Das Wunder
Werbekampagne für Deutschland. Es hat schon gewirkt. Jetzt spüre ich es: Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen. Der Windstoß, der durch seinen Flügelschlag erzeugt wird, entwurzelt vielleicht ein paar Kilometer weiter Bäume. Genauso, wie sich ein Lufthauch zu einem Sturm entwickelt, kann meine Tat wirken. Ich bin das Wunder von Deutschland. Ich bin von allem ein Teil. Und alles ist ein Teil von mir. Ich bin Deutschland. Mein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. Er lässt meinen Lieblingsstürmer schneller laufen und Schumi schneller fahren. Ich halte den Laden zusammen. Ich bin der Laden. Unsere Zeit schmeckt nicht nach Zuckerwatte. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand, mit dem Gesicht vor einer Mauer. Doch wir haben schon gemeinsam eine Mauer niedergerissen. Deutschland hat genug Hände, um sie einander zu reichen und anzupacken. Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Ich bin die Hand. Ich bin 82 Millionen. Ich bin wir. Ich bin Deutschland. Und wer sind Sie? (gs)
Leichenfund
NS-Massengrab. Die Leitung des Stuttgarter Flughafens überschüttet die Welt keineswegs mit Pressemitteilungen. Aber was bekannt gegeben wird, ist zweifelsohne von erheblicher Relevanz: rekordverdächtige Passagierzahlen, ein Kinderfest, ein Reiseziel, das künftig von dort zu erreichen sein wird, oder eine Blutspendeaktion.
Vergeblich sucht man aber bislang die Nachricht, dass Kanalarbeiter Anfang der vorigen Woche auf dem Gelände des Flughafens die Überreste von rund 30 Menschen entdeckt haben. Es handelt sich vermutlich um die Leichen jüdischer NS-Zwangsarbeiter, die zum Teil noch lebend verscharrt worden waren. Zwischen November 1944 und Februar 1945 befand sich auf dem Gelände des Flughafens das Arbeitslager Echterdingen, ein Außenlager des elsässischen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof. In dieser Zeit starben hier über 100 Menschen an Kälte, Hunger und Fleckfieber. Unmittelbar nach Kriegsende wurden in einem nahe gelegenen Waldstück die Leichen von 66 Häftlingen gefunden und auf dem Esslinger Friedhof begraben.
Die Bauarbeiten sind inzwischen unterbrochen worden, die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Mordes eingeleitet. In den nächsten Wochen sollen die Toten geborgen und identifiziert werden. Dabei hofft die Sondereinheit für Nationalsozialistische Gewaltverbrechen auf die Mithilfe von Zeitzeugen. (jh)
Vorsicht, Nazi!
Rechtsextremismus. Dass Neonazis und Kultur nicht gerade zusammen gehören wie Fische und Wasser, ist bekannt. Sogar die Polizei vermutet, dass es jugendliche Rechtsextremisten waren, die in der Nacht zum 23. September einen Kulturpavillon in der Cottbusser Innenstadt zertrümmerten. 17 Fenster des Gebäudes, das rundum verglast ist, gingen zu Bruch. Als sicher gilt bisher lediglich, dass die Entglasung nicht spontan stattgefunden hat, sondern geplant war, da die Wurfobjekte offensichtlich von einem Bahndamm herangeschafft wurden.
