Kunst gegen die Realität

Die Berliner Ausstellung »Moving On« setzt sich mit antirassistischen Strategien auseinander. von jessica zeller

Als die Künstlerin Farida Heuck vor zwei Jahren in München für ihr Diplom mit dem Lothar-Späth-Preis ausgezeichnet wurde, gratulierte ihr der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident herzlich. Schließlich, so hatte die Jury ihn im Voraus belehrt, handele es sich bei der prämierten Arbeit nicht um eine politische Aktion, mit der etwaige illegale Praktiken unterstützt würden, sondern um ein reines Kunstprojekt. Tatsächlich bezeichnet der »Bundesverband Schleppen und Schleusen«, kurz »schleuser.net«, den Heuck gemeinsam mit Ralf Homann und Manuela Unverdorben ins Leben gerufen hat, »die Verbesserung des Images von sog. Schleppern und Schleusern, die Richtigstellung der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit und politisch letztlich die Abschaffung des Verbandes, in dem durch Anpassung der Gesetze an die Realität jegliche Personenbeförderung legal wird«, als sein erklärtes Ziel. Dieses zu erreichen, sei eine notwendige Voraussetzung, »die eine Wachstumsbranche in einem schwierigen Markt benötigt«, heißt es in dem werbewirksamen Hochglanzflyer der Fake-Organisation.

»Wir wollten die Grenze zwischen Politik und Kunst in Frage stellen und überschreiten«, sagt Heuck heute über ihre Arbeit. Wenn Politik sich mittlerweile vornehmlich auf das Terrain der symbolischen Auseinandersetzung verlagert habe, müssten auch widerständige politische Ansätze nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch überzeugend sein. Ein Video anlässlich der inszenierten »1. Fachtagung« des Verbandes sowie die Arbeit »Flexibel ist nur der Innenminister«, bei der großformatige Spielkarten von durchweg sympathischen Taxifahrern oder Bergführern als potenzielle »Schlepper und Schleuser« zu sehen sind, werden in »Moving On. Handlungen an Grenzen – Strategien zum antirassistischen Handeln« in der Berliner NGBK ausgestellt.

Farida Heuck ist eine von acht KuratorInnen dieser Ausstellung, die durch Kunst im öffentlichen Raum, eine Publikation und begleitende Veranstaltungen ergänzt wird. Grundlegend für alle ausgestellten Arbeiten ist eine Bezugnahme auf aktuelle antirassistische Politikformen, die im besten Fall durch eine Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Aktivisten gelingt. Aber auch Positionen wie die von Heuck selber, in denen Künstler »nur« die Inhalte einer Bewegung in künstlerische Arbeiten transferieren, haben hier ihren Platz.

»Wir haben von Anfang an versucht, Kooperationen zwischen künstlerischen Gruppen und Personen und politischen Gruppen hinzubekommen. Da stellt sich natürlich die Frage: Was sollen politische Gruppen in einem doch eher künstlerischen Feld wie der NGBK? Die Kooperation ist meistens dann geglückt, wenn wir nicht allgemein unsere Ideen in den Raum geworfen haben, sondern gezielte Ansprechpartner bei den politischen Gruppen hatten, die sich für die Arbeit interessierten und mit den Künstlern in Kontakt traten«, meint die Politikwissenschaftlerin Insa Breyer, die ebenfalls zu dem Kuratorenteam gehört. Heuck ergänzt: »Es gibt seit einigen Jahren einen Boom politischer Kunst. Man muss allerdings dahingehend eine Unterscheidung machen, ob es politische Kunst ist oder ob es politische aktivistische Gruppen sind. Unsere Ausstellung ist der Versuch, beides zu haben.«

Ein Beispiel dafür, wie die künstlerische Herangehensweise und der konkrete politische Kampf zusammenfließen, ohne dass eines von beiden aufgesetzt wirkt, ist die Arbeit »Free movement is our right«, die der Fotograf Martin Krenn gemeinsam mit Aktivisten der antirassistischen Gruppen »The Voice«, »Plataforma« und »Flüchtlingsinitiative Brandenburg« entwickelt hat. »Wir haben uns gemeinsam ein Szenario überlegt, das die Grenzsituation thematisiert und hierbei sowohl Repression als auch Widerstand«, sagt Krenn.

