Paul Vanouse arbeitet seit 1990 als interdisziplinärer Künstler und beschäftigt sich mit den sozialen und politischen Implikationen der Gentechnologie. In der Ausstellung »Put on your Blue Genes« zeigt er seine Arbeit »The Relative Velocity Inscription Device« (»Gerät zur Aufzeichnung der Geschwindigkeit von Familienangehörigen«) erstmals in Deutschland.
In unserer Ausstellung schicken Sie die DNA Ihrer Familie in ein ironisches Wettrennen. Die genetischen Proben Ihrer schwarzen jamaikanischen Mutter, Ihres weißen amerikanischen Vaters sowie von Ihrer Schwester und Ihnen wurden aus den angeblich für die Hautfarbe verantwortlichen Genen gewonnen und treten nun in einen Wettkampf um ihre »genetische Fitness«. Damit thematisieren Sie die Angst vor einem neuen genetischen Rassismus. Wenn man aber die Ergebnisse der Genetik betrachtet, nach denen es weit mehr genetische Unterschiede innerhalb einer »ethnischen Gruppe« als zwischen »Ethnien« gibt, dann überrascht mich diese Angst. Beendet die Genetik nicht jeden Rassismus, der sich auf pseudowissenschaftliche biologische Erkenntnisse beruft?
Das ist eine zentrale Frage, mit der sich meine Installation auseinandersetzt. Kann Rassismus fortexistieren, obwohl es keine Rassen gibt? Zwar haben Wissenschaftler der Unesco schon in den fünfziger Jahren »Rasse« als biologische Kategorie zurückgewiesen, aber diese Erklärung hatte keinen großen Einfluss. Inzwischen wird Rassismus unabhängig von der Hautfarbe gesehen und molekular begründet. Der ethnisierende Forscherblick, der nach Varianzen sucht, wendet sich vom Äußeren ab und dem Innersten zu. Das heißt, Schwarze mögen vielleicht keine schlechten Menschen sein, aber, aufgepasst, ihren Genen sollte man nicht trauen.
Tatsächlich lieferte James Watson, Mitentdecker der DNA-Struktur, für diesen wissenschaftlich verbrämten Rassismus ein gutes Beispiel. 2002 beschrieb er ein Experiment, bei dem weißen, männlichen Studenten Melanin injiziert wurde. Melanin ist für die Farbpigmentierung unserer Haut verantwortlich. Watson behauptete, dass alle Studenten daraufhin Erektionen bekommen hätten! Seine Schlussfolgerung war, kulturelle Stereotypen wie das vom oversexed African-American seien tatsächlich wahr und hätten eine biologische Basis.
In der Nachfolge des Human-Genom-Projekts steht heute das Hapmap-Projekt, das die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen »Ethnien« erforscht, und in den USA wurde gerade das erste »ethnische« Medikament zugelassen, eine Pille gegen Herzbeschwerden nur für Afroamerikaner. Sind dies Indikatoren für ein Erstarken des genetischen Rassismus?
Das HapMap-Projekt führt uns meiner Ansicht nach zurück in die koloniale Ära der rassistischen Zuordnungen. Man ist gerade erst dabei, die enorme Komplexität der genetischen Interaktion zu verstehen, in der einzelne Gene zumeist eben nicht unmittelbar für ein sichtbares Merkmal verantwortlich sind, sondern als Code-Maschinen in einer nicht linearen Beziehung zueinander stehen und so ständig die Dynamik anderer Gene beeinflussen. Genau zu einem solchen Zeitpunkt versucht man nun mit dem Hapmap-Projekt, vertraute kulturelle Kategorien wieder zu festigen.
Um mit der Genetik überhaupt ernsthafte Durchbrüche zu erzielen, bedarf es eines Paradigmenwechsels, der das Konzept einer Unterdeterminierung von Theorien sowie den Einfluss von externen Faktoren berücksichtigt. Auch im medizinischen Bereich wird es ohne eine Änderung des Systems von Patenten und der Privatisierung von Wissen keine großen Durchbrüche geben. Natürlich wäre ich froh, wenn ich diese Behauptung zurücknehmen müsste und statt der gängigen Symptomunterdrückung auch nur irgendeine der großen Krankheiten noch zu unseren Lebzeiten als geheilt gelten könnte.
Mit Ihrer Installation beziehen Sie sich auch auf einen der Begründer der amerikanischen Eugenikbewegung, Charles B. Davenport, der 1929 die Studie »Race Crossing in Jamaica« veröffentlichte und die Genetik als eine Methode zur »Verbesserung« der Bevölkerung betrachtete. Heute befürchtet man mit pränatalen Gentests und -behandlungen eine Wiedergeburt der Eugenik. Lässt sich die historische Eugenik des NS überhaupt mit dem vergleichen, was jetzt manchmal als »neue« oder »sanfte« Eugenik bezeichnet wird?
