Gold oder Geier?

Im bulgarischen Rhodopengebirge streiten Geschäftsmänner und Umweltschützer über die wirtschaftliche Entwicklung des verarmten Gebiets. In einem sind sie sich einig: Investoren braucht die Region. von jutta sommerbauer (text und fotos)

Im Spätsommer liegt in Krumovgrad der Geruch von Oriental Blend in der Luft. Zu dieser Zeit werden die Blätter der Tabakpflanze gepflückt und, nachdem sie ordentlich auf Schnüren aufgefädelt worden sind, im Freien getrocknet. Das 5 000 Einwohner zählende Städtchen liegt weit im Südosten Bulgariens, nahe der früher unpassierbaren Grenze des Warschauer Paktes, die das Land einst von den »kapitalistischen Nachbarn« Griechenland und Türkei trennte. Gut versteckt zwischen den karstigen Hügeln des Rhodopengebirges kommen auch heute, da die Grenzen offen sind, nur wenige Besucher in diesen abgelegenen Flecken Erde. Wie früher im Realsozialismus lebt die Bevölkerung vom Tabakanbau, der nun den Gesetzen des Marktes unterworfen ist. Mühsam wird der Tabak auf eigenen kleinen Feldern von Hand bestellt. Die Menschen sind arm hier, doch es müsste nicht so sein. Denn Krumovgrad verfügt über einen Rohstoff, dessen Preis am Weltmarkt derzeit kontinuierlich steigt: Gold. 24 Tonnen davon liegen in einem unscheinbaren Hügel, am südlichen Rand der Stadt, verborgen.

Von Goldrausch ist aber herzlich wenig zu spüren. Krumovgrad ist noch immer ein verschlafenes Provinzstädtchen, dem lediglich einmal wöchentlich Leben eingehaucht wird. Am Freitag, dem Markttag, füllt sich die Stadt mit hunderten Menschen, die zum Kaufen und Verkaufen aus den umliegenden Dörfern ins Tal kommen. Schon am Morgen beginnt sich der staubige Parkplatz neben dem Marktareal mit klapprigen Autos zu füllen. Unter freiem Himmel schmiegt sich in mehreren Gängen ein Stand an den nächsten. Öfen, Möbel, Klamotten, Kosmetika, Altwaren, Schmuck, Musikkassetten – all das gibt es hier.

Die türkische Popmusik verkaufe sich besser als die bulgarische, erklärt der junge Händler, der reihenweise Kassetten auf seinem Verkaufstisch liegen hat. Kein Wunder: In der Region ist die türkischsprachige Minderheit die größte Bevölkerungsgruppe, und viele Orte werden von ihrer inoffiziellen Vertretung, der Bewegung für Rechte und Freiheiten, kurz DPS, regiert. Ein Ehepaar aus dem Dorf Tchorbadzhijsko erklärt, warum die Region eine Hochburg der DPS ist: »Sie sind die einzigen, die die Interessen der Bauern und Tabakproduzenten vertreten.« So sorgte der Chef der DPS, Achmed Dogan, dafür, dass die staatliche Tabakholding Bulgartabak im Januar 2005 nicht an British American Tobacco verkauft wurde. Der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge sind in den Fabriken von Bulgartabak noch insgesamt 12 000 Arbeits- und Saisonkräfte tätig. Die Firma ist damit einer der größten Arbeitgeber in Bulgarien. Etwa 250 000 Menschen verdienen mit dem Tabakanbau ihr Einkommen.

Auch in der schmucken Fußgängerzone im Stadtzentrum von Krumovgrad ist am Markttag viel los. Die zahlreichen Cafés sind voll mit herausgeputzten Jugendlichen, Sehen und Gesehenwerden ist die Devise. Gähnende Leere herrscht hingegen im Info-Center der kanadischen Firma Dundee Precious Metals Inc., das sich schräg gegenüber der klotzigen Statue des mittelalterlichen Namensgebers der Stadt, Khan Krum, befindet. Seit einem Jahr betreibt die Firma bereits das Büro im Herzen der Stadt. Kinderzeichnungen und Fotos hängen an den Wänden. Die Firma besitzt die Konzession für das Gold am Hügel Ada Tepe. Der Baubeginn ist für nächstes Jahr geplant, die Mine soll Anfang 2007 ihren Betrieb aufnehmen.

