28.09.2005

Diffuse Biosabotage

Biotechnologie – Utopien und Widerstandsstrategien. Von Carsten Does

Vor einigen Jahren schien es, als ob sich in den USA unter dem Label Biopunk eine bunte Mischung von Science-Fiction-Fans, Wissenschaftlern und BioTech-Künstlern sammeln würde, die der Bio- und Gentechnologie positiv gegenüberstehen. Mit ihrem »Biopunk-Manifest« bezog sich Annalee Newitz auch auf die postmoderne Femininstin Donna Harraway, und ihr »Cyborg-Manifest« postulierte eine ambivalente biotechnologische Utopie, in der die neuen Life Sciences eine Chance böten, die Zwänge herrschender Bipolaritäten (z.B. Natur/Kultur) und patriarchalischer Zuweisungen zu überwinden. »Obwohl mir einige widersprechen werden, denke ich«, so Newitz, »dass die Biopunk-Bewegung für das Klonen ist. Alles, was die menschliche Fortpflanzung verändert, ist gut. Es holt uns aus diesem Mama-Papa-Baby-Schicksal.«

Mit dem Slogan »Free our genetic data« orientierte sich Newitz am Open-Source-Gedanken der Software-Branche. Weil Patentierung und Privatisierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einem wirklichen Forschungshemmnis zu werden drohen, verfolgen heute immer mehr öffentliche Forschungseinrichtungen zumindest den Open-Access-Gedanken im Hinblick auf die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse. Und selbst erste privatwirtschaftliche Initiativen wie »cambia« versuchen, im Bereich der Agrarbiotechnologie eine Open-Source-Plattform aufzubauen, um so die Monopole der Saatgutmultis in Frage zu stellen.

Eine Demokratisierung gentechnologischen Wissens verfolgt auch Eugene Thacker: »Die Idee einer Garagen-Biotechnologie – ein Abkömmling der Heimcomputer-Bewegung in den siebziger Jahren – erforschend, zielt das ›Biotech Hobbyist Project‹ darauf ab, ein ethisches Engagement in der Biotechnologie durch eine nicht spezialisierte Öffentlichkeit zu fördern.« Dabei geht es dem BioTech-Künstler um eine theoretische und praktische Aneignung der Biowissenschaften. Anders als Newitz glaubt Thacker jedoch weder an eine »Utopie der Biotechnologie von unten noch an Biotechnologie als Lösung für soziale Probleme«.

Biopunk is not dead. Auch der Postpunk-Musiker Genesis P. Orridge betont jene Momente der Biotechnologie, die den Zusammenhang von Identität und Körper zu sprengen versprechen. »Die Menschen haben bereits angefangen, sich Hörner aufzusetzen; Stahlspitzen wachsen aus ihren Köpfen. Bald werden sie ergänzende Gliedmaßen, gemusterte Haarimplantate und serielle Brüste tragen. Wenn wir gelernt haben, den Körper jenseits von Geschlecht und DNA zu formen und zu fanatisieren, werden wir zu aufregenderen Bereichen der Aktivität gelangen.«

Der ehemalige Bandleader von Throbbing Gristle und seine Frau versuchen, sich einander nun mittels Geschlechtsumwandlung, Hormonen, Implantaten und kosmetischer Chirurgie möglichst anzugleichen. Unter dem Motto »We are but one bitch« begreifen sich die beiden als eine Person in zwei Körpern. Dem Konzept der Geschlechterpolarität, das sie als ursächlich für destruktive Aggressionen und Herrschaft sehen, hoffen sie durch eine »positive Androgynität« zu entkommen. Dennoch scheint es, als ob hier die fortschrittlichen Praktiken transsexueller Körperpolitik mit zweifelhaften biotechnologischen Utopien kurzgeschlossen werden, die nicht viel mehr versprechen, als »aufregender« zu sein. Die Genetik gebärdet sich als Punk, um schließlich Pop zu werden.

Für das Critical Art Ensemble (CAE) sind solche Versprechungen von neuen Körpererfahrungen nichts weiter als die gewöhnliche Utopierhetorik, die noch jede Einführung einer neuen Technologie begleitet hat. Aber ist es tatsächlich so, dass – wie das CAE anmerkt – auch dem Bereich transsexueller Geschlechtsumwandlungen und den damit verknüpften »queer politics« eine Vorbereitungsfunktion für die kapitalistische Invasion der Körper zugeschrieben werden muss, oder spricht hieraus nicht eher eine Mutaphobie, wie dies einige Biotech-Künstler behaupten?

Um eine solche Mutationsangst dreht sich auch die von Biopunks als Referenzpunkt angeführte Science-Fiction-Saga »Xenogenesis« der afroamerikanischen Autorin Octavia Butler (dt.: »Die Genhändler«). Hier müssen sich die letzten noch lebenden Menschen fragen, ob sie sich einer überlegenen Kultur von Aliens anpassen und mit diesen genetisch verschmelzen oder ob sie als widerständige, nicht mutierte Menschen unfruchtbar bleiben wollen, um so spätestens in einer Generation unterzugehen. Möglicherweise geht es der Autorin in ihrem Roman aber weniger um eine Angst vor zukünftiger Mutation als um eine Reflexion der historischen afro-amerikanischen Erfahrung von Versklavung und Anpassung an die weiße Mehrheitskultur.

