Ehre sei den Frustrierten

Stoiber und die Ostdeutschen von thomas blum

Nun ist es überhaupt nicht neu, sondern vielmehr in der zivilisierten Welt seit langem allerorts bekannt, dass man es bei dem Volksstamm der sich selbst so nennenden Ostdeutschen weder mit der reizendsten noch mit der klügsten Sorte Mensch zu tun hat. Das darf man aber nicht sagen, sonst beschweren sie sich wieder wochenlang. Das tun sie immer, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Wenn man sie hingegen anlügt, jubeln sie. Das weiß man spätestens seit 1989, als ein völlig übergeschnapptes, hysterisches Kollektiv der ganzen Weltöffentlichkeit freimütig demonstrierte, dass es jederzeit dazu bereit ist, den Verstand auszuknipsen, solange man ihm den Willen lässt, fanatisch »Helmut!« oder »Deutschland!« zu brüllen und eine Fahne zu schwenken.

Heute aber wird der Ostdeutsche seltsamerweise nur ungern daran erinnert, dass er noch vor wenigen Jahren nichts lieber zu sein wünschte als »ein Volk«. Insofern – um es freundlich zu formulieren – ist der Ostdeutsche nicht unbedingt erträglicher als der Westdeutsche. Beide führen einen inoffiziellen Wettbewerb darum, wer die unangenehmeren Wesenszüge aufweisen kann, beide legen nach aller Erfahrung den größten Wert darauf, primär als Angehörige eines national definierten Menschenhaufens wahrgenommen zu werden und nicht als Individuen. Und beide geben keine Ruhe, solange man ihnen nicht fortwährend bestätigt, gutwillige, kooperative und verlässliche Deutsche zu sein.

Als Edmund Stoiber vor kurzem den Ostdeutschen überraschend ein wunderschönes Kompliment machte und sie als separatistisch gesonnene und unbotmäßige »Frustrierte« adelte, in deren Hände man keinesfalls das »Schicksal Deutschlands« legen dürfe, schrie die Meute blindwütig auf und kapierte wie so oft wieder einmal überhaupt nichts.

Statt sich, wie es jeder halbwegs mit Verstand gesegnete Mensch getan hätte, haltlos zu freuen, dass man von einem Politiker nicht länger als williges Stimmvieh und gedankenlose Trottelgemeinde wahrgenommen wird, dass der permanente Deutschland-, Zukunfts- und Optimismusterror für Sekunden außer Kraft war, dass sich einer anscheinend wirklich aufregte (»Ja seid ihr denn verrückt geworden?«), jaulte der Ostdeutsche beleidigt auf, denn er fühlte sich empfindlich getroffen in dem, was ihm neben seinem Kleinbürgerrassismus und seiner Schrebergartenweltanschauung das Liebste ist, seiner uneingeschränkten Mitmachmentalität, wenn es um sein Glaubensbekenntnis geht: Deutschland.

Dann ging die Ostdeutschlandleier los: Wir sind nicht frustriert, uns kann man Deutschland anvertrauen, wir leisten viel für Deutschland, wir sind genauso deutsch wie ihr, wenn nicht gar deutscher. Blablabla.

Anstatt feixend zu triumphieren und ein einziges Mal nur zu begreifen, dass Stoiber, ohne es zu wollen, ihnen eine Art Ehrentitel verlieh, indem er sie als Störfaktor, als unzuverlässige, miesepetrige Spielverderber bezeichnete, mit denen ein radikal durchstoiberisiertes Superdeutschland nicht zu machen sei, fiel den Ostdeutschen erwartungsgemäß nichts Dümmeres ein, als ihre jederzeit auf bestimmte Stichworte abrufbare Mischung aus beleidigter Leberwurst und trotzigem, klebrigem Linkspartei- und DDR-Patriotismus von sich zu geben.

Erstaunlicherweise hat ausnahmsweise ausgerechnet Angela Merkel, von der man es am wenigsten erwartet hätte und ohne dass es ihr selbst aufgefallen wäre, im Wahlkampf neulich einen ganz wunderbaren, klaren und wahren, ja letztgültigen Satz gesagt: »Die Brandenburger sind auch nicht dümmer als die Sachsen.« Ja, so kann man das sagen.