Geld und Gene
»Gene an die Gabel« lautet der Titel des ersten Gen-Kochbuchs der Welt. Mit ihm will der Mediziner Beda M. Stadler den Leser zum Genuss von gentechnisch veränderter Nahrung bekehren. Stadler gibt den Gegenpart zur Schauspielerin Barbara Rütting, die in den achtziger Jahren das Kochen mit »biologisch-dynamischen Lebensmitteln« salonfähig machte.
Im Plauderton desavouiert er Ökolandwirtschaft als ebenso ideologisch motiviert wie schädlich. Herausgegeben wurde »Gene an die Gabel« von »InterNutrition«, einer Lobbyorganisation der Schweizer Chemieindustrie. Das Konzept des Buches entwarf »Burson-Marsteller«, eines der größten globalen PR-Unternehmen. Es verkauft der Öffentlichkeit nicht nur die Rechtfertigung der Kriegseinsätze der US-Armee. Greenpeace deckte eine 1997 von »Burson-Marsteller« im Auftrag der europäischen BioTech-Lobby entworfene Strategie auf, mit der die renitenten Europäer doch noch von der Gen-Tomate überzeugt werden sollen.
In diesem langfristig angelegten Kommunikationskonzept wurde der Life-Science-Branche geraten, nicht mehr als Propagandistin ihrer eigenen Interessen zu agieren. Nichts schrecke mehr ab als die Offenbarung des Gewinnmotivs. Ihre Marketingabteilungen sollten lieber verdeckt aus dem Hintergrund für positive Wahrnehmungen sorgen. Am besten sei es, erkennbar unabhängige Personen und Einrichtungen sprächen für die Bio- und Gentechnik.
Als vermeintlich neutrale Instanzen für deren Popularisierung bieten sich nicht von ungefähr Wissenschaftsausstellungen an. Museen und andere Bildungseinrichtungen sahen sich durch eine seit den achtziger Jahren verstärkte Klage aus Forschung und Wirtschaft, unter der Bevölkerung grassiere ein wissenschaftlicher »Analphabetismus« und eine irrationale Technikfeindlichkeit, dazu gedrängt, ihre Pädagogik zu überholen. Forschung und Medizin sollten dem Publikum künftig stärker über den Kontext ihrer alltagspraktischen Verwendung nahe gebracht werden. Dies machte Investitionen in neue Vermittlungsformen notwendig. Doch zugleich zog sich der Staat wegen leerer Kassen aus der Kulturförderung zurück. Hier sprang oftmals die Pharmaindustrie als Sponsor ein. Hatte sie in der politischen Arena erfolgreich für die Finanzierung biotechnologischer Forschung geworben, galt es ab den neunziger Jahren, auch die Konsumenten an eine genetisch veränderte Zukunft zu gewöhnen.
Beispielhafte Arbeit leistet in dieser Hinsicht der »Wellcome Trust« in Großbritannien. Aktionäre legen über diese gemeinnützige Stiftung, die u.a. federführend das britische Human Genome Project etablierte, ihr Kapital in medizinischer Forschung an. Schon früh war man sich hier der erhöhten Notwendigkeit von PR-Arbeit bewusst und eröffnete deshalb 1992 in London das Wellcome Building mit Bibliothek, Kunstsammlung und der Ausstellung »Science for Life«. Sie galt dank des Einsatzes von Touchscreens, Splitscreenmonitoren, Licht- und Geräuscheffekten als wegweisend für eine Präsentation von Wissenschaft, die sich an Installations- und Medienkunst orientiert. Erklärte Absicht war es, die Schranke zwischen Wissenschaft und Kunst zu überwinden, um das Publikum dahin zu bringen, Wissenschaftsausstellungen auf die gleiche Weise zu rezipieren wie Kunstausstellungen oder Konzerte.
In den neunziger Jahren wiesen in Deutschland Künstlergruppen wie »BüroBert« und »minimal club« darauf hin, dass die Durchsetzung eines genetischen Determinismus auch im Bereich der Kultur geschehe. Die Schwierigkeit, zwischen einem einfachen Gefallen an Technologie und Techno-Ästhetik, einer Angleichung an die Vorgaben der Industrie und offen reaktionären techno-eugenischen Phantasien zu unterscheiden, mache es notwendig, als Basis einer Kritik an Gen- und Biotechnologie die eigene Verwicklung in die kulturelle Vermittlung der Technologien nicht zu leugnen, sondern produktiv zu machen. »BüroBert« und »minimal club« veranstalteten als Resultat ihrer Analyse der medialen Darstellungen der Gentechnologie zusammen mit politischen Initiativen Informationsschauen wie »Game Grrrl« und »Nature™« in München und Zürich, in denen die Bildpolitik des Wissenschaftsbereichs und der Life-Science-Konzerne gegen diese gewendet wurde.
Diese propagierte Strategie des Abwertens der Annahmen der Bio- und Gentechnologie blieb aber ohne Einfluss auf die politische Debatte. Mögen für die Ausbreitung grüner Gentechnik zumindest in Europa noch Camouflage-Strategien nötig sein, um die Ablehnung in der Bevölkerung aufzuweichen, so prangen mittlerweile die Logos von Chemieriesen demonstrativ auf den von ihnen finanzierten Wissenschaftsschauen, die das Zeitalter der Gendiagnostik feiern.
