Genug kann nie genügen

Erstmals hat das ägyptische Regime mehrere Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen zugelassen. Ein Sieg Mubaraks gilt dennoch als sicher. von hannah wettig

Wenn die Ägypter am 7. September darüber abstimmen, wer ihr Präsident werden soll, haben sie eine Wahl. Erstmals seit Gamal Abdul Nasser mit den Freien Offizieren 1952 die Macht ergriff und den von den Briten gestützten König absetzte, gibt es mehrere Kandidaten für das Präsidentenamt. Dennoch gilt es als sicher, dass der seit 1981 regierende Hosni Mubarak wieder gewählt wird.

Allerdings könnte es trotzdem interessant werden. Denn Mubarak muss 50 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang erhalten, sonst kommt es zur Stichwahl. Sollten die Wahlen tatsächlich fair durchgeführt und die Stimmen korrekt ausgezählt werden, könnte er diese Mehrheit angesichts von zehn Gegenkandidaten durchaus verfehlen. Insbesondere Noaman Gomaa von der Partei Wafd (Delegation) und Ayman Nour von der Ghad (Morgen) werden Chancen eingeräumt. Sie sind Teil der Bewegung Kifaya (Genug), die seit über einem Jahr die Allmacht des Präsidenten kritisiert. Die meisten Gruppen in der Bewegung werden die Wahlen jedoch boykottieren.

Es war nicht leicht, dem 77jährigen Diktator am Nil ein bisschen Demokratisierung abzutrotzen. Noch vor zwei Jahren schienen Demonstrationen gegen das Regime undenkbar. Da hatten sich allerdings die Gruppen, die später die Kifaya-Bewegung bilden sollten, schon zusammengefunden. Zunächst organisierten sie Proteste zur Intifada und zum Irak-Krieg. Das war auch Kritik an Mubaraks guten Beziehungen zu Israel und seiner zögerlichen Ablehnung der US-amerikanischen Invasion im Irak. Aber es war noch kein direkter Angriff. Der kam erst im Dezember 2004. Rund 500 Menschenrechtler, Linke, Liberale und Islamisten demonstrierten in Kairo gegen die Vererbung des Präsidentenamts. Damals sah es noch so aus, als werde Mubaraks Sohn das Amt von seinem Vater übernehmen. Seitdem hat die Bewegung regelmäßig Aktionen gegen das Regime organisiert.

In seiner Wahlkampferöffnungsrede hat der Diktator nun versprochen, über die Abschaffung des Informationsministeriums nachzudenken. Eine unabhängigere Behörde soll dann die Regulierung der Presse übernehmen. Auch die Justiz soll unabhängiger werden. Mubarak will die Frauenquote im Parlament erhöhen und denkt über die Aufhebung der Ausnahmegesetzgebung nach, die seit dem Attentat auf seinen Vorgänger Anwar al-Sadat im Jahr 1981 in Kraft ist.

Alles nur schöne Worte, glauben die meisten in der Kifaya-Bewegung. Die Aufhebung der Ausnahmegesetze etwa werde kaum eine Veränderung bringen. Denn vieles davon habe längst seinen Weg in die zivile Gesetzgebung gefunden, etwa die Einschränkung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.

Zudem hat der Umgang des Regimes mit den Protesten gegen Mubarak gezeigt, wie schwer es der Regierung noch fällt, kritische Meinungsäußerungen zuzulassen. Im Mai bat die Regierung zu einem Referendum, um die Verfassungsänderung absegnen zu lassen, die die Aufstellung mehrerer Präsidentschaftskandidaten zulässt. Allerdings muss jede Kandidatur von 250 Parlamentariern genehmigt werden, die Abgeordneten gehören aber zu 87 Prozent der regierenden Nationalen Demokratischen Partei an. Als sich vor allem Frauen am 25. Mai zu einer Demonstration gegen das Referendum versammelten, wurden sie und beobachtende Journalistinnen von organisierten Banden angegriffen, zu Boden gerissen, an den Brüsten und zwischen den Beinen begrapscht und teilweise auf der Straße entkleidet. Kaum jemand bezweifelte, dass die NDP die Angreifer geschickt hatte.

