Der Verräter

Treffen der französischen Sozialisten von bernhard schmid

»Es ging zu wie in einer Aufführung eines Boulevardtheaters: Die Hauptpersonen taten alles, um sich nicht zu begegnen.« Mit diesen Worten charakterisierte ein französischer Radiosender die so genannte Sommeruniversität der Sozialisten. Die Prominenten der Partei mieden einander konsequent. Zog etwa der ehemalige Wirtschaftsminister Laurent Fabius durch den Vordereingang ein, so betrat der Parteichef, François Hollande, die Halle durch den Hintereingang.

Sommeruniversitäten gehören bei den politischen Parteien Frankreichs zur Tradition. Sie dienen hauptsächlich dazu, die Basis mit den Parteiführern bekannt zu machen und ein bisschen an den Programmen zu feilen. Das ungenannte Motto der Veranstaltung am Wochenende lautete: »Für oder gegen Fabius?« Auf dem Parteikongress Mitte November wird sich entscheiden, ob der frühere Minister die Führung übernehmen und als Präsidentschaftskandidat in die Wahl im Jahr 2007 gehen wird.

Eigentlich sollte es bei der Sommeruniversität um Strategien gegen die Regierung von Dominique de Villepin gehen. Aber bereits in den Eingangsreden fühlten sich die Vorsitzenden dazu bemüßigt, zur innerparteilichen Einigkeit aufzurufen. Die Widersprüche in der Partei wurden im Frühsommer bei der Abstimmung über die EU-Verfassung deutlich. Fast alle ehemaligen Regierungsmitglieder der französischen Sozialisten sprachen sich damals für den Verfassungsvertrag aus. Doch Fabius vollzog eine Wende. Der prominente Vertreter des rechten Flügels rief dazu auf, gegen den Verfassungsvertrag zu stimmen. Plötzlich galt er als Mann der Parteilinken.

Er verlor deswegen auch seinen Posten als Vizeparteichef. Für viele Mitglieder und Funktionäre sowie die gesamte Parteirechte ist Fabius ein »Verräter«, der ihnen schmählich in den Rücken fiel. Der ehemalige Premierminister Michel Rocard kündigte bereits an, Fabius’ Wahl wäre »ein Erdbeben«. In diesem Falle müssten die Sozialliberalen »über die Gründung einer neuen Partei nachdenken«. Der ehemalige Gesundheitsminister Bernard Kouchner legte am Dienstag vergangener Woche nach. Ja, man müsse ernsthaft über eine Parteispaltung nachdenken und »die Pseudo-Marxisten und ihre zerknitterten Utopien attackieren«, sagte er der konservativen Zeitung Figaro.

Le Monde hat bei dem Treffen am Wochenende einen tiefen Bruch innerhalb der Partei ausgemacht. »Der Gegensatz zwischen der reformistischen Linie des Parteichefs François Hollande und der antikapitalistischen Position von Laurent Fabius hat sich verschärft.« Nichts ist absurder. Fabius’ Position hat nichts mit Antikapitalismus zu tun. Seine Amtszeit als Premierminister (1984 bis 1986) stand im Zeichen eines rigorosen Sparkurses, und als er von 2000 bis 2002 Wirtschaftsminister war, machte er vor allem durch neoliberale Steuersenkungen auf sich aufmerksam. Die derzeitige Parteiführung wiederum steht nicht für das, was man einmal unter »Reformismus« verstand – also das Ziel einer schrittweisen Überwindung des Kapitalismus mit parlamentarischen Mitteln, die freilich nie gelang.

Von der Abschaffung des Kapitalismus träumt zwar längst auch die Parteilinke nicht mehr. Wohl aber von Reformen, die nicht ein Synonym für neoliberale Verschlechterung sind. Fabius wird dafür sicherlich nicht der richtige Mann sein. Das Treffen endete, ohne dass die Vertreter der unterschiedlichen Positionen ihren Streit offen austrugen.