Rechter Haken, linker Haken

In den Wahlkreisen des Landes wird erbittert um die Direktmandate gekämpft. Wer gegen wen? Teil III

Hohmann gegen Brand

Wenn eine Region die Bezeichnung Provinz verdient, dann ist es der Wahlkreis 176 rund um Fulda. Manche kennen die osthessische Gegend vielleicht vom Blick aus dem Fenster des ICE, von oder nach Berlin fahrend, und erinnern sich an die Feststellung eines Frankfurter Philosophen aus den sechziger Jahren, wonach die Entbarbarisierung auf dem platten Land noch weniger als sonstwo gelungen sei.

Namen wie Alfred Dregger, Johannes Dyba und natürlich Martin Hohmann fallen einem ein. Dregger, einer von der Stahlhelmfraktion der Union, war eine halbe Ewigkeit der Direktkandidat des Wahlkreises und der frühere Bischof Dyba sozusagen sein geistlicher Doppelgänger. Beide sind inzwischen tot, an Dreggers Stelle trat Martin Hohmann, ein würdiger Nachfolger. Sein Sieg als Direktkandidat stand bei den letzten Wahlen nicht zur Debatte.

Doch bis zum 18. September steht für ihn eine Zeit des Bangens bevor. Er kandidiert nämlich nach dem Ausschluss aus der CDU wegen seiner antisemitischen Rede zum 3. Oktober 2003 als parteiloser Kandidat. Und weil die Menschen vom Lande dafür bekannt sind, nicht gerade flexibel zu sein, ist es gut möglich, dass Hohmann Opfer dieser Unflexibilität wird und nicht mehr in den Bundestag einzieht. Aus dem gleichen Grund kann sich der unscheinbare Mittdreißiger Michael Brand, der seit dem Jahr 2001 Pressesprecher der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag ist und nun im Wahlkreis 176 antritt, Chancen auf einen Sieg ausrechnen.

Auch er hält die nationalkonservative Linie Dreggers für fortsetzungswürdig und appelliert deshalb an die Wähler, den Wahlkreis nicht »den Roten« zu überlassen. Wer Hohmann seine Stimme gebe, mache genau dies, schwingt bei seinem Wahlkampf mit, und überhaupt: »Nur ein CDU-Abgeordneter, eingebunden in die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Ansprechpartnern in der neuen CDU-geführten Bundesregierung und der CDU-Landesregierung, kann etwas für die Region bewegen.« Brands Slogan lautet folgerichtig: »Keine Experimente.«

Und wenn die Mehrheit am Ende doch den echten Hohmann im Bundestag sehen will? »Ich trete an! Nicht zuletzt die zahlreichen Aufforderungen und Zusprüche von Ihnen (…) aus dem Wahlkreis 176 Fulda und darüber hinaus haben mich in der erneuten Direktkandidatur zum Deutschen Bundestag gefestigt. Wenn selbst bekannte Sozialdemokraten mir ihre Erststimme zusagen, dann stehen die Chancen durchaus gut«, schreibt er auf seiner Homepage. Ihm scheint die Rolle als parteiloser Rächer des Volkes inzwischen gut zu gefallen: »Nur der fraktionsunabhängige Abgeordnete kann Sprachrohr der schweigenden Mehrheit sein.« Hohmann führt gegen Brand seine nationalkonservative Glaubwürdigkeit des vom großen Politiker zum kleinen Manne Degradierten an, während sein früherer Parteikollege pragmatisch und wahlstrategisch argumentiert, ohne inhaltliche Differenzen zu Hohmann zu äußern. Mehr als andere Wähler dürften die Konservativen der osthessischen Region am 18. September darunter leiden, dass sie nicht zwei Kreuzchen machen dürfen: eins für ihren CDU-Kandidaten und eins für ihren Hohmann.

jesko bender

Müller gegen Mützenich

Wenn Nippes und Ehrenfeld die Republik regierten, dann wäre Deutschland so friedliebend wie Kiribati. Um im Wahlkreis Köln III gewählt zu werden, muss man mindestens Abrüstungssprecher sein oder die Globalisierung gerecht und nachhaltig gestalten. Kriegstreiber würden die gut verdienenden und proper gekleideten Alternativen aus dem Kölner Nordwesten selbstverständlich nie nach Berlin entsenden. Auch nicht nach Kiribati. Denn das wäre blanker Unsinn: Der Südseestaat unterhält keine Streitkräfte und gehört keinem Militärbündnis an. Genauso wie Nippes und Ehrenfeld eben, wo die Menschen alle gut sind und weltweit für die Menschenrechte kämpfen.

Seit kurzem lächelt Kerstin Müller (Grüne) von jedem zweiten Laternenpfahl in den beiden Stadtvierteln, in denen ihre Partei je nach Wahlbezirk bis 30 Prozent für sich verbuchen könnte. »Friedensorientierung« hat sich die Staatsministerin im Auswärtigen Amt auf die Fahnen geschrieben, und das ist ein schöner, passender Ausdruck für die grüne Außenpolitik: Man orientiert sich, wie es um den Frieden bestellt ist, und macht dann, was man ohnehin tun wollte. Ganz wichtig: Kein Zwang zum Krieg! Müller setzt das seit ihrem Amtsantritt vor drei Jahren knallhart durch. Asien, Afrika und Lateinamerika gehören zu ihrem Aufgabenbereich, und siehe da: In ganz Lateinamerika sind keine deutschen Truppen stationiert!