Insbesondere die US-Regierung war wenig erbaut. Ihr gilt Ägypten als positives Beispiel für die angestrebten Demokratisierungsprozesse im Nahen Osten. Erst zwei Tage vor dem Referendum hatte die First Lady Laura Bush den ägyptischen Präsidenten gelobt. Doch nun sah sich der US-Präsident persönlich genötigt, ein Machtwort zu sprechen. Er rief Mubarak an und erläuterte ihm, wie Demokratie funktioniert: »Die Opposition muss Fernsehzeit bekommen. Den Leuten muss erlaubt sein, Schilder zu tragen und ihre Zustimmung oder Kritik auszudrücken.«

Das ägyptische Regime hielt sich bis zum 30. Juli daran. Nachdem der Präsident seine neuerliche Kandidatur erklärt hatte, ging die Kifaya-Bewegung wieder auf die Straße. Die Polizei verhaftete Dutzende, darunter die Prominentesten der Bewegung. Zwei Tage später kamen sie alle wieder frei. Diesmal hatte das US-Außenministerium eingegriffen.

Trotzdem streiten viele in der Kifaya-Bewegung den Einfluss der USA ab. Nach Ansicht des Kifaya-Aktivisten Amin Iskander wirkt der Einfluss eher umgekehrt: Wenn sich die ägyptische und die US-amerikanische Regierung gut verstehen, nimmt die Repression zu. Wie viele andere Oppositionelle sieht er die Ereignisse am 25. Mai als Folge der lobenden Worte Laura Bushs. Anders sieht man das in der liberalen Ghad-Partei. Ghad-Mitglied Hisham Qassim sagte der regierungsfinanzierten Zeitung Al-Ahram Weekly: »80 Prozent der politischen Freiheit sind das Ergebnis des Drucks aus den USA.«

Solche Äußerungen spiegeln die gravierenden politischen Unterschiede innerhalb der Protestbewegung. Linke, Islamisten und arabische Nationalisten wollen auf keinen Fall etwas mit den USA zu tun haben. Sie tun gut daran, denn ihre Klientel lässt sich durch solche Unterstellungen abschrecken. Anders ist das bei den Liberalen, die von prowestlichen Geschäftsleuten gewählt werden wollen. Die Wahlprogramme der Ghad- und der Wafd-Partei fordern nicht nur die Abschaffung der Ausnahmegesetzgebung, sondern auch eine Reduzierung der Staatsausgaben.

Auch deshalb ist es fraglich, ob sie große Teile der Bevölkerung für sich gewinnen können. Denn schon heute leiden viele darunter, dass Sozialleistungen abgeschafft wurden. Nach Privatisierungen von Staatbetrieben haben viele ihren Job verloren. Inoffiziellen Schätzungen zufolge soll die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent liegen. Zwar versprechen einige Kandidaten mehr soziale Gerechtigkeit und ein Ende der Privatisierungen, doch werden ihnen kaum Chancen eingeräumt. Viele Ägypter wollen am 7. September aber auch deshalb für Mubarak stimmen, weil sie den anderen das Regieren nicht zutrauen.

Trotzdem scheint sich Mubarak seines Siegs nicht sicher zu sein. So soll er den Muslimbrüdern versprochen haben, zahlreiche ihrer inhaftierten Mitglieder freizulassen, sollte die verbotene Organisation seine Wahl unterstützen. Die Islamisten weisen solche Deals allerdings weit von sich. Wie die linke Tagammu und die Nasseristen haben sie zum Wahlboykott aufgerufen. Allerdings debattieren die drei Gruppen noch, ob sie nicht doch zur Wahl von Ghad oder Wafd aufrufen sollten. Vor allem die Haltung der Muslimbrüder könnte das Ergebnis stark beeinflussen. Als sie 1984 die Wahl der Wafd unterstützten, gewann diese 58 Sitze. Heute hält sie nur vier.