In dem Pavillon wird derzeit das Theaterstück »Hallo Nazi« aufgeführt. Das hoch gelobte Jugendtheaterstück des Autorenkollektivs Monoblock, dem umfangreiche Recherchen, auch in der rechtsextremen Szene, vorangingen, wurde bereits in Berlin und Dresden mit Erfolg aufgeführt und zum »Stück des Jahres 2001« gekürt. Es handelt vom Rassismus in einer ostdeutschen Kleinstadt. (gs)
Eine Nacht auf der Fähre
Frankreich. Die Mitarbeiter der französischen staatlichen Fährgesellschaft SNCM fackelten nicht lange. Als der Chef des Unternehmens, Bruno Vergobbi, am Dienstag vergangener Woche nach erfolglosen Verhandlungen um die Privatisierung der Gesellschaft die Fähre »Marseille« wieder verlassen wollte, wurde er von wütenden Angestellten daran gehindert. Die Mitarbeiter befürchten, dass nach der geplanten Übernahme des hoch verschuldeten Staatsunternehmens durch eine Investmentgesellschaft nur noch wenige Arbeitsplätze übrig bleiben werden. Gewerkschaftsvertreter Maurice Perrin zeigt sich besonders erbost darüber, dass angeblich ein Kaufpreis von weniger als 15 Millionen Euro genannt worden sei, obwohl »unsere Aktiva mindestens 500 Millionen Euro wert sind«. Erst nach einer Nacht im Kreise der Angestellten konnte Vergobbi die Fähre verlassen. Die Regierung hatte gedroht, sie werde eine »Geiselnahme« nicht einfach hinnehmen.
Kurzzeitig blockierten die aufgebrachten Mitarbeiter am Dienstag der vergangenen Woche im Hafen von Marseille auch zwei Fähren des Unternehmens. Viele Reisende mussten daher in ihren Autos übernachten. (ke)
Polarer Zoff
Dänemark/Kanada. Hans liegt zwischen der kanadischen Ellesmere-Insel und Grönland, etwa 1 000 Kilometer südlich des Nordpols. Die kleine Felseninsel ist unbewohnt und lausig kalt. Dennoch gibt es seit vielen Jahren einen Streit um Hans zwischen Dänemark und Kanada. Vergangene Woche erklärten die Außenminister beider Länder, dass man den Konflikt beilegen wolle. Die dänische Regierung hatte immer mal wieder Truppen auf die Insel entsandt, im Juli stattete der kanadische Verteidigungsminister den dortigen Vögeln einen Besuch ab und bekräftigte den Anspruch auf den Felsen.
Warum Hans den beiden Ländern nicht piepegal ist, liegt nach Einschätzung von Experten vor allem daran, dass die kanadische Regierung sehr vorausschauend denkt. Wenn das Meer in der Arktis durch die zu erwartenden Klimaveränderungen mehrere Monate im Jahr eisfrei bleibt, könnten die Gewässer um die Insel als internationaler Seeweg betrachtet werden, zu dem Kanada, wenn die Insel zu Dänemark gerechnet wird, kein Mitspracherecht hätte. (ke)
Kein doppeltes Lottchen
Polen. Aus der polnischen Variante des doppelten Lottchens wird wohl trotz des Sieges der eineiigen Zwillinge Jaroslaw und Lech Kaczynski bei den Parlamentswahlen nichts. Der erste wollte Regierungschef, der zweite Staatspräsident werden. Ihre Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) heimste am vergangenen Sonntag mit 27 Prozent zwar die meisten Stimmen ein. Also könnte Jaroslaw in der Wunschkoalition mit der Bürgerplattform (PO, 24 Prozent) Premierminister werden. Aber Jaroslaw schränkte nach der Wahl ein: »Wenn mein Bruder Präsident wird, werde ich den Posten des Premierministers nicht annehmen.« Regierungschef solle in diesem Fall ein anderer PiS-Politiker werden. Bis zu den Präsidentschaftswahlen am 9. Oktober, die wahrscheinlich erst in einer Stichwahl zwei Wochen später entschieden werden, bleibt unklar, wer welches Amt übernimmt.
