Ein Samstag vor dem Krieg

Ian McEwans Roman »Saturday«

Dass Ian McEwan einer der letzten intellektuellen Aufklärer der Postmoderne ist, weiß jeder, der sich im Winter und Frühjahr des Jahres 2003 ein wenig in der britischen Presse umgesehen hat. Dort platzierte er vor und nach dem Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen im Irak fast jedes nur denkbare Argument für den Krieg und lieferte das jeweilige Gegenargument gleich mit.

McEwan hatte dabei die Bestialität des irakischen Regimes gegenüber Dissidenten ebenso im Blick wie die möglichen terroristischen Folgen eines Kriegseinsatzes; er analysierte kenntnisreich die faschistischen und stalinistischen Tendenzen des Baath-Staates, untersuchte aber auch die Gefahren für die gesamte Region nach einem Sturz Saddams; er sprach von Massenvernichtungsmitteln, Flüchtlingsströmen und dem möglichen Ende der Uno sowie davon, dass das alles auch übertrieben sein könnte. Kurz: Wer damals seine Texte las, bekam eine fundierte Auf- und Gegenüberstellung aller Gründe pro und kontra Krieg geliefert und wer wollte, konnte anschließend selbst entscheiden.

Teile dieser aufklärerischen Leistung finden sich nun auch in McEwans neuem Roman »Saturday« wieder, verpackt in die Gedanken des in London lebenden Arztes Henry Perowne und in die Dialoge mit seiner Tochter Daisy, einer Dichterin, die den Militäreinsatz im Irak ablehnt. »Saturday« spielt an einem einzigen Tag im Leben der Perownes, einem Samstag im Februar des Jahres 2003. Der Krieg hat noch nicht begonnen, aber er lässt sich auch nicht mehr abwenden, obwohl an diesem Tag hunderttausende Menschen in London dagegen demonstrieren.

Henry Perowne ist ein erfolgreicher Neurochirurg, der Alltag an der Seite seiner Ehefrau Rosalind, einer genauso erfolgreichen Verlagsanwältin, verläuft seit Jahren in geordneten Bahnen. Seine optimistische Nüchternheit wird nur von den Jazzkompositionen seines Sohnes Theo erschüttert, denn sie rühren »an eine Ahnung, dass er sich einen offenen Weg verbaut hat, ein Leben nach dem Herzen, wie es die Songs rühmen«.

Dieser Samstag soll anders verlaufen als die Samstage zuvor, da Daisy und ihr Großvater John aus Frankreich anreisen und alle das Wiedersehen bei Fish Stew und Champagner feiern wollen. Und er wird anders verlaufen, weil sich in der Folge eines kleinen Verkehrsunfalls Gewalt und Entsetzen ihren Weg in die Familienfeier bahnen. So ein Bruch ist typisch für McEwan, und doch überrascht er einen damit in jedem neuen Buch wieder.

Literarisch reicht »Saturday« nicht an Romane des Autors wie »Abbitte« oder »Schwarze Hunde« heran. Die Figuren wirken manchmal zu glatt, muffige Lyrikdiskurse lösen gelegentlich medizinische Fachsimpeleien über das Gehirn ab, und so mancher Dialog über den »War on Terror« wäre besser nicht aus dem Zeitungsmaterial entwickelt worden.

Dass »Saturday« dennoch alles andere als ein Linkskitschroman geworden ist, liegt am subtilen Humor und am dialektischen Geschick McEwans, gleichzeitig politisch zu denken und politisches Denken zu bannen. In der Pause beim Squash denkt sich Henry Perowne, immer noch das Für und Wider des Krieges abwägend, dass »jeder Mensch ein Recht darauf habe«, sich nicht vom »Weltgeschehen stören zu lassen«. Das gehöre zur »Gedankenfreiheit«, die wiederum einem die Jihadisten nicht zugestehen. Dann geht er zurück zum Spiel und erwartet den nächsten Ballwechsel.

maik söhler

Ian McEwan: Saturday. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, Zürich 2005. 400 S., 19,90 Euro