Auch der Berliner Künstler Reiner Matysik, der zum »furchtlosen Einsatz für die aktive Evolution« aufruft, beklagt die Angst vor Mutation und Auflösung des Menschen. Er proklamiert eine zweifelhafte postkapitalistische Biokratie, »in der die Vorherrschaft des Menschen in eine demütige Verpflichtung den biologischen Bewegungen gegenüber verwandelt« wird. Ein herbeigesehntes Wuchern des Menschen, seine Pflanzenwerdung ist bei Matysik immer sexuell aufgeladen. Gleichwohl können seine exzentrischen Arbeiten auch als eine Art subversive Überaffirmation der Biotechnologien gelesen werden. Die sexuellen Phantasien des Künstlers und seine biologisierten Gesellschaftsutopien thematisieren die verdrängten Seiten der Life Sciences: ihre politischen Effekte sowie die häufig patriarchalischen Schöpfungsphantasmen ihrer Protagonisten.

Weit ernsthafter tritt die »Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus« für eine »totale Umgestaltung der menschlichen Art« ein. Der seltsame Kreis technophiler Utopisten hofft auf eine »Verbesserung des Menschen«, die sich allerdings auf eine Erhöhung der Intelligenz und eine Verlängerung der Lebenserwartung reduziert. Fernab jeder sozial-emanzipatorischen Utopie verspricht sich der gemeine Transhumanist seine Verbesserung von der Bio- und Nanotechnologie. Letztgenannte dient als Sammelbegriff und förderungsrelevanter Hype für eine Reihe von Technologien, die sich auf die Erforschung und Verarbeitung von Materialien beziehen, die kleiner als 100 Nanometer sind.

In der Biotechnologie hofft man auf neue Medikamente mit Nanopartikeln und Nano-Roboter, die durch Körpergefäße wandern, um dort Krankheiten aufzuspüren. Während bislang in der Miniaturisierung der Halbleiterelektronik oder in der Erzeugung neuer Werkstoffe eher herkömmliche chemische Verfahren zur Anwendung kommen, träumen molekulare Nanotechnologen davon, die Welt tatsächlich auf der Ebene der Atome neu zusammenzusetzen. Als Vorbild dient die Natur: Enzyme bauen Moleküle auf, kopieren DNA und bilden weitere Proteine. Obwohl ein Forscherteam erst kürzlich eine sich selbst antreibende DNA-Pinzette vorstellte, die 100 000 mal kleiner als ein Stecknadelkopf ist und vielleicht einmal als Teil einer Molekülfabrik dienen soll, ist man allerdings noch weit davon entfernt, auch nur zu ahnen, wie eine solche Nanofabrik funktionieren könnte.

Erblicken linke Technologietheoretiker um die Gruppe »km21« in der Nanotechnologie bereits eine Voraussetzung für ihre Utopie des Transkapitalismus, in der dank dezentraler Nanoproduktion die riesigen und kapitalintensiven Produktionsstätten des Kapitalismus überflüssig werden, formiert sich auf der anderen Seite schon der Widerstand. Wegen des noch ungeklärten toxischen Risikos von Nanopartikeln und eines Patentierungsbooms auf altbekannte, nun zur Nanogröße zermörserte Stoffe verlegen etliche Gentechnikgegner ihre Aktionen auf die Nanotechnologie. Heißt es also demnächst nicht mehr nur »Gen-Dreck weg!« und »Stoppt die Biopiraten«, sondern auch »Kampf der neuen ›Atom‹-Technologie und Nanopiraterie«?

Für das Critical Art Ensemble ist die Bio- und Gentechnologie weitestgehend gesellschaftlich durchgesetzt. In dem Maße, wie die Biowissenschaft zur neuen Leitdisziplin avanciert, sei aber eine genaue Kenntnis ihres Forschungsstandes nötig, um eine zunehmende Biologisierung gesellschaftlicher Verhältnisse kritisieren zu können. Mehr noch: Im Bereich der Biotechnologie selbst gelte es, Widerstandsstrategien zu entwickeln. Ziel kann allerdings nur eine Verlangsamung der molekularen Invasion sein, ein Zeitgewinn also, der es erlaubt, »die Probleme, die bereits aufgetaucht sind, anzugehen«.

Die Nutzung biotechnologischer Methoden für den Widerstand theoretisieren die Biotech-Künstler unter dem Begriff »diffuse biologische Sabotage«. Als Beispiel mag hier ein öffentlich ausgestelltes Forschungsprojekt dienen, das sich genetisch manipuliertem Monsanto-Saatgut widmete. Tatsächlich entdeckte das CAE dabei ein Molekül, welches das Enzym zerstört, das den Schutz der Monsanto-Pflanzen vor dem firmeneigenen Round-Up-Herbizid gewährleistet: Pyridoxal-5-Phosphat ist »sicher (es kommt in Vitaminen vor), und es ist in der Massenproduktion billig. Seine Stärke liegt darin, dass es nur die anvisierten Pflanzen angreift.«