Kritik im Sommerloch

In der vorigen Woche fand in Göttingen die Attac-Sommerakademie statt. jan langehein hat sich dort umgesehen

Es war nicht viel an sommerlicher Atmosphäre, was Göttingen den Globalisierungskritikern zu bieten hatte, die in der vergangenen Woche zur Attac-Sommerakademie in der Universitätsstadt zusammenkamen. Die Veranstalter hatten sich mit dem Zweckbau eines Gymnasiums aus den siebziger Jahren und der schwarzen Schotterfläche des Schützenplatzes ohnehin öde Orte ausgesucht, der dauerhaft bleigraue Himmel über der Stadt machte auch noch dem letzten Rest an sommerlichem Gefühl den Garaus. Das Zelten in den Leine-Auen neben dem Veranstaltungsort muss bei Nachttemperaturen von gut zehn Grad recht unbequem gewesen sein, und die Gesprächsatmosphäre im eigens errichteten Zirkuszelt auf dem Schützenplatz hat unter den regelmäßig niederprasselnden Regenschauern deutlich gelitten.

Der Pressesprecher von Attac, Malte Kreutzfeldt, hielt Göttingen im August 2005 trotzdem für einen besonders geeigneten Ort, um eine Attac-Akademie abzuhalten. Er lobte die politische und akademische Tradition der Stadt und hob die guten Beziehungen zu seiner Organisation hervor. Der Rat der Stadt hatte sich im Jahr 2003 mit einer Mehrheit von SPD, Grünen und PDS mit Attac solidarisiert und so in der CDU die Sorge hervorgerufen, dass die vermeintlichen Steineschmeißer von Genua demnächst in Göttingen mitregieren könnten.

Abgesehen von diesem ebenso pressewirksamen wie politisch folgenlosen Ereignis ist Attac in Göttingen jedoch eine Randerscheinung geblieben, auch auf der Sommerakademie lässt sich die lokale Politszene kaum blicken. Die meisten Teilnehmer reisten von außerhalb an, insgesamt fanden sich nach Angaben der Organisatoren 500 Menschen in Göttingen ein. Diese erwartete dann, verteilt über fünf Tage, ein erschöpfendes Angebot von rund 120 Veranstaltungen. Viele davon hatten rein praktischen Nutzen für den angehenden Aktivisten gegen das, was Attac die »neoliberale Globalisierung« nennt. Es gab Lehrveranstaltungen zu Fragen wie: »Wie organisiere ich eine politische Kampagne«. Schnupperkurse unter dem Motto »Deine lokale Attac-Gruppe stellt sich vor« machten einen Gutteil des Programms aus.

Inhaltlich konnten sich die Gäste über die Funktionsweise der Welthandelsorganisation (WTO) informieren und echauffieren, sich von der angenommenen segensreichen Wirkung globaler Steuern für den Trikont überzeugen lassen oder über Armut wegen Hartz IV diskutieren. Kurz: Niemand, der schon einmal von Attac gehört hatte, wurde von den Angeboten überrascht. Lernziel der Sommerakademie war die bekannte Botschaft, dass eine andere Welt möglich sei – und zwar durch Steuererhöhungen und aktive Wirtschaftspolitik.

Die Attraktivität dieses in seinem Kern erzsozialdemokratischen Programms scheint in der rebellischen Attitüde zu liegen, in der es vorgetragen wird. Nichts von dem, was an gesellschaftskritischen Themen besprochen wurde, verließ den staatstragenden Rahmen, und trotzdem umgibt sich Attac mit dem Flair der Dissidenz. Alles ist eine Frage der Form, nicht des Inhalts.

Deutlich wurde dies vor allem an der Diskussion über die bevorstehende Bundestagswahl. In der Linkspartei findet Attac viele eigene Einstellungen wieder, andererseits widerspricht die Bewerbung fürs Mitregieren dem eigenen Verständnis als außerparlamentarische Opposition. In diesem Spannungsverhältnis entstand eine Debatte über die Dialektik von sozialer Bewegung und politischer Partei, die ähnlich auch schon anlässlich der Parteiwerdung der Grünen um 1980 herum geführt wurde. Der Unterschied besteht allerdings in der geringeren gesellschaftliche Relevanz der Bewegung heute.

