Das coole Wissen

Vor 25 Jahren wurde die Spex gegründet. Sie gab vor, was man kaufen, hören, lesen musste. von jörg sundermeier

Anfang der achtziger Jahre war die Spex eine Zeitschrift von ausgemachten Arschlöchern für ausgemachte Arschlöcher. Jeder, der Studierende und ihren Habitus hasste, sah das so; jeder, der angewidert war von seinen kumpelhaften SPD-wählenden Lehrern und von den Ortsvorsitzenden der Jungen Union; jeder, der nicht in Köln, Hamburg, Düsseldorf, West-Berlin oder Frankfurt wohnte und nicht die hippe Szenebuchhandlung, die angesagte Galerie oder den legendären Plattenladen um die Ecke hatte. Die Spex aber redete immer von dem mordsseltenen Zeug, das man sich besorgen musste via Zickzack-Mailorder, das man auf Kurzurlauben in den Städten kaufen musste, redete von aufregenden Konzerten, die in Siegen, Konstanz, Bielefeld und Krefeld nie stattfanden, redete aufgeregt von Dingen, die es ausschließlich in New York, Tokio oder wenigstens Antwerpen gab.

Bücher des März-Verlages wurden empfohlen, die man nur in sehr guten Antiquariaten fand, Kataloge, die sich niemand leisten konnte, wurden zur Pflichtlektüre erklärt. Arschlöcher halt, Söhne und Töchter just jener verhassten SPD-Lehrer, Leute, die das dicke Taschengeld hatten und irgendwie den Riecher für das, was dann bald schwer angesagt, man sagte damals: »wichtig« wurde.

Das war das coole Wissen. In der Spex-Redaktion machte man mit Rainald Goetz, dem verrückten Mediziner aus München, rum, der damals gerade bei Suhrkamp debütierte, mit Martin Kippenberger, der ein bisschen im SO36 aufgetreten war und danach genialisch-betrunken durch die Welt jettete, in der Spex-Redaktion war man mit den Musikerinnen und Musikern bekannt bis verwandt, mit den Labels verschwägert. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch, der einige Jahre zuvor das Wort Pop nicht einmal denken konnte, produzierte man merkwürdige, hochnervöse, zeitgemäße Bücher, die alle lesen mussten, auch diejenigen, die die Spex-Redaktion und ihre Zeitschrift abgrundtief hassten.

Dann immer die heimlichen Co-Autoren, Conny aus Darmstadt und Sebastian aus Bielefeld, deren Briefe allerdings immer gut weggeputzt wurden von der Redaktion. Damals stand in der Zeitschrift, was wir alle ein paar Monate später kaufen mussten, Pavement war auf dem Cover, als niemand davon wissen wollte, und die Ausgabe, in der erstmals eine geschäftstüchtige Discoqueen aus New York auftauchte, die man ein paar Monate später verzweifelt zu ignorieren versuchte, Madonna nämlich, wurde in der Spalte, in der man alte Ausgaben bestellen konnte, immer beworben mit dem Satz: »First appearance in der Weltpresse«. Diesen Satz zitieren in die Jahre gekommene Musikjournalisten noch immer gerne, während sie ihre Enkel vom Schoß schubsen; er soll den Stammtischnachbarn signalisieren, dass man dabei war, mitgemacht hat, was weiß ich.

Cooles Wissen funktionierte immer über Codes, und Spex war die Zeitschrift, die das Wissen und die Codes vermittelte. Man glaubte ihr. In der konkret beschäftigte man Diederichsen einige Zeit als Popsachverständigen, die taz fragte mal schüchtern nach Beiträgen. Nach getaner Arbeit ließ sich die Redaktion dann gern im Kölner »Sixpack« anhimmeln, während irgendwelche Kumpels von Kumpeln versuchten, an den Plattentellern mit möglichst originellen Kombinationen von Unverträglichem ihre eigene Schlauheit zu demonstrieren. In dieser Zeit, die spätestens 1995 endgültig vorbei war, war die Spex etwas Besonderes, in vielen Kinderzimmern lagen die Hefte sorgfältig gestapelt in einem Sperrholzregal, das damals noch eher selten von Ikea stammte. Nicht umsonst hatte die Spex sogar zeitweilig einen eigenen Buchshop, einfach, weil man das Meisterwerk aus den USA, über das alle schrieben, nicht in Deutschland kaufen konnte. Dazu füllte man eine Postkarte aus, wartete eine Woche und bekam schließlich den Punkroman geliefert, von dem nicht mal die Freundinnen und Freunde in den USA wussten, wenn man denn Kontakt dorthin hatte.

