Die Zelle und die Cops

Neue Enthüllungen in Spanien zeigen, dass die Polizei nicht nur bei der Verhinderung der Anschläge in Madrid versagt hat. Mindestens ein Beamter soll sogar direkt an ihnen beteiligt gewesen sein. von thorsten mense

Aus Deutschland ist man ja gewöhnt, dass V-Männer der Polizei Straftaten begehen, statt sie zu verhindern. Auch in Spanien kommen nun immer mehr Beweise ans Licht, die belegen, dass die Terroranschläge vom 11. März 2004 in Madrid ohne Hilfe, sei es durch Untätigkeit oder aktive Unterstützung, aus den Reihen der Sicherheitskräfte so nicht möglich gewesen wären.

Die konservative Tageszeitung El Mundo hat in den vergangenen Wochen aus ihr vorliegenden Ermittlungsakten Auszüge veröffentlicht, die bisher bekannt gewordene Unstimmigkeiten bei der polizeilichen Arbeit vor und nach den Anschlägen noch bei weitem übertreffen. Nachdem bereits Anfang des Jahres herauskam, dass manche der Attentäter seit fast zehn Jahren vom Geheimdienst überwacht wurden, scheint nach den neuesten Berichten sogar ein Beamter der spanischen Nationalpolizei direkt an den Attentaten beteiligt gewesen zu sein. Ayman Maussili Kalaji war 1981 als politischer Flüchtling aus Syrien nach Spanien gekommen, drei Jahre später wurde ihm wegen seiner »Verdienste um das Land« die spanische Staatsbürgerschaft verliehen, seit Ende der achtziger Jahre war er bei der Polizei im Dienst. Er galt als Kenner der islamistischen Szene in Spanien, El Mundo zufolge sogar als »einer der spanischen Beamten, die am meisten über islamistische Zellen wissen«. Kein Wunder, da er vermutlich Mitglied einer solchen Zelle war.

Bereits im Mai behauptete die Tageszeitung, dass in seinem Telefonladen »Test Ayman« die Mobiltelefone freigeschaltet wurden, die später für die Zündung der Rucksackbomben in den Madrider Zügen verwendet wurden. In dem nunmehr veröffentlichten Polizeibericht wird sogar davon ausgegangen, dass Kalaji die Zündvorrichtungen selber gebaut haben soll. »Wer hat die Kabel an den Vibrationsalarm der Handys gelötet, um sie mit den Detonatoren zu verbinden?« wird in dem Bericht gefragt und gleich danach betont, dass es sehr wahrscheinlich der spanische Polizist selber war. Langjährige Freundschaften mit anderen Attentätern, wie zum Beispiel mit Yarkas alias Abu Dahdah, dem mutmaßlichen Anführer der spanischen al-Qaida-Zelle, militärische Ausbildung in palästinensischen Trainingslagern und beim syrischen Militär sowie seine wahrscheinliche Zugehörigkeit zur »Muslimischen Bruderschaft« in Syrien vor seiner Flucht sind starke Indizien für seine Beteiligung an den Anschlägen von Madrid. So stellt der Bericht am Schluss fest, dass »ohne seine Arbeit die Benutzung der Telefonkarten durch die Terroristen nicht möglich gewesen wäre«. Der Bericht wurde im Mai von der Zentralen Informationseinheit der Polizei vorgelegt, für die Kalaji selber jahrelang gearbeitet hat.

Der für die Madrider Anschläge zuständige Ermittlungsrichter des Nationalen Gerichtshofs, Juan del Olmo, erließ jedoch bis heute keinen Haftbefehl gegen Kalaji, obwohl die Polizei dies schon nach dem ersten Zeitungsbericht im Mai von ihm gefordert hatte. Der Richter trägt derzeit wenig zur Aufklärung bei. Seine Sorge scheint nämlich eine andere zu sein: dass nun alle Pannen bekannt werden. So forderte er den Direktor der Tageszeitung El Mundo, Pedro J. Ramírez, auf, die »geheimen« Unterlagen bis Ende Juli auszuhändigen, sonst mache er sich des »Ungehorsams gegenüber der richterlichen Autorität« strafbar. Ramírez verweigerte die Herausgabe der Unterlagen und berief sich auf das journalistische »Recht, die Quellen nicht zu veröffentlichen«. Deswegen wird er sich im September vor dem nationalen Gerichtshof verantworten müssen. Dies könnte Ermittlungsrichter del Olmo gelegen kommen, denn dadurch hat sich in Spanien eine Diskussion über Pressefreiheit und das Recht auf Information entwickelt, die vom eigentlichen Skandal ablenkt. Doch wird die Zeitung nicht müde, immer neue Details zu veröffentlichen.

