Die guten alten K-Fragen

Das Buch zum Frankfurter Kongress »Indeterminate! Kommunismus«, der 2003 stattgefunden hat, ist erschienen. von jessica zeller

Als die Gruppe DemoPunK vor einem Monat das von ihr gemeinsam mit der Berliner Gruppe Kritik & Praxis herausgegebene Buch »Indeterminate! Kommunismus« in Frankfurt am Main vorstellte, lautete eine Frage aus dem Publikum: »Wer sollte eurer Meinung nach die Revolution überleben und wer nicht, und wie würdet ihr das begründen?« »Da blieb uns wirklich die Luft weg. Schließlich wollen wir lediglich Diskussionen über den Begriff ›Kommunismus‹ und gesellschaftliche Alternativen nach dem vermeintlichen Ende der Geschichte vor 15 Jahren anregen«, meint Gruppenmitglied Sabine Flick. In der Einleitung der Herausgeber zum Buch, das eine Textsammlung und eine Dokumentation des gleichnamigen Kulturkongresses ist, der im November 2003 in Frankfurt/M. stattfand, liest sich das so: »Nicht erst Fragen der praktischen Umsetzung eines antikapitalistischen Politikverständnisses, schon der Bezug zum Begriff Kommunismus selbst war und ist nicht nur in der Vorbereitungsgruppe des Kongresses, sondern auch unter den eingeladenen ReferentInnen höchst umstritten: Ist er Provokation, Denkanstoß, Platzhalter für eine nicht näher definierte gesellschaftliche Alternative? Oder ist er im Sinne Marxens die ›wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt‹, also die praktische Kritik des Kapitalismus?«

In fünf Unterkapiteln und insgesamt nicht weniger als 27 Aufsätzen wird diesen und anderen Fragen nachgespürt. Die Stärke liegt dabei sicherlich darin, dass in »Indeterminate! Kommunismus« völlig gegensätzliche Ansätze Platz finden, wovon einige die Revolution gewiss nicht überleben würden.

Im ersten Teil unter dem Titel »Die Aktualität des Kommunismus« streiten sich die zwei philosophischen Stars der Linken, Jaques Rancière und Slavoj Zizek, auf derart schwindelerregendem Niveau, dass der Text der Journalistin Stefanie Graefe daneben etwas verschlafen wirken muss. Während sie die Komplexität gegenwärtiger politischer Kämpfe beschwört und um einen Genua-Hype und eine eher langweilige Foucault-Rezeption nicht herumkommt, siedeln Rancière und Zizek ihre Überlegungen gleich auf einer anderen Ebene an. Erstgenannter legt stichhaltig dar, wieso der Kommunist heutzutage besser nicht aktuell, sondern »unzeitgemäß und atopisch« daherkommen sollte, damit die Idee der »kollektiven Intelligenz« realisiert werden könne. Zizek beschreibt den Kommunismus als die soziale Ordnung, in welcher die Dialektik zwischen »Schwein-Tier« und »Schwein-Fleisch« – im Englischen immer noch sprachlich getrennt in pig und pork – aufgehoben ist. Nach der nicht nur lehrreichen, sondern obendrein auch witzigen Lektüre dieser beiden Aufsätze sollte man den folgenden Text von Christoph Weismüller mit dem Titel »Medienkommunismus« getrost überblättern. Ansonsten muss man sich über geradezu schwachsinnige Thesen wie diese ärgern: »Wer hat am 11. September 2001 nicht Fernsehen geschaut? Es ist keineswegs moralische Schelte, wenn ich sage: Wer, aus welchen Motiven auch immer, an diesem Tage – oder einem anderen – Fernsehen schaute, der hat die Revolution und allemal den Kommunismus ans Medium verraten.«