Ich gehe davon aus, dass die historische Eugenik im Sinne einer marktwirtschaftlichen Profitmaximierung nicht sehr gewinnbringend war. Und da nationale kollektive Gesundheitsprogramme eher verschwinden, wird es auch keine massenhaften Mobilisierungskampagnen mehr geben, um die Gesellschaft zwangsweise »zu verbessern«. Auf kurze Sicht werden »Normalisierung« und »Choice« die Schlüsselwörter der neuen Eugenik sein. Methoden zur individuellen »Verbesserung« deines Nachwuchses werden wohl noch auf sich warten lassen. Ich glaube, dass es viele Kräfte gibt (religiöser Fundamentalismus, Privatisierung von Wissen), welche die Forschung verlangsamen. Es wird also noch dauern, bis Leute mit genügend Geld davon überzeugt werden können, sich in eines der futuristischeren Szenarien einzukaufen.
Mit dem Design Ihrer Installation kopieren Sie die Ästhetik von Wissenschaftsausstellungen, die häufig vor allem Akzeptanz für die Life Sciences schaffen sollen. Ist Wissenschaft heute tatsächlich nur ein weiteres Spektakel?
Nun ja, der spektakuläre Charakter der Installation sollte diesem absurden Experiment – indem die Geschwindigkeit eines Gens, das sich durch eine Gelatinelösung bewegt, mit biologischer »Fitness« gleichgesetzt wird – eine eigene Autorität verleihen. Solche zweifelhaften Analogien sind häufige Charakteristika der rassistischen Wissenschaft.
Gleichwohl bin ich nicht an einer Grundsatzkritik von Wissenschaft interessiert, da der Relativismus zu einer mächtigen Waffe der vormodernen Fundamentalisten in den USA geworden ist. Wissenschaft ist ein Prozess der Kartografierung, und als solche stellt sie einen Teil unserer kulturellen Sprache dar und steht in enger Verbindung zur Ökonomie, zur Politik usw. Wahrscheinlich ist es angebracht zu sagen, dass wissenschaftliche Tatsachen in einem langwierigen Prozess argumentativer Logik geschaffen werden. Wie im Fall der Argumente, die für die Notwendigkeit eines Krieges gegen den Irak vorgebracht wurden, kann das Fabrizieren von Tatsachen auch von denjenigen bestimmt werden, die genug Kapital und Macht besitzen, um die Recherche und Forschung durchzuführen. Dennoch glaube ich, dass die Selbstkontrolle innerhalb der Community von wissenschaftlicher Auseinandersetzung und Publizistik wesentlich besser funktioniert als in der Politik.
Der Fall um Steve Kurtz vom Critical Art Ensemble, der mit dem absurden Vorwurf des Bioterrorismus konfrontiert wurde, nachdem das FBI bei ihm Bakterienkulturen und Laborutensilien, die er für seine Kunst nutzt, gefunden hat, scheint eine Spaltung der kleinen BioTech-Kunstszene zu befördern. Während auf der einen Seite BioTech-Künstler wie Joe Davis meinen, BioTech-Kunst sollte allein unter einer strikten institutionellen Kontrolle stattfinden, argumentieren andere, dass jeder nach Belieben mit den Werkzeugen der Genetik und Biotechnologie herumspielen sollte. Gibt es wirklich ein progressives Element in der Figur des amatuerhaften BioTech-Künstlers? Oder ist das nicht mehr als ein eitles Kokettieren mit neuen »avantgardistischen« Technologien, die aber vielleicht eine reale Gefahr mit sich bringen könnten?
Der Laie oder die Amateurin ist in bestimmter Hinsicht die utopischste Figur. Sie reißt die zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen errichteten Schranken nieder, während sie sich auf dem Weg von einer Quelle des Expertenwissens zur nächsten durchschlägt. Sie steht für den gut informierten Citoyen, der in der Lage ist, sich ohne Abhängigkeit von einem Arbeitgeber darüber zu äußern, wie neue Technologien in die gesellschaftliche Sphäre eintreten sollten. Ich halte diese Figur eigentlich für ein zukunftsweisendes Modell. Es kann natürlich für die Mächtigen eine Bedrohung darstellen, wie zum Beispiel die Free-Ware-Bewegung für Software-Firmen eine Bedrohung darstellt.
Was die Szene der BioTech-Künstler angeht, bin ich davon überzeugt, dass die meisten von uns sich in eine Diskussion über die ethischen Implikationen der Genomwissenschaften begeben haben. Daher sollte auch die Zugangsberechtigung zu bestimmten Materialien von Fall zu Fall und nicht kategorisch reguliert werden. Sie sollte auf vernünftigen Vorsichtsmaßnahmen basieren und berücksichtigen, ob dieses Material tatsächlich gefährlicher ist als die Haushaltschemikalien, die sich ohnehin in unseren Regalen stapeln. Am Ende der chemischen Revolution gab es in den USA bereits eine breite Bewegung von wissenschaftlichen Amateuren, und es waren eben nicht diese Amateure, die unsere Flüsse mit Quecksilber vergifteten.
Das Gespräch führten Carsten Does und Andrea Keiz. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Heike Kleffner besorgt und für den Kartoffeldruck freigegeben.