Nach dem »Comeback«

Jimmy Braddock war Weltmeister im Schwergewichtsboxen. Der Film »Das Comeback« erzählt seine Geschichte nur bis 1935. Eine Fortsetzung als Fortsetzungsgeschichte, Teil 1. von martin krauss

Der letzte Gong ertönt. Jimmy Braddock ist verdient Weltmeister. Der Schwergewichtsboxer hebt die Hände, die Menge im Madison Square Garden Bowl in Long Island/New York bejubelt ihren Helden, und in der Ecke sitzt ein mehr als nur geschlagener Max Baer.

So endet »Das Comeback«, der Film, der seit kurzem mit Russel Crowe und Renée Zellwegger in den deutschen Kinos läuft. So endete 1935 auch der reale Kampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht.

»Das Comeback« erzählt das Leben Jimmy Braddocks bis zu diesem 13. Juni 1935, dem größten Triumph seines Lebens. Danach ging jedoch nicht sein Abstieg los, sondern erst durch den Überraschungssieg über Max Baer wurde er in die Lage versetzt, eine der wichtigsten sporthistorischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu werden.

Als Jimmy Braddock um den WM-Titel boxte, hatte Max Baer schon den Vertrag für den folgenden Kampf unterzeichnet. Dass er gegen Braddock gewönne, schien Formsache. Der ernst zu nehmende Gegner, auf den sich Baer vorbereitete, hieß Max Schmeling. Der Deutsche, von 1930 bis 1932 Weltmeister im Schwergewicht, war im Juni 1933 von Max Baer geschlagen worden: Schmeling hatte nicht den Hauch einer Chance besessen, und was die Schmach für die deutsche Seite noch größer machte, war der Umstand, dass Baer mit einem auf die Trousers gestickten Davidstern in den Ring trat. Viele seiner Zeitgenossen hielten den Mann aus Kalifornien für einen Juden, und er selber spielte gerne und bewusst mit diesem Image.

Nach dem Verlust seines WM-Titels 1932 war Schmeling in eine boxerische Krise geraten, und erst langsam boxte er sich wieder in die Weltspitze. Der Hamburger Promoter Walter Rothenburg erkannte den ungeheuren symbolischen Nutzen für die Nazimachthaber, wenn der beste Schwergewichtsboxer der Welt aus Deutschland käme. In einem Telegramm fragte Rothenburg bei Baers Management an: »Was kostet Baer für einen Weltmeisterschaftskampf gegen Max Schmeling?« In seiner 1948 erschienenen Autobiografie begründet Rothenburg sein Engagement: »Es war kein Geheimnis mehr: Deutschland war auf dem besten Weg, Amerikas Boxmonopol zu brechen. Der boxgewaltige Garden in New York war ziemlich matt gesetzt.« Das Management Baers forderte 300 000 Dollar, und Rothenburg erkannte die Chance. Baer, so überlegte er sich, könnte eine solche Börse in den USA niemals erhalten. Also könnte er, wenn er dieser Forderung zustimmte, den Kampf in Europa, vielleicht sogar in Deutschland, stattfinden lassen. So könnte Deutschland Boxweltmacht werden. »Das allein war das Geld wert«, freute sich Rothenburg. »Die Zukunft wurde bezahlt, nicht die Gegenwart!«

Gegen Deutschland als Austragungsland dieses Kampfes gab es seitens der NS-Führung Vorbehalte. In einem Brief an den Berliner Oberbürgermeister Sahm hieß es, dass ein Kampf gegen den »jüdisch-amerikanischen Boxer Baer« in Deutschland »auf Wunsch des Führers« nicht zustande kommen könne. Rothenburg stellte daraufhin Anfragen in England und den Niederlanden. In England dachte er an eine neue Arena in Blackpool und auch an das Wembleystadion in London, allerdings waren, so hieß es in dem Fachblatt Boxsport, in England wie auch in Italien Kämpfe zwischen zwei Ausländern verboten. In Amsterdam dachte Rothenburg zunächst an das Olympiastadion von 1928. Als es konkreter wurde, schreckte ihn die Amsterdamer »Lustbarkeitssteuer«, außerdem hielt er das Stadion mit seinen 70 000 Plätzen für zu klein. Aber in der Nähe von Amsterdam guckte er sich ein Dorf aus, wo er eine Freiluftarena bauen lassen wollte; allein der Innenraum sollte 100 mal 100 Meter groß sein. »Diese Arena wollten wir dem Dorf, nach Austragung der Weltmeisterschaft, als Geschenk hinterlassen.« Ökonomische Probleme sah Rothenburg keine, er hatte schließlich gut mit dem Bürgermeister über die Gewerbesteuer verhandelt. »Die Steuerersparnis reichte aus, die Arena sozusagen umsonst zu bauen.«

Als Max Baer in Long Island gegen Jimmy Braddock in den Ring trat, schickte sich Walter Rothenburg in Deutschland gerade an, den Vorverkauf zu organisieren: »Ich platzte beinahe vor Kraft und Freude. 100 000 Gulden waren nun auf einmal für mich zu verdienen. Dazu noch 10 000 Dollars Filmgeld. Rund eine viertel Million Mark für mich!«

