Grenzenlos dienen

Kritik aus den westlichen EU-Ländern könnte dafür sorgen, dass die europäische Dienstleistungsrichtlinie nur in abgeschwächter Form in Kraft treten kann. von korbinian frenzel, brüssel

Zumindest an einem Ort in Europa hat die Dienstleistungsrichtlinie, der Plan für mehr Wachstum und neue Jobs in der EU, bereits jetzt Arbeit geschaffen: im Europäischen Parlament. 1 124 Änderungsanträge haben die Abgeordneten in den vergangenen Monaten erarbeitet, um das große Liberalisierungsprojekt der EU-Kommission in ihrem Sinne zu beeinflussen. An ihrer Seite fand sich eine Heerschar von Lobbyisten ein, ebenso wie Vertreter von Gewerkschaften und NGO.

Doch aus dem Versuch, in der vergangenen Woche im EU-Parlament eine erste Vorlage zu beschließen, wurde trotz der intensiven Zuarbeit nichts. Denn der zuständige Binnenmarktausschuss hat die Abstimmung überraschend verschoben – ausgerechnet auf Initiative der liberalen und konservativen Befürworter der europaweiten Öffnung der Dienstleistungsmärkte. Man brauche »mehr Zeit, um dem komplexen Gesetzeswerk gerecht zu werden«, erklärte Malcolm Harbour, der den britischen Tories angehört.

Den Sozialdemokraten (SPE) zufolge ist das Verhalten der rechten Parteien hingegen reine Blockade. Von »erpresserischen Methoden« und Geschäftsordnungstricks mit dem Ziel, die Abstimmung zu verhindern, sprach Evelyne Gebhardt. Die deutsche SPD-Abgeordnete hatte in den vergangenen Wochen in Gesprächen mit allen Fraktionen über Kompromisse beratschlagt und einen Bericht vorgelegt, der das Liberalisierungsprojekt des ehemaligen Binnenmarktkommissars Frits Bolkestein deutlich entschärfen will.

Abstriche soll es vor allem am so genannten Herkunftslandsprinzip geben, das Serviceunternehmen nur noch auf die Einhaltung von Tarifregeln und Sozial- und Umweltstandards ihres Herkunftslandes verpflichtet. Französische Verfassungsgegner reduzierten den Vorschlag im Frühjahr öffentlichkeitswirksam auf das Bild vom »polnischen Klempner«, der französische Arbeitsplätze gefährde. Im Entwurf der SPE werden den Unternehmen zwar ebenfalls die europäischen Märkte geöffnet, indem etwa abschottende Handwerksordnungen fallen sollen. Die ortsüblichen Löhne oder aber Verbraucherschutzstandards müssten hingegen, anders als im Entwurf Bolkesteins vorgesehen, eingehalten werden.

Inzwischen scheinen auch konservative und wirtschaftsliberale EU-Politiker erkannt zu haben, dass das so genannte Herkunftslandsprinzip in seiner jetzigen Form nicht durchzusetzen ist. Und so beginnt erneut die Suche nach Allianzen. Die deutsche Abgeordnete der Grünen, Heide Rühle, hat die neue Runde bereits eröffnet. »Wir werden aktiv um einzelne konservative und liberale Abgeordnete werben, die sich in der Vergangenheit kritisch zum Richtlinienvorschlag geäußert haben, um eine Mehrheit für die Vorschläge Gebhardts zu erreichen«, kündigte sie an.

Unterstützung könnte hier etwa von den Europaabgeordneten der französischen Regierungspartei UMP kommen, schließlich hatte sich Frankreichs Präsident Jacques Chirac vor dem EU-Verfassungsreferendum deutlich gegen den Entwurf Bolkesteins ausgesprochen. Doch auch die Konservativen können auf Abweichler vor allem in den Reihen der osteuropäischen Sozialdemokraten hoffen. Die Interessen der osteuropäischen Unternehmen, die in einem liberalisierten Dienstleistungsmarkt bessere Chancen hätten, könnten hier schwerer wiegen als die Idee vom »europäischen Sozialmodell«.

Frühestens im Januar wird das Europäische Parlament eine Entscheidung über die Dienstleistungsrichtlinie treffen, Monate später als geplant. Die endgültige Entscheidung wird vermutlich erst im nächsten Jahr fallen. Denn nach den Abgeordneten werden die Regierungen der 25 Mitgliedsstaaten über die Richtlinie abstimmen. Und dort werden nicht minder schwere Konflikte erwartet.