Staffelt gegen Diepgen

Wer gegen wen? Teil II

Berlin-Neukölln, der Bezirk für Untergeher. Angeblich steht das größte Sozialamt Europas hier, die Geburtenrate liegt außergewöhnlich hoch, der SPD-Bezirksbürgermeister beschwert sich allerorten über die Ausländer, viele Geschäftsräume stehen leer oder bieten Ramschläden eine Zwischenmietgelegenheit, Currywurst und Döner sind hier feine Speisen, sogar die letzte Brauerei im Kiez der Alkoholiker schließt. Neukölln ist so wie die anderen Berliner Westbezirke, nur werden hier die sozialen Gegensätze deutlicher sichtbar.

In diesem Bezirk kandidiert Evrim Baba von der Linkspartei für die Bundestagswahl, allerdings äußerst zurückhaltend. Offensichtlich wollen Lafontaine, Gysi und Bisky nicht allzu nahe an jene Verlierer herantreten müssen, die sie zu vertreten vorgeben. Ein weiterer Kandidat ist Ditmar Staffelt von der SPD, ein freundlicher Mittfünfziger mit jungenhaften Wuschelhaaren, der in U-Bahnen Rosen verteilt, im Wirtschaftsministerium als »Koordinator für die deutsche Luft- und Raumfahrt« firmiert und mit dem Bezirk partout nichts zu tun hat. »Unser Weg ist klar. Wir wollen ihn weitergehen«, sagt Staffelt und meint das auch so. Das war’s dann wohl für ihn in Neukölln.

Sein Gegner von der CDU ist wie gemacht für die Menschen dort. Es ist Eberhard Diepgen, der Kommunistenfresser und Bankenskandal-Bürgermeister, der bis heute die Verantwortung für den Skandal nicht übernommen hat. Vier Jahre lang blieb das politische Berlin von ihm verschont. Nun kämpft er, nicht abgesichert durch einen sicheren Platz auf der Landesliste, in Neukölln um ein Direktmandat für den Bundestag. »So kann es nicht bleiben. Es ist nicht die Zeit, nur zuzuschauen«, sagt Diepgen und schaut in der für ihn so typischen Mischung aus todmüde und treuherzig. »Mensch Diepgen« heißt es auf den Plakaten, sie zeigen den ehemaligen Regierenden Bürgermeister hemdsärmelig, offen, aktiv. »Zuhören, Nachdenken, Handeln«, steht dort weiter. All das hat Eberhard Diepgen seit seinen wilden Burschenschaftsjahren, in denen er noch aktiver Kalter Krieger war, kaum mehr gemacht. Doch da er wie Westberlin ist, wie Mira, Pfitze, Gruner, Juhnke und die Insulaner, und, nur auf eine andere Art, genauso tot wie jene, lieben ihn die Neuköllner – zumindest die, denen das Wahlrecht zugestanden wird.

Nicht unerwähnt soll jedoch bleiben, dass der tief deutsch fühlende Diepgen auch in der türkischen Community Neuköllns seine Fans hat. Er steht nämlich weniger für seine Person als für eine Zeit, in der alles besser war. Es gab die Berlinzulage, es gab Arbeitsplätze, es gab eine ordentlich in Freund und Feind geschiedene Welt, und das Bier hat noch geschmeckt. Nun aber ist alles anders, die Neuköllnerinnen und Neuköllner versinken nicht länger nur in Racke Rauchzart, sondern ebenso in Ungewissheit. Am vorigen Freitag trat Eberhard Diepgen in den Gropius-Passagen gemeinsam mit Helmut Kohl auf, dem optimalen Partner, um die Erinnerung an eine bessere Zeit heraufzubeschwören. Ganz Neukölln würde sich gern einmotten, und Eberhard Diepgen ist der adäquate Kandidat für dieses Unterfangen. Wir sehen ihn wohl bald im Bundestag.

jörg sundermeier