Dass die Polizei bei der Vorbereitung der Anschläge gleichsam live mit dabei war, wurde in der vergangenen Woche bekannt. So wurde das Handy von Jamal Ahmidan, genannt El Chino, im Vorfeld der Anschläge und sogar noch am 11. März abgehört. Er soll einen der Bombenrucksäcke in den Zügen deponiert haben. Ahmidan sprengte sich wie die anderen Hauptverdächtigen der Terroranschläge im April 2004 während einer Polizeirazzia in die Luft. Der andere abgehörte Anschluss gehörte Otman al-Gnaout, der den Sprengstoff nach Madrid gebracht haben soll. Er wurde sogar Anfang März 2004 aus derzeit nicht bekannten Gründen für einige Stunden von der Polizei verhaftet. Dennoch konnte er eine Woche später den Sprengstoff übergeben, während die Polizei zuhörte. Kurioserweise wurde am Tag nach den Anschlägen die Überwachung der beiden Telefone eingestellt. Mit dem Ergebnis, dass die Behörden einige Tage später, nach aufwändiger Ermittlungsarbeit, erneut auf die Handynummer von »El Chino« stießen und ihn so als einen der Attentäter identifizierten.

Die Ungereimtheiten und dubiosen Verstrickungen sind mittlerweile zu einem riesigen Sumpf geworden, nur ist es die Frage, wer darin stecken bleiben wird. Da gibt es beispielsweise José Emilio Suárez Trashorras, einen V-Mann der Nationalpolizei, der nach Medienberichten mit Wissen der Behörde den Islamisten den Sprengstoff verkauft haben soll. Oder Fernando Huarte, Gründer und Präsident des Vereins »Freunde des palästinensischen Volkes«, Funktionär der Regierungspartei Psoe und zugleich Informant des spanischen Geheimdienstes CNI, der mehrfach den vermeintlichen Planer der Anschläge, Abdelkrim Benesmail, im Gefängnis besuchte. Oder der gebürtige Syrer Mohannad Almallah Dabas, der erst aus dem Psoe ausgeschlossen wurde, als ihn die Polizei im März zum zweiten Mal wegen Beteiligung an den Anschlägen verhaftete.

Die konservative Volkspartei PP hat nunmehr angekündigt, die Untersuchungskommission wieder einberufen zu wollen, um diese Vorfälle zu klären. Das könnte aber auch nach hinten losgehen. War es doch der PP, der direkt nach den Anschlägen, trotz all der Informationen, die nun bekannt werden, als einzige mögliche Urheber der Attentate die baskischen Nationalisten der Eta beschuldigte.

Vergangene Woche sorgte zudem ein neues Schreiben für Unruhe. Im Namen von al-Qaida wurde an die Tageszeitung ABC und an den Fernsehsender TVE ein Dokument verschickt, in dem mit Anschlägen auf den Vatikan gedroht wurde. Schon zwei Tage später wurde jedoch der Verfasser, ein 48jähriger Spanier, festgenommen. Allem Anschein nach besteht keinerlei Verbindung zu dem Terrornetzwerk. Dies hätte man bei näherer Betrachtung der Argumentation des Schreibens aber auch recht schnell erkennen können. Wurde zum Beispiel die »Schuld« des Vatikans unter anderem damit begründet, dass die katholische Kirche Hitler unterstützt und gemeinsam mit ihm Millionen Juden umgebracht habe. Islamistische Fanatiker, unter denen »Mein Kampf« zu den meistgelesenen Büchern gehört, würden Anschläge auf den Vatikan wohl anders begründen.