Als das Plenum der Sommerakademie das Thema Linkspartei im Zirkuszelt diskutierte, fand sich niemand, der sich für eine Unterstützung der Partei im Wahlkampf aussprechen wollte. Viele trieb aber die Faszination der derzeitigen Umfrageergebnisse um, von denen sich Attac gern ein Stück anrechnen lassen möchte. »Ohne die Bewegung wäre der Erfolg der Partei nicht möglich gewesen«, sagte Pedram Shahyar vom Attac-Koordinierungskreis. Ohne die Vorarbeit der Globalisierungskritiker, ohne die Proteste gegen Hartz IV im vergangenen Jahr gebe es heute keine linke Wahlpartei mit realen Erfolgsaussichten.

Trotzdem dürfe man die Partei und die Bewegung auch nicht als Einheit betrachten. Parteien spiegelten letztlich in Struktur und Funktionsweise die herrschenden Verhältnisse wider. »Die Bewegung wird dagegen von dem emanzipatorischen Wunsch getragen, eine andere Welt zu schaffen«, glaubt Ahahyar. Die Antwort auf die Frage, warum die globalisierungskritischen Anhänger der anderen Welt trotz derartiger Widersprüche so viele Übereinstimmungen mit der Linkspartei haben, blieb er jedoch schuldig.

Aus seiner Analyse leitete Shahyar die Schlussfolgerung ab, die Linkspartei zwar nicht direkt mit Wahlempfehlungen zu unterstützen, trotzdem aber die Gemeinsamkeiten zu nutzen. Dies scheint der Konsens zu sein, auf den man sich bei Attac einigen kann. Ein Diskutant aus dem Publikum fasste es so zusammen: »Wir müssen versuchen, der Partei solidarisch in den Arsch zu treten und sie als Instrument zu benutzen.« Das aber hatten die sozialen Bewegungen der siebziger Jahre mit den Grünen bekanntlich auch vor.

Es gab nur wenige im Saal, die eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei kategorisch ablehnten. Ein Hauch von grundsätzlicher Parlamentarismuskritik wurde spürbar, als Werner Rätz, wie Shahyar vom Attac-Koordinierungskreis, sich weigerte, Oskar Lafontaine als eine Art kleines Übel zu betrachten, das die fortschrittlichen Kräfte der Linkspartei eben hinnehmen müssten. Wenn man schon Parlamentarismus betreiben wolle, dann müsse man dies auch richtig tun und kein Projekt ins Leben rufen, das ohnehin an der Fünfprozenthürde scheitere. »Wenn man als Partei Erfolg haben will, braucht man Leute wie Lafontaine«, sagte Rätz. »Deshalb sollte man das auch besser bleiben lassen.«

Ungeachtet solch kritischer Stimmen hat die reale Zusammenarbeit von Attac und Linkspartei bereits begonnen. Klaus Rainer Rupp etwa, der Finanzrefrent von Attac, ist zugleich Vorsitzender der Linkspartei in Bremen und will als Spitzenkandidat auf der dortigen Landesliste in den Bundestag einziehen. »Es ist kein Widerspruch, sich konkret gegen Hartz IV einzusetzen und gleichzeitig eine andere Welt zu wollen«, sagt Rupp. »Ich will eine Gesellschaft, in der die Menschen nicht mehr vom Finanzkapital beherrscht werden«.

Bei aller Skepsis, die viele Mitglieder von Attac der Linkspartei derzeit noch entgegenbringen, scheint sich die Geschichte der sozialen Bewegungen der alten Bundesrepublik mit der Antiglobalisierungsbewegung zu wiederholen. Angefangen mit Protesten auf der Straße, führt der Weg sie jetzt in die Parlamente und damit zur Anpassung an das ungeliebte System. Doch die Kritik von Attac hatte schon immer einen Haken. Wenn die Vorstellung einer anderen Welt in neuen Steuern und dem Kampf gegen das »Finanzkapital« besteht, richtet die Domestizierung durch Plenarsitzungen und Hammelsprung auch keinen Schaden mehr an.