Jenseits aller Parteien

Die Zapatisten wollen mit der mexikanischen Linken ein nicht auf Wahlen ausgerichtetes Aktionsprogramm erarbeiten. Im lakandonischen Urwald haben die ersten Debatten begonnen. von miriam lang

Die Einladung richtet sich an alle politischen und sozialen Organisationen und an Einzelpersonen der mexikanischen Linken, die bereit sind, das Land zugunsten der Unterprivilegierten zu verändern – und zwar jenseits der Hoffnung darauf, dass im kommenden Jahr ein neuer Präsident die Regierung übernehmen könnte. La otra campaña, »die andere Kampagne« oder auch »der andere Wahlkampf«, so lautet das Motto der neuen politischen Initiative der EZLN, die sie mit der »Sechsten Erklärung aus dem lakandonischen Urwald« bereits im Juni eingeleitet hat.

Am 6. August begannen die Diskussionsrunden. Nach dem Abschluss der auf sechs Wochenenden angelegten Vorgespräche soll eine Delegation, die sich aus einem Teil der EZLN-Führung sowie VertreterInnen anderer linker Organisationen zusammensetzt, durchs ganze Land reisen, um direkte Gespräche mit denjenigen zu führen, die durch die neoliberale Umstrukturierung benachteiligt werden. Das Ziel der Initiative ist es, ein gemeinsames, nicht auf Wahlen ausgerichtetes Aktionsprogramm für die mexikanische Linke sowie eine neue Verfassung zu erarbeiten.

ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen, StadtteilaktivistInnen, Schwule und Lesben, FeministInnen, Jugendliche, Nichtregierungsorganisationen – alle sind zum Mitmachen eingeladen, solange sie keiner eingetragenen politischen Partei angehören. Denn die Rebellen wollen, wie schon seit ihrem Aufstand von 1994, eine »andere Politik« von unten entwickeln, für die sie nun wieder Verbündete suchen.

Doch während beim Demokratischen Nationalkonvent vom Juni 1994 die Sympathisanten des damaligen PRD-Spitzenkandidaten Cuauhtémoc Cárdenas explizit eingeladen waren, sich an der neu zu schaffenden linken Front zu beteiligen, sind heute alle, die der Partei der Demokratischen Revolution angehören und deren Hoffnungsträger Andrés Manuel López Obrador unterstützen, bei den ZapatistInnen unerwünscht.

Ihre Absage richtet sich allerdings nicht nur an diese linksliberale Partei, sondern an die gesamte politische Klasse Mexikos und ausnahmslos alle Parteien. Die EZLN hat diese Position bereits am 1. Januar 2003 formuliert, nachdem 2001 ihr Versuch gescheitert war, mit einem »Marsch der indigenen Würde« die Verabschiedung einer Verfassungsänderung durchzusetzen, die den indigenen Gruppen Mexikos weitgehende Autonomierechte garantieren sollte. Anstatt die Verträge von San Andrés, die die EZLN nach Friedensverhandlungen mit der Regierung im Jahr 1996 unterzeichnet hatte, in Gesetzesform zu gießen, hatten die Parlamentarier den indígenas bloß das Recht auf kulturelle Differenz zugestanden. Für dieses Gesetz stimmte auch ein Teil der PRD-Fraktion, obwohl diese Partei programmatisch für die Umsetzung der Verträge von San Andrés stand.

»Wir wollen ehrlich sein«, sagte der EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos deshalb am 6. August. »Vor 12 Jahren haben wir gesagt, dass wir an den PRD glaubten, aber wir haben uns geirrt, als wir dachten, diese Leute würden konsequent mit dem sein, was sie sagten. Sie sind nicht konsequent, und wir werden denselben Fehler nicht noch einmal machen. Der PRD hat uns geringschätzig behandelt, und dafür wird er bezahlen.«

Die Feindschaft der ZapatistInnen gegenüber dem PRD hat sich in den letzten Jahren immer weiter zugespitzt. Am 10. April 2004 wurde in Chiapas eine Demonstration der zapatistischen Basis von Paramilitärs, die dem PRD angehörten, in einen Hinterhalt gelockt und scharf beschossen, mehr als 30 Menschen wurden verletzt.