Selbstverständlich kämpft Müller auch für die Menschenrechte weltweit, insbesondere das Menschenrecht auf Visafreiheit für deutsche Staatsministerinnen. Viel Ärger mit den Vereinten Nationen bekam die grüne Außenpolitikerin nach einem Go-In in den Südsudan, wo sie demonstrativ ohne das erforderliche Reisedokument einflog. Das habe die Friedensbemühungen empfindlich gestört, heißt es bei der Uno. Seltsam ist diese Kritik, wohl friedenspolitischem Idealismus geschuldet, aber der grüne Kampf für Menschenrechte erfordert eben einen langen Atem und viel Geduld.

Dass Müller trotz allem keine Aussichten hat, im Kölner Nordwesten direkt gewählt zu werden, liegt nicht zuletzt am ungünstigen Zuschnitt des Wahlkreises Köln III. Übel wollende Kräfte haben Nippes und Ehrenfeld mit der Hochhaussiedlung Chorweiler zu einem einzigen Wahlkreis zusammengeschlossen, und da die Jugend von Chorweiler zwar ebenfalls kämpft, aber nicht immer für Friedensorientierung und Menschenrechte, kommen die Grünen hier nicht ganz so gut an. Das ist ein Glück für Rolf Mützenich von der SPD, der Köln III bei den vergangenen Wahlen gewonnen hat.

Doch auch Mützenich ist ein sehr friedensorientierter Kandidat. Als Sprecher der SPD-Fraktion für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung kümmert er sich darum, dass andere Staaten Waffen verschrotten, die die Bundeswehr nicht besitzen darf. Ansonsten arbeitet er im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Der beschäftigt sich auch mit den derzeit neun Staaten, in denen deutsche Soldaten die Abrüstung möglicher Gegner aktiv vorantreiben und die Globalisierung auf ihre Weise und ganz besonders nachhaltig gestalten.

jörg kronauer

Schily gegen Bordin

Der Stimmkreis München-Land legt sich wie ein Kragen im Norden, Osten und Süden um die bayerische Landeshauptstadt. Es ist der Wahlkreis von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Präsent ist er dort praktisch nicht. Möglicherweise flog er vergangene Woche im Hubschrauber über ihn hinweg, bevor er über Eschenlohe kreiste, einem Dorf nahe Garmisch-Partenkirchen, welches das Hochwasser überflutet hatte.

Weil Schily und seine Kollegen aus den Ländern seinerzeit das Verbot der NPD verbockten, kann Norman Bordin bei der Bundestagswahl für die NPD gegen Schily antreten. Bordin ist Kameradschaftsführer in München und saß im Knast, weil er an einer Schlägerei beteiligt war, bei der ein Grieche fast totgeschlagen wurde. Seit Herbst 2004 ist Bordin NPD-Mitglied, er wohnt jetzt in Ottobrunn, einem Vorort, der durch die Rüstungsschmiede Messerschmidt-Bölkow-Blohm bekannt wurde.

Eine Podiumsdiskussion mit Schily und Bordin hätte ihren Reiz. »Afrikas Probleme müssen in Afrika gelöst werden«, lautet Schilys Devise. Selbst Minderjährige werden in Abschiebehaft gesteckt und deportiert. Seine Idee, in Nordafrika Lager für Flüchtlinge einzurichten, rechtfertigt er damit, dass die Menschen davor bewahrt werden sollten, das Mittelmeer in maroden Booten zu überqueren oder sich »gewissenlosen Schleusern« anzuvertrauen. Burkhard Hirsch (FDP) bescheinigte ihm einen »totalitären Geist«. Schily sei »der Kampf des Guten mit dem Bösen wichtiger als das Recht«, schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Vielleicht hängt das mit seiner anthroposophische Erziehung zusammen. Deren Begründer Rudolf Steiner predigte den Kampf der Erleuchteten gegen die Mächte der Finsternis. Schily sympathisiert mit dieser Lehre. Er sorgte als stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag 1996 mit dafür, dass die Anthroposophie nicht ins Visier der Sektenkommission geriet. Seine Asylpolitik kann als kongeniale Ausführung jenes Steiner-Wortes gesehen werden, wonach »die Negerrasse« in Europa nichts zu suchen habe.

Gesprächsstoff hätten Schily und Bordin also. Das Rennen im Wahlkreis München-Land dürfte ein anderer machen, der CSU-Kandidat Georg Fahrenschon, 37 Jahre alt, seit der Spätpubertät Parteifunktionär. Er ist Unternehmensberater und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und will bis zum Wahltag jeden Ort vier Mal besuchen. Er wird viele Hände schütteln und jede Menge Weißwürste verspeisen, um an das Ergebnis seines Vorgängers anzuknüpfen, der 2002 mit rund 55 Prozent der Stimmen gewann.

Schily kommt wohl trotzdem wieder in den Bundestag, weil er auf dem dritten Platz der bayerischen SPD-Liste steht. Die Kandidatin der Linkspartei, Lili Schlumberger-Dogu, steht nicht auf der Landesliste ihrer Gruppe. Sie kandidierte 1998 für die Grünen und verließ die Partei wegen des Angriffs auf Jugoslawien, war jahrelang aktiv im bayerischen Flüchtlingsrat und tritt gegen Schily an, weil sie seine Asylpolitik kritisiert. Schade, dass wir wohl nicht erleben werden, wie sie im Bundestag die Lagerkommandanten Schily und Lafontaine, ihren neuen Parteifreund, attackiert.

peter bierl