Es war die Zeit vor dem Internet, die Zeit vor den Ich-AGs, vor der Flexibilität und vor der Ideologie des Erfolgs, die Zeit mithin, in der sich noch Lesezirkel bildeten, in der alle aus einer Clique dieselben Magazine und Zeitungen lasen, in der es in den tollen Cafés zum guten Ton gehörte, dass Süddeutsche und Kicker, Vogue, UZ und Spex rumlagen.

Seit Anfang der Neunziger aber haben sich die Szenen diversifiziert, zwischen Grufties und Rockern gab es zunächst wenige Überschneidungen, zwischen Indiepoppern und Technofanatikern keine mehr. Autoren wie Jürgen Laarmann und Sascha Kösch wurden in der Spex nicht verstanden, die frühe Love Parade wurde mit Skepsis und großer Distanz betrachtet, der Erfolg von Goethes Erben ignoriert, Metallica, Erasure oder Billy Childish wurden einfach vergessen. Spex, die Zeitschrift, die das coole Wissen für alle bot, verlor zunächst seine heißblütigsten Leserinnen und Leser, die sich in eigenen kleinen Subszenen zusammenschlossen, in Panik über die Angriffe jener repressiven Toleranz, die sich auch den so genannten Underground zu eigen machte. Diese Subszenen rieben sich dann bald auf, bis sie kleine Sekten waren, die ihre eigenen Fanzines brauchten, da kaum jemand außerhalb der Szenen über genug Spezialistentum verfügte.

Der Gag, mit dem die Sex Pistols den Musikmarkt aufrollten, war von der Musikindustrie nach einigem Zögern nicht nur verstanden worden, man wandte ihn nun auch permanent selbst an, heute wissen selbst Branchenkennerinnen und -kenner nicht immer, welches Label gerade einem Konzern gehört und welches nicht.

Mit dem Absplittern der Szenen büßte das Magazin für »Musik zur Zeit«, wie sich die Spex damals nannte, seinen Informationsvorsprung ein, Ermüdung setzte ein. Eine Organisation wie das SPK, die ein paar Jahre zuvor außer in der Spex nur in gutsortierten linken Buchläden bekannt war und schon deshalb als interessant galt, kannte plötzlich keiner mehr. Ein Begriff wie »Erfolg«, für den man vorher leserbriefhaufenweise ausgebuht worden wäre, wurde plötzlich zu einem wichtigen Kriterium für gute Musik gemacht.

Das lag nicht nur an der Spex. Konkurrierenden, wenngleich der Spex freundschaftlich verbundenen Publikationen wie Glasz, Die Beute, Heaven Sent oder 17°C erging es ähnlich, die Magazine Intro oder Visions, die die Spex nicht selten halbherzig imitierten und ihren Verlagen dabei größeren Gewinn brachten, ist ebenfalls die Legitimation aus den »Szenen« abhanden gekommen. Heute hört man melancholisch Nirvana und Madness, lädt sich Furzklingeltöne aufs Handy, freut sich aufgeregt auf die nächste DVD von Rage Against The Machine und wählt FDP. Man hat den coolen Punk-Bildband, den obskuren Comic und Dieter Bohlens Machwerke im Buchregal und hält Google für ein großes Lexikon.

Wenn sich jedoch eine Generation oder Szene nicht mehr darauf einigen kann, wogegen man sich eigentich wehren muss, kann man sein Publikum weder provozieren noch schockieren, kann es weder führen noch abstoßen. Die Spex, die heute ohne cooles Wissen auskommt, vielleicht auch auskommen muss, ist eine ganz normale Musikgazette geworden. »Demokratisierungsprozess« nennt man das manchmal, meistens herablassend.