In diesem Frühjahr dann leiteten die Konservativen aus fadenscheinigen Gründen ein Amtsenthebungsverfahren gegen den PRD-Hauptstadtbürgermeister López Obrador ein, um ihn vorzeitig aus dem Rennen um die Präsidentschaft zu nehmen. Die Intrige hat seine Popularität extrem gesteigert. Während hunderttausende MexikanerInnen für ihren Helden »Amlo« auf die Straße gingen, versuchte die EZLN, das letztlich gescheiterte Amtsenthebungsverfahren zu entpersonalisieren und als eine prinzipielle Frage von Demokratie und politischer Kultur zu thematisieren. Amlos Wahlsieg gilt als wahrscheinlich, und umso wichtiger ist es den ZapatistInnen, gesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren, die den PRD-Mann von links unter Druck setzen können. Denn sie halten ihn in erster Linie für einen populistischen Modernisierer, der einmal mehr die Interessen der Unterschichten verraten wird: »López Obrador will das Paradigma der neoliberalen Neuordnung sein«, urteilt Marcos in einem Kommuniqué vom 20. Juni.

In der PRD-Führung nimmt man die erklärte Feindschaft der ZapatistInnen gelassen. Der Generalsekretär, Acosta Naranjo, sagte: »Hier liegt ein Irrtum vor. Weder Marcos noch die EZLN sind unsere Feinde.«

319 Organisationen aus ganz Mexiko sowie 636 Einzelpersonen haben sich der EZLN zufolge mit den Vorschlägen der »Sechsten Erklärung« per E-Mail einverstanden erklärt, dagegen sollen lediglich drei kritische Statements eingegangen sein. Zum ersten Diskussionswochenende, das »politischen Organisationen« vorbehalten war, reisten Delegierte von 32 Gruppen nach Chiapas. Von zapatistischer Seite waren Presseberichten zufolge neben Marcos lediglich Comandantas und Comandantes aus der eigens geschaffenen Comisión Sexta an den Gesprächen beteiligt. Inhaltlich dominierte die Distanzierung der EZLN von López Obrador.

Am 12. und 13. August sind indianische Organisationen an der Reihe, deren wichtigste im Lande, der Congreso Nacional Indígena, bereits seine Zustimmung zur »anderen Kampagne« signalisiert hat. In den folgenden Wochen sollen dann soziale und Nichtregierungsorganisationen kommen. An die internationale Solidaritätsbewegung richtete sich unterdessen die Ankündigung, um den Jahreswechsel herum ein neues Intergalaktisches Treffen an einem bisher nicht präzisierten Ort abzuhalten.

Mitte Juni sorgte die EZLN mit der Ausrufung der »Alarmstufe rot« für Unruhe (Jungle World, 26/05). Alle Aktivitäten der fünf regionalen Autonomieregierungen wurden in den Untergrund verlegt, MenschenrechtsbeobachterInnen und NichtzapatistInnen sollten das EZLN-Territorium verlassen. Dieser Ausnahmezustand wurde später damit begründet, dass die Durchführung einer internen Umfrage an der Basis abgesichert werden musste, in der diese über die politische Strategie abstimmen sollte. Die Regierungstruppen hatten im Jahr 1995 eine solche Umfrage für eine Offensive genutzt.

Offensichtlich, so geht aus einem Kommuniqué hervor, wurde in Vollversammlungen von über 1 000 Gemeinden über den Text der »Sechsten Erklärung« abgestimmt. Inwieweit jedoch Alternativvorschläge möglich waren, oder wie die zapatistische Basis auf die Abstimmung vorbereitet wurde, ist nicht bekannt. Am 26. Juni wurde bekannt gegeben, dass über 98 Prozent der zapatistischen Basis sich für die von der Leitung vorgeschlagene Initiative ausgesprochen hätten, eine Erfolgsmeldung, die eigentümlich an Wahlen im realsozialistischen Kontext erinnert. Inzwischen gilt die »Alarmstufe rot« nur noch für die zapatistischen Truppen, während die zivilen Autonomiebehörden ihre reguläre Arbeit wieder aufgenommen haben.