Der Deutschland-Boogie

Wie klingt der Wahlkampf? von markus ströhlein

Ronald Reagans Wahlkampforganisatoren hatten ein gutes Händchen. Ihnen war sicher nicht verborgen geblieben, dass Bruce Springsteen in seinem Song »Born in the USA« von einem arbeitslosen Vietnam-Veteranen singt, der sich von dem Land, in dem er geboren wurde, gehörig im Stich gelassen fühlt. Dennoch benutzten die Republikaner 1984, als es um die Wiederwahl Reagans ging, den Song als Wahlkampfhymne. Denn das Quentchen Gesellschaftskritik in den Strophen wird vom Pathos des Refrains allemal in den Hintergrund gedrängt. Den Refrain kannte 1984 wahrscheinlich jeder Amerikaner. Springsteens gleichnamiges Album landete auf dem ersten Platz der Charts, der Song auch.

Bruce Springsteen war damals beleidigt. Niemand hatte ihn um die Erlaubnis gebeten, den Song verwenden zu dürfen. Ähnlich erging es den Rolling Stones. Wenn Angela Merkel einen Wahlkampfauftritt beendet und, nachdem die Nationalhymne ordnungsgemäß abgesungen ist, in der Menge Hände schüttelt, dann läuft zur Untermalung der alte Stones-Hit »Angie«. Mick Jagger und seine Band wurden nicht gefragt, ob der verwendet werden dürfe. Die Zuständigen der CDU pochen darauf, die Urheberrechtsgebühren bezahlt zu haben und somit rechtlich auf der sicheren Seite zu stehen. Das sind sie aber nicht. Denn neben dem Urheberrecht gibt es noch das Urheberpersönlichkeitsrecht. Während das erste die kommerzielle Seite regelt, soll das zweite »den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zu seinem Werk« schützen.

Mick Jaggers Beziehung zu seinem Werk scheint nach der Verwendung des Songs im deutschen Wahlkampf gestört zu sein. »Wir hätten nein gesagt«, antwortete der Sprecher der Rolling Stones auf die Frage, ob die Band der Verwendung zugestimmt hätte. Vielleicht hat die Angelegenheit ein Nachspiel, vielleicht macht die Band Schadensersatzansprüche geltend. Oder, man stelle sich vor, die Rolling Stones kommen als Strafe nie wieder nach Deutschland auf Tournee. Man müsste der CDU dankbar sein.

Bislang läuft »Angie« noch bei Angela Merkels Veranstaltungen. Der Song war für die Stones 1973 ein Welthit. Schon damals war er eine schmierige Herzschmerz-Ballade. Die Zeit hat ihn nicht besser gemacht. Während sich Reagan 1984 den Hit des Jahres unter den Nagel riss, hat die CDU in einer Schublade gekramt, die besser geschlossen geblieben wäre. Ein Oldie, das Wort verrät es bereits, kann keine Jugendlichkeit versprühen. Und um nichts anderes geht es eigentlich, wenn Parteien im Wahlkampf auf Popmusik zurückgreifen.

Statt wie eine rauschende Feier für eine kommende Siegerin werden Merkels Veranstaltungen also weiterhin wie ein Kaffeekränzchen für Frührentner zu Ende gehen. In der Vorstellungswelt des durchschnittlichen CDU-Mitglieds dürfte da jedoch kein großer Unterschied bestehen.

Ohnehin scheint niemand in der CDU bemerkt zu haben, dass Mick Jaggers Text nicht unbedingt Siegerstimmung verbreitet. »All die Träume, die uns am Herzen lagen, schienen sich in Luft aufzulösen«, heißt es da. Und: »Angie, Angie, ist es nicht Zeit, dass wir Lebewohl sagen?« Klingt so der Aufschwung? Vielleicht haben es die Stones-Fans der CDU aber einfach nicht verstanden. Schließlich ist auch Helmut Kohl des Englischen nicht mächtig. Kanzler war er trotzdem.

Mittlerweile ziehen andere Parteien musikalisch nach. Die Grünen haben einen Anti-Angie-Song auf ihrer Homepage, den der Stuttgarter Sänger Steffen Strom komponiert hat. »Meister des Power-Pop« nennt er sich selbst. »Power-Pop« ist ein toller Name für einen Musikstil, den man ansonsten als knarzlangweiligen Deutsch-Rock bezeichnen würde. Der Song »Angie, nein, nein!« ist aber nicht nur irre fetzig. Der Sänger trifft auch textlich immer den richtigen Ton. Der ist »mal ironisch-melancholisch, nie zynisch«, wie Meister Strom selbst sagt. »Angie, bitte sag, warum willst du Atomkraftwerke? Angie, bitte sag, wie willst du uns denn durchregieren? Nur Hausmannskost statt Döner?« Ein bisschen Öko, ein bisschen Multikulti, seiner Zielgruppe wird Steffen Strom mit »Angie, nein, nein!« mehr als gerecht. Für Hörer bei Verstand gilt eine andere Zeile aus dem Song: »Es tut so weh!«