Dies zeigt die 2003 eröffnete US-Wanderausstellung »Genome – The Secret of How Life Works«. Sie knacke »die geheimen Codes, die uns zu dem machen, was wir sind, und die Einfluss darauf nehmen, wer wir werden können«, so ihre Macher. Interaktiv und familienfreundlich werden die Effekte der Gentherapie für die Zukunft der Medizin und Gesundheitsvorsorge veranschaulicht. Hauptsponsor ist der Chemieriese »Pfizer«, der auf seiner Webpage die Gene quasi als Backrezept für das Wesen des Menschen anpreist. In Kooperation unter anderem mit dem National Human Genome Research Institute wurde die Ausstellung von »ClearChannelExhibitions« (CCE) konzipiert, dem weltgrößten Anbieter von Wanderschauen im Blockbuster-Stil. CCE wirbt damit, Bildung und Unterhaltung von Millionen mit den Werbeinteressen von Sponsoren in Einklang bringen zu können. Zu den Partnern von CCE gehören neben »Pfizer« auch »Coca Cola« und der Vatikan.
In Europa hat sich der Schweizer Life-Science-Konzern »Novartis« mit der Inszenierung eines biomedizinischen Themenparks hervorgetan. Er finanzierte 2002 mit 15 Millionen Franken den Pavillon »Biopolis« auf der Schweizer Landesausstellung Expo. In »Biopolis« sollten die Besucher einen Eindruck vom Leben mit Genomanalyse und »maßgeschneiderten« Therapien im Jahr 2022 bekommen. »In unserer Vorstellung des Jahres 2022 gehört beispielsweise die Selbstdiagnostik zum Alltag«, schreibt Projektleiterin Anette Schönholzer. Täglich würden die Blutwerte geprüft und dank vorsorglicher Gentests die Neigung zu Krankheiten eruiert. »Und ganz klar ist«, so Schönholzer weiter, »man lebt gesund, isst vernünftig und macht regelmäßig Fitnesstraining«.
Eine ästhetische Strategie, dieses Lebensmanagement zu propagieren, ist die Konstruktion virtueller Biografien von Nutznießern des biotechnischen Fortschritts, die jedoch scheinbar auch kritischen Positionen zugänglich sind. So sah sich der Besucher von »Biopolis« mitten in eine Theaterszene versetzt, in der Schauspieler acht »Biopolitaner« mimten, die auf Bildschirmen über im Jahre 2022 aktuelle Probleme der Fortpflanzung oder der Ethik diskutierten.
Auch beim Kunstsponsoring nahm »Novartis« eine Pionierrolle ein. 1999 förderte der Konzern die 20. Ars Electronica im österreichischen Linz. Die Manager der Firma erläuterten ihre Motive für die »Patenschaft« des renommierten Kulturfestivals wie folgt: Man hoffe, den Begriff »Life Science« – 1999 auch das Motto der Ars Electronica – bekannter zu machen und zugleich die Akzeptanz für Biotechniken zu erhöhen. Der Konzern hatte dabei die Ars Electronica als effizientes Durchsetzungsspektakel in Sachen elektronischer Datenverarbeitung im Blick.
So stellte Christian Sewald, Präsident von »Novartis« Österreich, fest: »Um aber nicht nur am Markt, sondern auch im Wettbewerb der Meinungen bestehen zu können, bedarf es der Vermittlung und des offenen Dialogs über Nutzen und Risiken technologischer Neuerungen – kurzum: Innovation braucht auch Kommunikation. Am Beispiel der Computer- und Informationstechnologien hat die Ars Electronica dies mustergültig vorexerziert.«
Die Informationstechnologie erweist sich auch als unverzichtbares Vehikel für eine Verobjektivierung der Gentechnologie, wie sie »Novartis« anstrebt, denn erst sie ermöglicht die Visualisierung von Verfahren der Genmanipulation. Bezeichnend ist, dass der Ars-Electronica-Leiter Gerfried Stocker selbst dem Kurzschluss zwischen privatwirtschaftlicher Definitionsmacht und medialer Vermittlungspraxis Vorschub leistete, denn seine einzige Forderung an das Engagement von »Novartis« war, dass der Konzern seine Labore für Medienkünstler öffnen solle.
Designer, Grafiker und vor allem Künstler mögen angesichts ihrer oftmals prekären ökonomischen Lage von der großzügigen privatwirtschaftlichen Förderung von multimedial aufbereiteten Life-Science-Schauen oder von Kunstausstellungen zum Thema Biotechnologie profitieren wollen. Für die US-Politologin Jackie Stevens impliziert selbst der Auftritt kritischer Kunst im Rahmen solcher Ereignisse die Annahme, dass Genmanipulation eine feststehende Tatsache sei; etwas, das Künstler aufgreifen, weil es nicht mehr wegzudenken ist. Groteske und perverse Visualisierungen würden dabei nur helfen, dass das Publikum die dann doch nicht ganz so schlimme Realität akzeptiert.