Herausgekommen ist eine gestellte »eingefrorene Kontrollszene«. In einem großformatigen Foto sieht man, wie zwei (vermeintliche) Flüchtlinge vor dem S-Bahnhof Alexanderplatz in eine Kontrolle geraten. Die Akteure erscheinen wie erstarrt. Die Bewegungen des Umfelds hingegen, in dem Personen Flugblätter über die so genannte Residenzpflicht verteilten, die besagt, dass Asylbewerber ihren zugeordneten Landkreis nicht ohne Erlaubnis verlassen dürfen, sind verwischt. Neben dem Foto gibt es das viersprachige Protestschreiben deshalb noch mal für die Ausstellungsbesucher zum Mitnehmen.

Für Hyacienth Ngouh von der Flüchtlingsinitiave Brandenburg, der als kontrollierte Person auf dem Bild zu sehen ist, ist die Mischung aus künstlerischer Praxis und Vermittlung politischer Inhalte kein Widerspruch: »Es gibt viele Möglichkeiten, das Interesse des Publikums zu wecken. Wir haben viele Proteste und Demonstrationen organisiert und offene Briefe geschrieben. Aber das lässt die meisten Menschen kalt. Kunstaktionen können eher Neugier beim Betrachter erwecken.«

Eine andere Herangehensweise vertritt die Gruppe »Mujeres sin rostros«, was übersetzt »Frauen ohne Gesichter« heißt. Ihre politische Praxis zeichnet sich weniger durch eine öffentliche Aktion aus als durch eine subjektive Verarbeitung der Erfahrung von »Illegalität«. Die sechs Frauen lateinamerikanischer Herkunft fertigen gemeinsam in ihren Wohnhäusern Stickereien an, in denen beispielsweise eine Kontrolle in der S-Bahn oder eine Abschiebung im Flugzeug dargestellt wird. Ailin Peinemann, die der Gruppe angehört, meint: »In einer gewissen Weise reproduziert diese Art der Arbeit natürlich bestimmte geschlechtsspezifische Rollen. Sticken ist eine typisch weibliche Tätigkeit. Auf der anderen Seite ist es eine Arbeit, die man von zu Hause aus machen kann, wo es nicht nötig ist rauszugehen. Für viele Frauen ist es fast wie eine Therapie. Wenn sie sich zum gemeinsamen Sticken treffen, reden sie über ihre Probleme hier in Deutschland und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus.«

Die wohl gelungenste Arbeit von »Moving On« ist keine, an der Migranten aktiv beteiligt waren. Die Fotos mit dem Titel »Reconstruction« von Julika Rudelius setzen sich dennoch gelungen mit der Wahrnehmung von »Fremden«, auch über den deutschen Kontext hinausgehend, auseinander. Auf einem Bild sind zwei verschleierte Frauen mit einem Kind an der Hand auf einem Parkplatz zu sehen. Auf dem anderen gibt ein schwarzer Mann einem Weißen offensichtlich etwas in die Hand. Man müsste lügen, wenn man als Betrachter nicht zuerst den Gedanken hätte: »Das sind Marokkaner und der eine ist ein Drogendealer.«

Tatsächlich aber hat die Künstlerin in ihre Bilder kleine Fehler eingebaut. So ist die angeblich muslimische Tracht der Frauen alles andere als stimmig, sie selbst sind nichts anderes als verkleidete Holländerinnen. Und der schwarze Mann? Er besitzt eine weiße Hand und hat, so die Schlussfolgerung, einen lediglich angemalten Körper. Selbst wenn dem Großteil der Ausstellungsbesucher die politischen Ungerechtigkeiten – vom Chip-Karten-System bis zur Anwendung brutaler Gewalt bei der Abschiebung – bekannt sein dürften, ergibt die Radikalität, mit der sich auch ihre spontanen Wahrnehmungen als gesellschaftliche Konstruktion erweisen, zweifelsohne einen Aha-Effekt.

Moving On. NGBK Berlin. Bis zum 11. September