Beim Koalitionspartner SPD haben die vorgezogenen Neuwahlen wohl auch die Abteilung von Sigmar Gabriel, dem Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs, überrascht. Einen offiziellen Wahlsong gebe es noch nicht, heißt es bei der Pressestelle der SPD. Doch glücklicherweise schläft die Basis nicht. Ein eifriger Parteisoldat aus Nordrhein-Westfalen hat auf eigene Faust zwei Songs gegen Angela Merkel komponiert und heftig im Webblog der Landespartei beworben. »Angie-Part 1« und »Angie-Part 2 (Schlagt Alarm!)« heißen die Machwerke. Spätestens, nachdem ein Rapper im Brustton des bösen Buben »Get ready for the Wahlen! Checkt das ab!« gebrüllt hat, ist klar: SPD is in the house. Auch Jusos hören Hip Hop. Schlimm ist es nur noch, wenn sie ihn selbst machen. In »Angie-Part 1« erzählt ein Rapper aus der Sicht des enttäuschten Verliebten von seiner Beziehung zu Angela Merkel. »Leider ist sie mir nicht treu. Ja, ich stell’s nun klar: Diese Schlampe geht mir fremd und zwar mit Helmut K.!« Noch besser wird es in »Angie Part 2«: »Wirst du der Kopf des Staates, pump ich diesen Schädel voll Blei.«

Werden die Gangsta-Sozis nach einem Wahlsieg der CDU bewaffnete Widerstandszellen bilden? Natürlich nicht. Schließlich darf man den Battle-Rap nicht wörtlich nehmen. Es geht nur darum, den Gegner zu beleidigen, zu dissen. Angela Merkel zu dissen, ist aber ungefähr so, wie sich damit zu brüsten, mehr Bräute als der Papst flachgelegt zu haben. Oder »scharfe Chicks«, wie es im Jargon der sozialdemokratischen Ghetto-Pimps heißt.

Nicht minder musikalisch aktiv ist man bei einer anderen sozialdemokratischen Partei. Mitglieder der Wasg in Nordrhein-Westfalen haben entdeckt, dass auch die schlechtesten Computer-Soundkarten Töne von sich geben können. Der »Wasg-Song« klingt, als hätte ein Amateur-Alleinunterhalter einen besonders schlechten Tag erwischt. Ein Saxofon aus der Dose trötet vor sich hin, das Computerschlagzeug klingt wie Pappkarton und ein anonymer Sänger gibt sich alle Mühe, möglichst keinen einzigen Ton zu treffen. Egal, schließlich zählt nur die Message. Anscheinend ist es fünf vor zwölf in Recklinghausen, Wuppertal oder Wanne-Eickel, denn »der Druck des Mammons, mehr zu leisten, zerstört unser Zusammensein«. Da kann nur eine Partei helfen: »Die Wasg kämpft für euer Glücklichsein. Die Wasg eröffnet neue Möglichkeiten, das Leben gerechter zu bereiten. Ja, so wird’s sein.«

Doch den musikalischen Hinterwäldlern der Wasg geht es um mehr als das Leben in der nordrhein-westfälischen Provinz. Es geht um Deutschland. Deshalb gibt es ein knallhartes Politiker-Bashing beim »Deutschland-Boogie«, der Fans von John Lee Hooker Tränen der Bestürzung in die Augen treiben dürfte: »Der Schröder kippt den sozialen Staat und biegt sich die Gewerkschaften parat. Der Fischer visat nur im Nebel rum und kümmert sich nicht drum.«

Dass Joschka Fischer mit der Visavergabe noch mehr »Fremdarbeiter« ins Land gelassen hat, ist dem forschen Texter der Wasg schon einen krummen Reim und einen nicht minder krummen Neologismus wert. Doch ebenso empört wie über das »Rumvisaen« des Außenministers ist er über den Lebenswandel des Bundesvorsitzenden der FDP. Denn »der Westerwelle schaut sich nur nach Männern um«.

Bei der FDP war man pikiert über den Satz im Wahlkampfsong der Wasg. In einem Brief an die Linkspartei beschwerten sich der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel und der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Kauch über die »schwulenfeindliche Passage« des Lieds. Zum musikalischen Gegenschlag holt man bei der FDP anscheinend nicht aus. Nach Angabe ihrer Pressestelle hat die Partei noch keinen Wahlkampfsong. Vielleicht sollte sie einfach ihre Telefonwarteschleife verwenden. Dort läuft »Money, money, money« von Abba.