Nationalstaatsfixiert

Die Linkspartei zielt an den drängenden Fragen der heutigen Zeit vorbei. von miriam lang

Gemessen an der Herausforderung, vor der die Linke weltweit steht, wirken ihre Konzepte altbacken, provinziell, ja sogar konservativ. Denn auch die Linkspartei nennt die Dinge nicht beim Namen, auch sie macht jenes Spiel mit, das es erfordert, den WählerInnen vorzugaukeln, PolitikerInnen auf der nationalen Bühne hätten heutzutage die notwendigen Entscheidungsspielräume, und es komme nur darauf an, wie man sie nutzt. Dabei ist doch längst klar, dass das Kernproblem der wachsenden Arbeitslosigkeit sich national gar nicht lösen lässt, dass es durch internationale Entwicklungen produziert wird, die sich ökonomisch längst vollzogen haben. Entwickluungen, die sich nur – glücklicherweise für die Deutschen – aufgrund des erreichten Entwicklungsstands hier erst später und allmählicher auswirken als in vielen anderen Teilen der Welt.

In Lateinamerika beispielsweise bekommen große Teile der Bevölkerung, die ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft bestritten haben, schon länger zu spüren, dass sie für den Weltmarkt schlichtweg überflüssig sind. Dort wurde früher und gründlicher dereguliert und privatisiert als hierzulande, wo diese Entwicklung in abgemilderter Form immer ein paar Jahre später einsetzte. Eine greifbare ökonomische Alternative ist derzeit für die Menschen dort nicht in Sicht, die vorhandenen Ansätze zu einem subkontinentalen Binnenmarkt sind bisher politisch zu schwach unterlegt. Vielleicht ist auch deshalb in Lateinamerika die Krise der parlamentarischen Demokratie als des politischen Repräsentationssystems, das den nationalstaatlich organisierten Ökonomien entsprach, viel augenfälliger als in Deutschland.

»Que se vayan todos!« (»Sie sollen alle verschwinden!«), riefen die Argentinier 2001 Politikern aller Parteien zu. In Ecuador und Bolivien jagt die Bevölkerung mit Massenprotesten einen Präsidenten nach dem anderen aus dem Amt. In Mexiko erteilen die ZapatistInnen der »politischen Klasse« eine allgemeine Absage, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit und Programmatik. Diese Menschen in Lateinamerika fühlen sich von den dortigen PolitikerInnen nicht mehr repräsentiert, sie haben keine Hoffnung mehr, dass eine neue Partei etwas besser machen könnte. Sie haben verstanden, dass das Parteiensystem in seiner derzeitigen Form selbst obsolet geworden ist, dass die Zeit der nationalstaatlichen Politik ebenso vorüber ist wie die der nationalstaatlich organisierten Ökonomie; dass keine Partei eine Lösung für ihre existenziellen Probleme offerieren kann.

Die wahlkämpferische Pose, zu versprechen, man könne mit Korrekturen an der Steuerpolitik hier und dort etwas daran ändern, dass das heutige Akkumulationsregime die meisten Menschen eigentlich gar nicht braucht, ist obendrein zutiefst undemokratisch: Sie verschleiert die Probleme der Zeit, anstatt die WählerInnen darüber zu informieren, wie klein der Bereich ist, über den sie noch entscheiden können. Darüber, wie begrenzt die Spielräume nationaler PolitikerInnen heutzutage sind, auf welchen Ebenen und von welchen Instanzen, fernab von gewählten Strukturen, die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Wahlen werden zunehmend zum Wettbewerb darum, wer die eigene Ohnmacht am überzeugendsten vermarkten kann. Deshalb werden sie auch zunehmend als Entertainment gestaltet.

Die Linkspartei erhöht nur den Unterhaltungsfaktor dieses Entertainmentprogramms. Sie tut nichts anderes, als innerhalb dieses Spiels eine neue Figur auf dem Brett zu platzieren. Hoffnungen, es könnte damit auf parlamentarischer Ebene eine effizientere Interessenvertretung der »Überflüssigen« geben, sind jedoch fehlgeleitet, denn das Problem sind hier nicht die Farben der Spielfiguren, sondern das Brett und die Regeln an sich. Durch die Eröffnung einer neuen Variante stabilisiert die Linkspartei im Grunde das kriselnde System politischer Repräsentation.

Für die Linke stellen sich unterdessen ganz andere Fragen, die, um künftige Entwicklungen vorwegzunehmen, dringend mit Blick über den nationalstaatlichen Tellerrand hinaus diskutiert werden müssten. Zum Beispiel die Frage, wie Gesellschaften sich in der post-nationalstaatlichen Ära eigentlich gerecht und demokratisch organisieren lassen. Wer jedoch im Kopf zwischen Lafontaine, Müntefering und der Volksgemeinschaft hängen bleibt, wird dazu nichts beitragen können.