Live Stream der Emigranten

platte buch

»Things. Places. Years« ist ein bemerkenswertes Buch, und das geht gleich mit dem klaren, minimalistisch gestalteten Cover los. Rote Schrift auf weißem Grund, kein Bildmotiv. Der Umschlag erinnert an die schönen Rave-Bücher von Rainald Goetz aus dem Suhrkamp Verlag und gibt nicht den kleinsten Hinweis darauf, worum es in dem von Klub Zwei – das sind die beiden Wiener Künstlerinnen Simone Bader und Jo Schmeiser – herausgegebenen Band eigentlich geht. Um Clubkultur vielleicht, Architekturtheorie oder Visual Arts? Nein, um Erfahrungen von Vertreibung, Emigration, Verfolgung und den Holocaust. Auf 400 Seiten dokumentiert der Band zwölf in London entstandene Interviews mit jüdischen Frauen der ersten Generation, die 1938 aus Österreich fliehen konnten, und der zweiten und dritten, bereits in Großbritannien geborenen Töchter- und Enkelgeneration.

Geführt wurden die Interviews zumeist im Jahr 2001 und durch weitere Gespräche aus 2003 ergänzt, wobei die späteren Aussagen von einem gewandelten Klima zeugen. Ruth Rosenfelder, eine 1942 in London geborene Musikwissenschaftlerin, die über die weibliche Gesangsstimme in der orthodoxen Jüdischen Gemeinde promoviert hat, sagt: »In den letzten zwei, drei Jahren hat sich in England, was das Jüdisch-Sein betrifft, eine drastische Veränderung vollzogen. (…) Es ist cool, anti-jüdisch zu sein, und anti-zionistisch sowieso.«

Die biografischen Erzählungen wurden nicht chronologisch, sondern nach Themen wie »Holocaust«, »Geschlechter«, »Bücher«, »Identitäten«, »Sprachen«, »Israel« gegliedert. Daraus ergibt sich ein vielstimmiger Redestrom jüdischer Frauen aus drei Generationen.

Das Buch ist der intelligente Versuch, die Wahrnehmung von NS-Geschichte als abgeschlossenem Kapitel zu verändern und ihre Gegenwärtigkeit in den Biografien der Emigranten und ihrer Kinder aufzuzeigen. Insofern ist auch das hübsch-trendige Cover ein angemessenes politisches Statement.

heike runge

Klub zwei: Things. Places. Years. Das Wissen jüdischer Frauen. Studienverlag, Wien 2005, 395 S., 34,90 Euro