Fürchtet euch!

Kampagne »Du bist Deutschland«. Des Wunders erster Teil von jörn schulz

»Die liebend mich verehren, die sind in mir, in ihnen ich«, erläutert der göttliche Wagenlenker Krishna im Hindu-Epos Bhagavad-Gita. »Du bist von allem ein Teil. Und alles ist ein Teil von dir«, behaupten die weniger begabten Poeten, die das Manifest für die Kampagne »Du bist Deutschland« gedichtet haben. Anders als fernöstliche Weise empfehlen sie nicht die Vereinigung mit dem Urgrund des Göttlichen, sondern mit Deutschland und seinen Führungspersönlichkeiten. Das gipfelt in der beleidigenden Unterstellung: »Du bist Michael Schumacher.«

»Aufbruchstimmung« soll erzeugt werden, und damit ist offenbar nicht der Fluchtreflex gemeint, den eine solche »Mut-Mach-Kampagne« (Handelsblatt) bei sensiblen Menschen auslösen muss. Gefragt sind »mehr Zuversicht« und »mehr Selbstvertrauen«. Denn Deutschland »wird immer mehr zum Land der Untergangspropheten und Angsthasen«, weiß Peter Bofinger, ein Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsweiser.

Die Angst ist eine notwendige Emotion, die uns lehrt, Gefahren möglichst zu vermeiden. Wir hätten es nicht sehr weit gebracht, wenn unsere Vorfahren gesagt hätten: »Ein Säbelzahntiger? Da lache ich drüber. Ich lasse mir den Standort Neanderthal nicht schlechtreden.« Mit der Klassengesellschaft entstand aber schnell das Bedürfnis, Menschen zu etwas zu verleiten, das sie bei vernünftiger Abwägung niemals tun würden.

Wenn der Appell ertönt, man möge doch bitte keine Angst haben, sondern voller Zuversicht in die Zukunft blicken, ist daher immer äußerste Vorsicht geboten. »Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht vor diesem großen Heerhaufen«, wird bereits im zweiten Buch der Chronik des Alten Testaments gefordert. Gab es nicht gute Gründe, sich davor zu fürchten, von der Übermacht bewaffneter Krieger erschlagen zu werden? Keineswegs, meint der Chronist, »denn nicht eure, sondern Gottes Sache ist der Krieg«. Mit ähnlich dürftigen Begründungen haben unzählige Heerführer die Gutgläubigen in den Pfeilhagel, das Maschinengewehrfeuer und andere tödliche Gefahren getrieben.

Der Appell, sich seines Verstandes um Gottes und der Nation willen nicht zu bedienen, ist noch immer erstaunlich erfolgreich. Der Krieg ist in den westlichen Staaten zwar zur Sache von Spezialisten geworden, doch es gibt einen Bereich, in dem »Stellungen« gehalten und »Übernahmeschlachten« geschlagen werden, Unternehmen »Feldzüge« führen und das alles meist mit der »Vernichtung« von Arbeitsplätzen endet. Der Sieg auf dem Schlachtfeld der Marktwirtschaft erfordert »Menschen, die Vertrauen in sich selbst und die Zukunft ihrer Gesellschaft haben«, meint Bofinger.

Das denkt auch Arnold Schwarzenegger: »Und zu den Kritikern, die unsere Wirtschaft so pessimistisch sehen, sage ich: ›Seid keine ökonomischen girlie men!‹« Eine so rohe Art zu sagen, dass nur Schwuchteln sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen, ist der Kulturnation Deutschland jedoch unwürdig. Im Land der Dichter und Denker liebt man es geistreicher. »Du bist Deutschland / Du bist gut / Du hast Verstand / Du brauchst nur Mut!« reimt Ernst Reiter, inspiriert von der Kampagne. »Wer glaubt, Angst mache den Menschen Beine und bringe sie dazu, wieder mehr zu leisten, verkennt die Seele der Marktwirtschaft«, philosophiert Bofinger.

Die Herrschaft der Bourgeoisie werde die Menschen zwingen, »ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen«, hofften die Autoren des Kommunistischen Manifests. Mit den esoterischen Ambitionen der Wagenlenker der deutschen Volksgemeinschaft hatten sie offenbar nicht gerechnet.