Doch Baer verlor, der WM-Kampf, an dem Rothenburg so gut verdienen wollte, war geplatzt. Paradoxerweise empfanden die Deutschen Braddocks Sieg über einen amerikanischen Boxer, der sich trotz katholischer Herkunft ein jüdisches Image gegeben hatte, als Katastrophe. »Damit waren alle europäischen Weltmeisterschaftspläne ins Wasser gefallen«, jammerte Arno Hellmis, der berühmteste Boxreporter in Diensten der NS-Propaganda, »der Schwerpunkt der großen Boxschlachten verlagerte sich wieder nach ›Gottes eignem Land‹, wie die Amerikaner ihr Riesenreich in aller Bescheidenheit zu nennen belieben.«

Bald berappelten sich die deutschen Boxstrategen. »Meine Freunde fanden mich aber nicht mit einer Kugel im Kopf vor«, schrieb Rothenburg, »sondern mit einem neuen Plan.« Er wollte den geschlagenen Baer auch noch als Ex-Weltmeister nach Deutschland oder zumindest Europa holen. Er bot nunmehr eine Gage von 100 000 Dollar, und nach den Angaben Rothenburgs war Baer immer noch zu diesem Kampf bereit, allein eine Verletzung hindere ihn daran. Auf Kritik, die in den USA an seinen Plänen, in Nazideutschland anzutreten, laut wurde, antwortete Baer: »Jeder Schlag in das Gesicht Schmelings ist ein Schlag in das Gesicht Hitlers.«

Auch um andere Kämpfe für Schmeling bemühte sich Rothenburg: Etwa gegen den neuen Weltmeister Braddock oder gegen den noch recht neu in der Boxszene agierenden und als Genie bestaunten Joe Louis. Aber: »Es hat ihn lange genug gewurmt«, schrieb die Boxsport über den Promoter, »dass Braddock nur bereit ist, in Amerika seinen Titel als Weltmeister zu verteidigen, und dass auch der neu hochgekommene Neger Joe Louis scheinbar nur in amerikanischer Luft kämpfen kann.«

Je mehr Informationen über die Zustände in Nazideutschland nach Amerika gelangten, desto stärker wurde die Boykottbewegung gegen Auftritte deutscher Sportler in den USA.

Max Schmeling bekam 1936 trotz heftiger Widerstände einen Kampf gegen Joe Louis, den er überraschend gewann. Der Kampf galt offiziell als Ausscheidungskampf um das Recht, den Weltmeister Braddock herauszuforden. »Max Schmelings Sieg – ein deutscher Sieg« hieß der Film, der auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers in die Kinos kam, und unmittelbar nach Schmelings Triumph begannen die Verhandlungen mit Braddocks Management. Aus Goebbels’ Propagandaministerium erging diese Anweisung an die Presse: »Was die Frage des Weltmeisterschaftskampfes betrifft, so sollen die Meldungen, der Kampf werde im September auf dem Reichssportfeld ausgetragen werden, noch nicht übernommen werden.« Ein künftiger Weltmeister im Schwergewichtsboxen namens Max Schmeling sollte der ganzen Welt deutsche Stärke zeigen. Entsprechend verhätschelten die Nazis ihren Max. Goebbels notierte in sein Tagebuch, wie Hitler über den Boxer dachte: »Ist begeistert über Schmeling. Erlässt ihm die Steuern. Bravo!«

Die Zuversicht der Nazis war aus ihrer Sicht begründet: Zum einen stand Schmeling ein WM-Kampf zu. Zum anderen galt der amtierende Weltmeister Braddock als besiegbar.

Da auch Braddocks Manager Joe Gould das wusste, plante er mit seinem Mann nicht langfristig, sondern holte möglichst hohe Angebote ein. Um die Verhandlungen möglichst schnell zu einem Abschluss zu bringen, reisten Schmeling und sein Trainer Max Machon unmittelbar nach den Olympischen Spielen 1936 nach New York. Bereits im August vereinbarten Schmeling und Braddock, dass sie kurzfristig, nämlich noch im September desselben Jahres, den WM-Kampf austragen wollten. Als vor Trainingsbeginn beide Boxer vor der New Yorker Kommission erscheinen sollten, erklärte Braddocks Manager Joe Gould, sein Mann leide unter einer Handverletzung, er könne nicht trainieren und im Herbst nicht boxen. Schmeling und seinen Leuten wurde klar, dass sie nicht auf einer Einhaltung des Kampfvertrags bestehen konnten – auch wenn sie die Ernsthaftigkeit der Verletzung bestritten –, und sie gaben sich flexibel. »Wir sind nicht daran interessiert, gegen einen kranken Mann oder gegen einen Gegner Weltmeister zu werden, der sich nicht im Vollbesitz seiner Möglichkeiten befindet«, sagte Max Machon und schlug die Verschiebung um exakt ein Jahr vor. Braddock willigte ein, der Kampf wurde auf den 3. Juni 1937 angesetzt. Beide Kämpfer hinterlegten ein Pfand von 5 000 Dollar bei der Kommission.

Ursprüngliche Pläne der deutschen Seite, Braddock für »250 000 steuerfreie Dollar und prozentuale Beteiligung« (Schmeling) ins Berliner Olympiastadion zu locken, waren in jedem Fall gescheitert. Dabei hatten nicht nur Schmeling und sein amerikanischer Manager Joe Jacobs, der Jude war, für den Kampf gearbeitet, sondern auch die offizielle NS-Politik. Schon im Februar 1937 fand sich in Goebbels’ Tagebuch der Eintrag, dass ein Beamter seines Ministeriums mit »Schmeling-Braddock für Berlin« betraut war, das »kostet viel Devisen. Damit muss noch Göring befasst werden.« Bei Goebbels ist sogar von 350 000 Dollar die Rede.

Von Martin Krauß erschien: »Schmeling. Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen«, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2005, 264 S., 18,90 Euro