Die rechtspopulistische PiS war erfolgreicher als die favorisierte PO, dank ihrer Kampagne gegen deren neoliberales Steuerkonzept. Jaroslaw hielt kurz vor der Wahl extra Windeln und Babyspielzeug in die Kameras, weil sie nach den Plänen der PO für eine 15prozentige Mehrwertsteuer angeblich teurer würden. Die zuvor regierenden Sozialdemokraten rutschten auf elf Prozent ab, bekamen also etwa so viel Stimmen wie die rechte Bauernpartei »Selbstverteidigung«. Die nationalistische Liga der polnischen Familien landete bei acht Prozent. (oli)
Geteilte Orange
Ukraine. »Zwei Viktors, zwei ehemalige Präsidentschaftskandidaten, führten zuerst eine hitzige Diskussion und unterschrieben dann ein Abkommen«, kommentierte die unabhängige Kiewer Zeitung Den. Am Donnerstag vergangener Woche hat das ukrainische Parlament mit 289 Stimmen Juri Jechanurow als Ministerpräsidenten der Ukraine bestätigt. Bei einem ersten Wahlgang konnte er die notwendige Mehrheit nicht erreichen. Nachdem Präsident Viktor Juschtschenko mit seinem ehemaligen Rivalen um das Präsidentschaftsamt, Viktor Janukowitsch, in Verhandlungen getreten war, bekam Jechanurov die erforderlichen Stimmen der Opposition. Ausschlaggebend für die Annäherung war die Ankündigung Juschtschenkos, das Sekretariat des Präsidenten zu verkleinern sowie die Kompetenzen des Parlaments zu stärken.
Am 8. September hatte Juschtschenko die Ministerpräsidentin Julia Timoschenko des Amtes enthoben und Jechanurov eingesetzt. Timoschenko wirft Juschtschenko nunmehr vor, die Ideale der orangenen Revolution zu verraten. Sie schloss kurzerhand sieben Abgeordnete aus ihrer Partei aus, die für Jechanurov gestimmt hatten. (tfp)
Repressive Versöhnung
Algerien. Über eine »Charta für Frieden und nationale Versöhnung« lässt die algerische Staatsführung am Donnerstag dieser Woche abstimmen. Dabei geht es um eine Amnestieregelung für die während des Bürgerkriegs 1993 bis 1999 begangenen Verbrechen, in die auch noch bewaffnete Islamisten einbezogen werden sollen. Im Gegensatz zu den Amnestiegesetzen von 1999 und 2004 werden konkrete Modalitäten der Amnestie kaum definiert, dies soll dem Präsidenten Abdelaziz Bouteflika überlassen bleiben. Auch die Frage nach den »Verschwundenen«, die mutmaßlich außergesetzlichen Tötungen durch Sicherheitskräfte zum Opfer fielen, soll durch finanzielle Entschädigungen abschließend geregelt werden – ohne Aufklärung über die Verantwortlichkeiten und den Verbleib der Betroffenen.
Die Staatsmedien machen eifrig Propaganda für Bouteflikas Vorlage, und auf der Straße wird Opponenten mit Repression begegnet. Am 14. September wurden in Constantine Mitglieder des MDS, einer kleinen Partei ehemaliger Kommunisten, verhaftet und misshandelt, weil sie Plakate für den Boykott der Abstimmung klebten. Am 22. September wurden in derselben Stadt Mütter von »Verschwundenen« mit dem Polizeiknüppel traktiert. Mehrere Organisationen rufen zum Boykott des Referendums auf. (bs)
Der Geruch von Napalm
Thailand. »Ich bin außer mir. Sie haben meine Männer getötet. Wenn ich könnte, würde ich das ganze Dorf mit Napalm bombardieren.« Ob diese Worte eines thailändischen Hauptmanns dazu dienen, die Herzen und Köpfe der muslimischen Minderheit zu gewinnen, ist fraglich. Die Einwohner eines Dorfes in Südthailand hatten am Mittwoch vergangener Woche zwei seiner Untergebenen, die bewaffnet waren, aber Zivilkleidung trugen, gefangen genommen. Als sich Gerüchte verbreiteten, dass die Militärs das Dorf stürmen würden, töteten sie die beiden Soldaten. Auslöser für die rabiate Aktion war ein bewaffneter Anschlag auf das örtliche Teehaus, für den die Dorfbewohner die beiden Soldaten verantwortlich machten. Ein Regierungssprecher sagte dagegen, dass die Getöteten den Zwischenfall untersuchen sollten.
Seit 21 Monaten mehren sich die Kämpfe zwischen muslimischen Separatistengruppen der malayischsprachigen Minderheit in Südthailand und dem Militär. Dabei sind bislang über 960 Menschen getötet worden. Die Regierung lässt den Militärs weitgehend freie Hand, Menschenrechtsgruppen kritisieren dies und verlangen die Aufhebung des Ausnahmezustands. (tfp)