Dass die Goldmine von großer Bedeutung für die Entwicklung der Region ist, weiß man hier. Petja Lazarova, die junge PR-Referentin aus Sofia, sieht Krumovgrad bereits erblühen: »Die Arbeitslosigkeit in dieser Region ist außergewöhnlich hoch, und die Beschäftigung ist wegen des Tabakanbaus vor allem saisonal. Mit der Mine eröffnet sich die Möglichkeit, einen ständigen Arbeitsplatz zu erhalten.« Die Firma will 240 Millionen Dollar investieren und verspricht, 300 Menschen aus der Region anzustellen. Außerdem würde eine derartige Großinvestition zu noch mehr Arbeitsplätzen führen, rechnet Lazarova vor.

Doch in den letzten Monaten regt sich zunehmend Protest gegen die geplante Mine. Viele Menschen hier sind skeptisch. Auch der Besitzer des »Foto Stüdyo« neben der Moschee hat nichts Gutes über den Goldabbau gehört. »Ich möchte nicht, dass meiner Familie etwas passiert«, sagt der Mann, ein bulgarischer Türke, der geschäftlich zwischen den beiden Ländern pendelt. Zur Gewinnung des in feinen Partikeln vorhandenen Goldes wird hochgiftiges Zyanid benötigt. »Die Leute hier sind arm und ungebildet, sie sind käuflich«, befürchtet er.

Seit 1989 ist die bulgarische Tabakproduktion um die Hälfte zurückgegangen. Traditionelle Märkte wie die in der ehemaligen UdSSR hat man verloren, die steigende Konkurrenz aus anderen Anbauländern macht den Produzenten zu schaffen. Die bulgarische Regierung lässt sich die Tabakproduktion einiges kosten und vergibt Prämien, um die niedrigen Verkaufspreise aufzustocken. Doch auch die Mine verspricht nur die Sorte zeitlich begrenzter Arbeit, die die Bevölkerung hier zur Genüge kennt. Das Goldvorkommen wird nach sechs Jahren ausgeschöpft sein. Und was kommt dann? Das Unternehmen Dundee Precious Metals Inc. werde Geld in die Ausbildung der Bevölkerung investieren und sei bereit, Menschen bei ihren Geschäftsideen zu unterstützen, gibt sich Lazarova optimistisch.

Der ökonomische Nutzen für die Bevölkerung sei angesichts der drohenden Gefahren jedoch gering, kritisieren Initiativen wie »Leben für Krumovgrad« oder die Umweltschutzorganisation »Grüner Balkan«. »Wir wollen keine Goldproduktion mit Zyanid in Bulgarien. Das ganze Gold kommt ins Ausland, hier wird nur das Zyanid bleiben«, fasst Konstantin Ditchev von »Grüner Balkan« die Befürchtungen vieler hier zusammen. Die Mine sei zu nah am Stadtrand. Schon ein kleiner Zwischenfall könne das Wasser der Flüsse Arda und Marica vergiften; die Marica mündet als Grenzfluss zwischen Griechenland und der Türkei ins Mittelmeer.

Unterstützt werden die bulgarischen Aktivisten auch von griechischen und türkischen Gruppen. Zuletzt erhielten sie auch von offizieller Seite Unterstützung: Die Kreisverwaltung im griechischen Evros sprach sich gegen das Projekt aus und stellte den Umweltschützern für ihre Aktivitäten eine Summe von 100 000 Euro zur Verfügung – viel Geld für bulgarische Verhältnisse.

Auch der Gemeinderat von Krumovgrad hat sich kürzlich in einem offenen Brief gegen das Projekt ausgesprochen. »Momentan sieht es nicht gut für die Firma aus«, freut sich Ditchev. Der Bürgerprotest könnte auch dem Umweltminister der DPS, Dzhevdet Tchakarov, zu denken geben. Schließlich geht es hier um die Wählerschaft der Partei. Derzeit unterzieht ein Expertenrat in seinem Ministerium das Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach EU-Norm.

