Kein Grund zu verzagen

Für die Linke und den Widerstand gegen den Sozialabbau bietet die große Koalition durchaus Chancen. von andrej reisin

Die gemäßigte Linke hat die Wahl gewonnen und keiner hat’s gemerkt. Zu tief saß bei vielen Kommentatoren die Enttäuschung darüber, dass Deutschland nun wohl doch nicht so richtig reformiert wird, weil die Wählerinnen und Wähler die Wahrheit angeblich nicht vertragen können. Tatsächlich aber haben offenbar doch mehr Menschen als erwartet begriffen, dass es ein seltsamer politischer Masochismus gewesen wäre, die SPD für ihren Sozialabbau zu bestrafen, indem man in den schwarz-gelben Folterkeller hinabsteigt.

Links vom bürgerlichen Lager (wenn man die Grünen noch nicht zu diesem zählen will) gäbe es für Rot-Rot-Grün eine Regierungsmehrheit; warum sie nicht verwirklicht wird, ist hinlänglich bekannt. Auf eine rücksichtslose neoliberale Politik haben offenbar nicht mehr Wahlberechtigte Lust als eben diejenigen 9,8 Prozent, die den brutalstmöglichen Reformer Guido Westerwelle und seine ehemalige Spaßpartei wählten. Trotzdem mochte sich auch bei vielen Linken keine Freude einstellen, zu deutlich zeichnete sich trotz Schröders Macho-Posse und aller Jamaika-Eskapaden ab, was folgen wird: die große Koalition.

»Durchregieren« wolle sie, hatte Angela Merkel verkündet, und das, so fürchten viele Linke, könne sie in einer großen Koalition mit schwachen Sozialdemokraten und einem mehrheitlich schwarzen Bundesrat doch ebenso gut. Das Personal der kommenden Regierung, das sich jetzt abzeichnet, spricht allerdings eine ganz andere Sprache.

Der künftige Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) dürfte weder den Kündigungsschutz streichen noch die Altersvorsorge privatisieren. Ulla Schmidt (SPD), die Gesundheitsministerin, mag für die Praxisgebühr gehasst werden, die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen, wie von Westerwelle gefordert, wird sie wohl nicht. Innen- und sicherheitspolitisch kann es zudem kaum noch schlimmer werden als unter dem altersstarrsinnigen Otto Schily, der zuletzt die Kritik an der Durchsuchung der Redaktion des Magazins Cicero von oben herab abtat und sagte, er müsse einigen »Hanseln« mal »die richtige Rechtsauffassung beibringen«.

Selbstverständlich wird der Abbau von Sozialleistungen auch unter der neuen Regierung verschärft weitergehen, nur hat der Widerstand dagegen gerade eine 54 Abgeordnete starke Fraktion als Vertretung erhalten. Das kann und wird der SPD nicht egal sein, die genau weiß, wo sie ihre Stimmen verloren hat und warum die Linkspartei im Saarland 18,5 Prozent holte, obwohl die Mehrheit dort nach wie vor sozialdemokratisch orientiert ist.

Das größte Handicap der großen Koalition aber ist ihre eigene Zerstrittenheit. Dazu muss man gar nicht erst die Berufsnörgler der SPD wie Ludwig Stiegler oder Johannes Kahrs bemühen, die zunächst in einer bemerkenswerten Eintracht zwischen dem linken und rechten Flügel der SPD versicherten, »niemals« Angela Merkel zur Kanzlerin zu wählen, um dann erwartungsgemäß in mürrisch-komischen Statements beleidigter Schuljungen nachzugeben. »Sie ist jetzt auch meine Kanzlerin«, meinte Stiegler schließlich, und Kahrs hoffte: »Die Partei wird mich schon wieder einfangen.«

Doch der Blick auf die Union genügt völlig: Da tritt Heiner Geißler auf und fordert einen »sozialpolitischen Kurswechsel«, während der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, gleichzeitig den »mangelnden Reformeifer« der eigenen Partei kritisiert. Von einer Richtlinienkompetenz der Kanzlerin gehen unterdessen weder Edmund Stoiber noch Franz Müntefering aus, der auf die Frage, was Merkel für das Kanzleramt qualifiziere, antwortete, »dass sie Parteivorsitzende der CDU ist«.

Für die Linke geht es nun darum, Angriffe auf diejenigen, die dauerhaft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, also vor allem auf chronisch Kranke, Behinderte und Langzeitarbeitslose, abzuwehren. Die Chancen dafür stehen nicht schlechter als in den vergangenen sieben Jahren unter Rot-Grün.

Nebenbei könnte man sich, vielleicht auch mithilfe einiger Abgeordneter der Linkspartei, endlich wieder einmal darum kümmern, einen gesellschaftlich tragfähigen Gegenentwurf zum Kapitalismus zu entwickeln. Nicht umsonst zeigte sich der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, am Wahlabend »bitter enttäuscht« über das Wahlergebnis. Dass die Linke nur schwerlich zum gleichen Ergebnis kommen kann, versteht sich eigentlich von selbst.