle Entdeckung: die Wähler der Linkspartei sind in Wirklichkeit verkappte Rechte! Zum Beleg verweist der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer in der Süddeutschen Zeitung auf die aktuellen Ergebnisse seiner Langzeitstudie mit dem Titel »Deutsche Zustände«. Das linke Wählerpotenzial strebe keineswegs emanzipatorische Ziele an. Vielmehr sei dort eine Abwehr gegenüber schwächeren Gruppen und ein »deutlicher Hang zu autoritären Mustern« anzutreffen.

»Verunsicherte Menschen suchen Halt, kein Konzept«, zitiert ihn die Zeitung und vergleicht die Politik Oskar Lafontaines mit der Demagogie der NPD. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die auch im Ruf nach einer großen Koalition eine »Sehnsucht nach Führung« entdeckt, sekundiert mit der Feststellung, der umjubelte Führer des deutschen Arbeitsvolks kämpfe für ein »künftiges nationales und sozialistisches Deutschland«. Schicksalswahl 2005: Heißt es statt »Avanti popolo!« also doch nur: »Oskar befiehl, wir folgen dir«?

Mit Lafontaine macht sich ein Angehöriger der nationalen Elite zum Fürsprecher der »fleißigen deutschen Arbeitnehmer«, der Rentner und Arbeitslosen, denen die politische Stimme fehle. Sein sprichwörtlicher »Mann auf der Straße« taugt aber nicht recht als Projektionsfläche für kühne Träume vom endlich aufbegehrenden Proletariat. Unter heutigen Bedingungen treffen die in der Wasg versammelte westliche Gewerkschaftslinke und die »Kümmererpartei« PDS auf eine widersprüchliche, bisweilen auch rechts orientierte Klientel, welche sich nicht zuletzt von Gysis »Ostkompetenz« und Lafontaines Angriff auf die Berliner »Schandgesetze« angesprochen fühlt.

Im Zentrum »linker Politik« steht für dieses Milieu die soziale Sicherheit, d.h. ein festes Einkommen, Aufstiegschancen und Konsum. Nicht die »freie Assoziation freier Individuen« (Karl Marx) und offene Grenzen für alle, sondern eine gesicherte Existenz unter der schützenden Hand des Nationalstaates ist der Wunsch dieser potenziellen Wähler der Linkspartei.

In Gewerkschaftskreisen wird bereits seit Jahren darüber diskutiert, dass der »Stamm« der deutschen Arbeiterbewegung, der seiner Herkunft nach deutsche männliche Facharbeiter der Deutschland AG, keinesfalls resistent ist gegen rechte Einstellungen. Diese richten sich im Konkurrenzverhältnis nicht nur gegen »die Reichen«, sondern ebenso gegen unerwünschte »Fremdarbeiter« und ihr Drängen auf »deutsche« Arbeitsplätze. Studien beziffern ausgeprägte rechte Einstellungen unter rund 20 Prozent der Gewerkschaftsmitgliedern.

Heitmeyers Ergebnisse aber werden so präsentiert, als seien sie für das gesamte soziokulturelle Milieu der linken Wahlallianz gültig. Auch der notwendige Protest gegen Kürzungen im Sozialsystem wird vielfach als naive »Sozialromantik« einiger Frustrierter denunziert.

Die größte Zustimmung erhalten die Linkspartei und die Wasg jedoch nicht von den Unterschichten, den Underdogs der Großstädte. Ihre Wählerschaft dürfte nicht zuletzt die einstige Kernbelegschaft des Fordismus sein. Und diese hat Heimweh nach der alten Republik, die Gysi und Lafontaine im Namen des Volkes beschwören. Mit dem Begriff des »Volkes« verwenden die Prominenten der Linkspartei eine Kategorie, die die realen Gegensätze der Klassengesellschaft verschleiert und in Deutschland zudem immer mit »Blut und Boden« verbunden wurde. Linke Politik wäre heute, auch gegen die im eigenen Umfeld verbreiteten Ressentiments zu kämpfen, statt vorrangig als sozialpolitischer Flügel der Deutschland AG aufzutreten.