Von Krumovgrad führt eine kurvenreiche, holprige Straße in Richtung Norden. Die gebirgige Strecke ist von jeder Menge verlassener und halbverfallener Dörfer gesäumt. Die grauen Steinhäuser stehen einsam in der kargen Landschaft. Die Gegend war früher von Angehörigen der türkischen Minderheit besiedelt. Seit dem Beginn des nationalistischen »Wiedergeburtsprozesses« Mitte der achtziger Jahre waren die Menschen hier zunehmend staatlicher Repression ausgesetzt. Im Sommer 1989 flüchteten schließlich über 300 000 Menschen in die Türkei, etwa die Hälfte kehrte später wieder zurück. Andere sind in Städte abgewandert, um dort Arbeit zu finden und ein weniger isoliertes Leben zu führen.

Um ins 60 Kilometer entfernte Madzharovo zu gelangen, benötigt man fast zwei Stunden. Das Städtchen ist umgeben von bizarren Felsformationen, das dunkle Gestein leuchtet in Schattierungen von grau bis rotbraun in der Sonne. An manchen Stellen sind die Narben, die der Bergbau hier in die Felsen geschlagen hat noch erkennbar. Denn auch hier ist das Gestein wertvoll, oder besser gesagt, war es einmal. Das Kapitel der Geschichte, das in Krumovgrad aufgeschlagen werden soll, wurde hier in den Neunzigern beendet.

Atanas Dimitrov ist ein großer, schlanker Mann, der freundlich lächelt, obwohl er keinen leichten Job hat. Seit sechs Jahren ist er Bürgermeister der Gemeinde Madzharovo. Er macht einen ruhigen und zurückhaltenden Eindruck, wie er so in seinem schlichten Büro im Rathaus sitzt.

Er hat die Geschichte von Madzharovo schon oft erzählt. Im vergangenen Jahr war der 30. Jahrestag der Ernennung zur Stadt – eine Stadt, die heute eher einem Dorf gleicht, in dem nur noch 700 Menschen leben. Früher waren es einmal 6 000. Im ganzen Landkreis leben statt früher 8 000 nur noch 2 000 Menschen. »Das war ein trauriges Jubiläum, denn in diesen 30 Jahren ist die Bevölkerungszahl um das Vierfache gesunken. Daher haben wir das Jubiläum auch nicht sehr ausufernd gefeiert, sondern eher verhalten«, erinnert sich Dimitrov.

Anfang der fünfziger Jahre kamen erstmals sowjetische Geologen in das Dorf und führten Untersuchungen über das Vorkommen von Bodenschätzen durch. Dabei stießen sie auf Zink. Im Jahr 1957 wurde mit dem industriellen Abbau des Metalls begonnen. Minenstädte im Südosten des Landes wie Madzharovo, Madan und Zlatograd waren als »Quell der Buntmetalle« von herausragender Wichtigkeit für das sozialistische Wirtschaftswunder.

Heute kann man der einstigen Bedeutung der Region nur noch in der Bibliothek von Madzharovo nachspüren. In einem unbeleuchteten Nebenraum und unter einer Staubschicht wird hier die glorreiche Geschichte des sozialistischen Aufbaus aufbewahrt, von dem heute niemand mehr etwas wissen will. Neben Partisanengeschichten, Reden von Todor Zhivkov und Georgi Dimitrov erzählen zahlreiche Bildbände in Schwarz-Weiß von den industriellen Errungenschaften des sozialistischen Bulgariens. Auch die Minen von Madzharovo haben ihren Platz darin gefunden.

»Lebendige Geschichte« sei sie, sagt die Bibliothekarin. Stanka Petrova hat alles miterlebt: wie aus dem Dorf eine Stadt wurde und den Zusammenbruch in den neunziger Jahren, als die Minen eine nach der anderen schließen mussten. Seit 35 Jahren arbeitet sie in der »Chitalishte«, einem traditionellen bulgarischen Kulturzentrum mit angeschlossener Bibliothek, das es fast in jedem Ort gibt. Mit der Industrialisierung der Region und der Ansiedlung von Fachkräften und deren Familien aus dem ganzen Land veränderte sich das soziale Leben grundlegend. Stanka Petrova hat nur gute Erinnerungen. »Man lebte hier sehr gut in Madzharovo. Die Leute haben sehr gut verdient, es gab keine Arbeitslosen. Die Leute wurden in Kantinen verpflegt. Es war ein dynamisches Leben.«

