Jetzt oder nie!

Der offene Brief an die Linkspartei war richtig und notwendig. von moe hierlmeier

Italien, Februar 1991: 90 von 1 260 Abgeordneten verlassen den Kongress des PCI, der sich in PDS umbenannte, und gründen die »Partei der kommunistischen Erneuerung« (PRC). Der gaben nur wenige eine Chance, war die treibende Kraft doch der traditionalistische Teil um Armando Cossutta. Doch schon bald erwies sich der PRC als Sammelbecken verschiedener Strömungen, die mit der Orientierung des PCI/PDS zur bürgerlichen Mitte unzufrieden waren: AktivistInnen aus dem Umfeld von Il Manifesto und Pietro Ingrao bis hin zur Democrazia Proletaria, deren Mitglieder aus der Tradition der Neuen Linken und der sozialen Bewegungen kamen. Die Entwicklung der nächsten Jahre war sehr widersprüchlich. Es kam zu diversen Spaltungen, deren wichtigste die von 1998 war, als der Cossutta-Flügel – also die Gründer – die Partei verließ. Damit gingen 50 Prozent der Führungsgruppe und 70 Prozent der Abgeordneten, allerdings nur fünf Prozent der Mitglieder. In der Folge transformierte sich der PRC von einer klassischen Wahlpartei hin zu einer Partei in und an der Seite der »Bewegung der Bewegungen«. Die Giovani Comunisti, ihr Jugendverband, spielten eine entscheidende Rolle bei den Protesten gegen den G 8-Gipfel 2001 in Genua. Der Transformationsprozess des PRC von einer Partei orthodoxer Kommunisten hin zu einer offenen Partei der Linken fand im Jahre 2002 mit einer programmatischen Neuausrichtung ihren vorläufigen Abschluss.

Diese Veränderungen hätten nicht stattgefunden, wenn der PRC der außerparlamentarischen Linken egal gewesen wäre. Durch ihre Interventionen zwang sie den PRC, sich mit den Positionen der linken Bewegungen auseinanderzusetzen. Nun ist Deutschland nicht Italien, die SPD nicht der PCI und die Linkspartei nicht der PRC. Dennoch ist die Frage, wie die Linken in sozialen Bewegungen sich zu dieser Partei verhalten sollen, mit der italienischen Konstellation vergleichbar. Es kann uns nicht gleichgültig sein, wie die Linkspartei sich entwickelt. Dabei kann man sich schnell über ihre Defizite einigen. Natürlich sammelt sie enttäuschte Sozialdemokraten – geschenkt. Es gibt einen starken Etatismus und große Illusionen gegenüber dem Parlamentarismus. Dem Führungspersonal ist nicht über den Weg zu trauen. Und die Programmatik ist – vorsichtig formuliert – verbesserungsfähig.

Dennoch macht es sich zu einfach, wer in ihr nur eine Revival-Combo sieht oder sie gar als Partei der »präventiven Konterrevolution« denunziert wie Felix Baum in der Junge World 32/05. Wer so argumentiert, will gar nicht die Widersprüche sehen, die im Parteikonstituierungsprozess vorhanden sind, und auch nicht die gesellschaftlichen Verschiebungen, die sich ebenfalls in ihm ausdrücken: Die neoliberale Hegemonie hat Risse bekommen, der hegemoniale Konsens verschiebt sich. Die Linkspartei ist eben nicht nur die Partei der fordistischen Nostalgiker. In ihr sammeln sich auch die linken GewerkschafterInnen, die den Bruch mit der bisherigen Gewerkschaftstradition für unvermeidlich halten und statt auf das Bündnis mit der SPD auf ein Bündnis mit den sozialen Bewegungen im internationalen Rahmen setzen.

Die Linkspartei könnte zu einem Katalysator dieses Bruchs werden, der in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Und wie die Abspaltung des Cossutta-Flügels von dem PRC 1998 gezeigt hat, springt zu kurz, wer nur auf das Führungspersonal schielt. Die Entwicklung einer Partei, ihrer Programmatik und ihrer realen Praxis hängt von vielen Faktoren ab.

Welche Möglichkeiten sich mit der Linkspartei für eine außerparlamentarische Linke ergeben, lässt sich nur bestimmen, wenn man den Spielraum auslotet. Genau dies tut der »Offene Brief sozialer und politischer Basisorganisationen an die PDS und Wasg«. Er ist kein Wahlaufruf, sondern interveniert an einem einzelnen, aber dringlichen Punkt: der Positionierung der Linkspartei zu Flüchtlingen und MigrantInnen. Wird die Spaltung zwischen deutschen und »Fremdarbeitern« dort Konsens, ist das Fenster der Möglichkeiten geschlossen. Ein zweiter Prüfstein wird sein, wie sich die Partei in die Mobilisierungen gegen den G 8-Gipfel 2007 einbringt. Zumindest bis dorthin sollte die außerparlamentarische Linke die Linkspartei nicht einfach links liegen lassen.

Moe Hierlmeier ist Redakteur von Fantômas und Unterzeichner des »Offenen Briefs«