Der intellektuell anregendste Text ist zweifelsohne der Aufsatz des Medienwissenschaftlers Oliver Marchart im zweiten, »Kommunismus und Demokratie« betitelten Teil des Buches. In seinen Ausführungen zum Verhältnis von Souveränität, Repräsentation und radikaler Demokratie geht er davon aus, dass Repräsentation stets nur bedingt gelingen kann und gleichzeitig die Abschaffung von Repräsentationsbeziehungen keine emanzipatorische, sondern lediglich eine mythische Lösung des Problems darstellt. »Marx’ idyllische Phantasie vom Kommunismus der Angler und Schöngeister, zu dessen, wenn auch nur schemenhafter Auspinselung er sich in einem schwachen Moment hat hinreißen lassen, offenbart eine zutiefst pastorale und reaktive Seite des Kommunismus. Am Ende wartet die Rückkehr zum Urkommunismus«, schreibt Marchart. Sein politischer Ansatz besteht dann auch in der »Affirmation der Unmöglichkeit« der Repräsentabilität und der ständigen Neuverhandlung dessen, wer wann repräsentiert wird und warum. Denn die Ausweitung von Repräsentation im Sinne von Mitbestimmung sei gerade in einer Zeit absolut notwendig, in der politische Beziehungen immer mehr von einer autoritären Souveränitätslogik durchsetzt würden.

Teil drei und vier des Sammelbandes, betitelt mit »Kommunismus und Subjekt« und »Kritik im Empire«, erwecken zunächst den Anschein einer alleinigen Rezeption von Theorien, um die gegenwärtig bei diesen Themenkomplexen niemand mehr herumkommt. Im Falle des einen Abschnitts ist es die poststrukturalistische Herangehensweise von Judith Butler, beim folgenden sind es die Theorieentwürfe der Post-Operaisten um Antonio Negri. Gleichzeitig genügen einige, wenn auch nicht alle Ansätze dem Anspruch, im Rahmen dieser zweifelsohne sinnvollen Lektüre eigene Schwerpunkte, insbesondere was die Frage der Konstitution und Organisation migrantischer Subjekte betrifft, zu setzen. Ebenfalls gibt es Beiträge, die Negris These von einer gegenwärtigen Dominanz immaterieller Arbeit in der ökonomischen Sphäre konsequent widersprechen.

Nach so viel Theorie, so werden sich die Herausgeber des Buches vielleicht gedacht haben, darf die politische Praxis nicht fehlen. Bedauerlicherweise sind die fünf Aufsätze, die sich unter dem Titel »Widerständige Praxis« versammeln, nicht so viel versprechend wie vielleicht erwartet. Dass mit Frigga Haug eine Vertreterin der alten Garde der feministischen Theorie zu Wort kommt, ist zwar verzeihlich, allerdings ist ihr Text, ähnlich wie der folgende von Ulrich Brandt, extrem zäh und streckenweise einfach nur langweilig. Auch die Gruppe Kritik & Praxis bleibt in ihrem Beitrag seltsam unkonkret. Skizziert wird lediglich, wie Widerstand heute aussehen könnte, nicht aber, wie er wirklich aussieht.

Eine Falle, in die der britische Journalist Ben Watson wirklich nicht tappt. Zwar dürften sich bei einigen Lesern, die dem antideutschen Gestus verpflichtet sind, die Fußnägel kräuseln, wenn er emphatisch von der Befreiung des palästinensischen Volkes schreibt. Zumindest traut er sich jedoch aus seinem Theorie-Elfenbeinturm heraus, er feiert vor allem die Anfänge des Punk und englische Rockfestivals als revolutionäre politische Momente: »Es handelt sich hierbei nicht um ein Abgleiten marxistischer Politik in kulturelle Maßlosigkeit, sondern um Momente des Kommunismus, die im Gewebe des Kapitalismus hervortreten. Wenn wir diese Momente nicht wahrnehmen, wird unsere Politik abstrakt, ineffektiv und sehr, sehr langweilig.« Und das ist ein wirklich schöner Schlusssatz.

DemoPunK/Kritik und Praxis Berlin (Hg.): Indeterminate! Kommunismus. Texte zu Ökonomie, Politik und Kultur, Unrast, Münster 2005, 352 Seiten, 18 Euro