Die heute verwaisten Straßen und leeren Gebäude waren einst voll von Menschen. Petrova lässt der Nostalgie freien Lauf: »Unser Kulturzentrum war sehr aktiv, damals gab es ja nur wenige Fernseher und die Leute nahmen massenhaft an Veranstaltungen teil. Hier wurden Konzerte gegeben, da waren so viele Leute anwesend, dass man sie nicht zählen konnte.« Heutzutage stört nur noch selten ein junger Besucher die Nachmittagsruhe. Wenn ein Leser ein Buch mit nach Hause nehmen möchte, so wird es noch immer akribisch auf Pappkärtchen vermerkt, wie in alten Zeiten. Viel werde aber nicht mehr gelesen, sagt die Bibliothekarin mit Enttäuschung in der Stimme. Die Schüler des örtlichen Gymnasiums sind noch die besten Kunden der Bibliothek.

Nach der Schließung der letzten Mine im Jahr 1997 ist die Zeit stehengeblieben. In Madzharovo hat alles seinen langsamen, eingespielten Lauf: Die Tageszeitungen kommen nicht vor elf Uhr, einmal wöchentlich findet der Markt statt, zu dem sich die Dorfbewohner herausputzen. Jeden Samstag gibt es Tanz für die Jungen in der Diskothek neben dem Café »Escape«. Viele Wohnungen in den Blocks stehen leer, die große Tribüne im Stadion »Minjor« (Minenarbeiter) erzählt vom Glanz der alten Tage, als Menschen noch zu Sportereignissen hierherkamen. Heute werden nur noch die Cafés ganztags frequentiert, denn Arbeit gibt es wenig in der Region.

Atanas Dimitrov versucht, die Situation nicht ganz hoffnungslos erscheinen zu lassen. In den letzten Jahren bemüht sich Madzharovo, von der auch in Bulgarien langsam entstehenden Freizeitgesellschaft einen kleinen Teil abzukriegen. »Madzharovo ist einer der schönsten Orte der Ost-Rhodopen, da hier auf einzigartige Weise Flora, Fauna, Wasserressourcen, Wälder und wunderbare Menschen vereint sind«, sagt er. Es klingt, als würde er aus einer Werbebroschüre vorlesen. Der Tourismus ist es auch, auf den manche in der Stadt hoffen. Vor einigen Jahren schon hat das luxuriöse Hotel »Paradies« seine Pforten geöffnet, im Naturschutzzentrum quartieren sich Ornithologen aus ganz Europa ein, um seltene Geierarten und andere Wildvögel zu beobachten.

»Dorftourismus« – dieses Schlagwort ist in den Rhodopen in aller Munde. Doch noch ist nicht klar, wie viel damit wirklich zu verdienen ist. »Der Tourismus als Wirtschaftsfaktor entwickelt sich erst auf dem Gebiet unserer Gemeinde. Leider haben wir noch wenig Erfahrung und Ressourcen, um ein touristisches Produkt zu entwickeln. Wir hoffen, dass sich das mit ausländischer Hilfe und Investoren ändern wird«, sagt der Bürgermeister.

Noch behindern das schlecht ausgebaute Straßennetz und die Probleme mit der Strom- und Wasserversorgung den Erfolg. Dass das keine idealen Voraussetzungen sind, weiß auch Dimitrov. »Leider sind die Gemeinden und der Staat noch in der Bringschuld gegenüber den Menschen, die den Tourismus verwirklichen möchten.« Eine Reihe bunter Faltblätter, die die Gemeinde mit Hilfe des Entwicklungsprogramms der Uno hergestellt hat, weisen auf die zahlreichen Ausgrabungen und kulturhistorischen Stätten in der Umgebung hin. Dem Tourismus als Retter in der Not scheint der Bürgermeister allerdings noch nicht ganz zu trauen. Er erzählt lieber von einer örtlichen Firma, die seit kurzem 50 neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Durch so eine handfeste Investition sieht eine hässliche Arbeitslosenstatistik nämlich gleich viel schöner aus.

In Krumovgrad hoffen die Umweltschützer hingegen auf sanften Tourismus und den seit Jahren geplanten »Naturpark Ost-Rhodopen«. »Die Region ist sehr kostbar, was die Biodiversität und das Kulturerbe betrifft«, sagt Konstantin Ditchev. Zu ihrer Entwicklung brauche es aber Investitionen von außen. Ob die nach Krumovgrad kommen, wenn das Gold unberührt im Hügel bleibt, das kann allerdings auch er nicht garantieren.