Vom Nobody zum Tellerwäscher

Berufspraktikanten eröffnen sich unerschöpfliche Möglichkeiten. von sonja fahrenhorst

Wir würden Sie gerne einstellen«, sagt der nette Herr, Chef einer TV-Firma, der auf einem grünen Gymnastikball an seinem Schreibtisch sitzt und mit einem Lächeln auf den Lippen hin und her wippt. »Allerdings ist es bei uns so, dass Sie erst ein Praktikum absolvieren müssen.« Das soll sechs Monate dauern. In dieser Zeit werde sich herausstellen, ob jemand über die Voraussetzungen verfüge, um in seinem Unternehmen zu arbeiten.

Dass die Bewerberin ein abgeschlossenes Studium nachweisen kann, bereits zahlreiche journalistische Praktika absolviert und zuletzt als freie Autorin für einen TV-Sender gearbeitet hat, findet er super. »Das sind genau die richtigen Voraussetzungen für ein Praktikum bei uns«, strahlt er und spricht leiser und in einem vertraulichen Tonfall weiter: »Wir arbeiten hier nur mit erfahrenen Leuten. Hier kommt keiner rein, der noch nichts kann!« Es bringe schließlich nichts, wenn man Praktikanten erst grundlegende Dinge wie Recherchieren oder Texten beibringen müsse.

Da es sich um ein Vollzeitpraktikum handele, erwarte man unter der Woche ständige Präsenz. Was das Thema Bezahlung angehe: »Im ersten Monat zahlen wir nichts, man muss sich ja erstmal beschnuppern«, sagt er. »Dann gibt’s 260 Euro im Monat.« Das sei fair, andere Firmen würden schließlich auch nicht mehr zahlen. Man könne ja abends noch Geld verdienen. Und nach sechs Monaten warte das Volontärsgehalt von 1 100 Euro, vorausgesetzt, man habe sich bewährt und der Firma gehe es finanziell weiterhin so gut wie jetzt. Die Bewerberin solle sich das Angebot durch den Kopf gehen lassen und sich dann melden. »Aber lassen sie sich nicht zu viel Zeit, es haben sich über 100 Leute auf die Stelle beworben!«

Jedes Mal nimmt sie sich vor, es nie wieder zu tun. Und doch sitzt sie wenig später beim nächsten Bewerbungsgespräch, in der Hoffnung, nun werde es aber endgültig das letzte Mal sein. Und jedes Mal ist dieses Gefühl spätestens nach zehn Minuten da. Wie oft hat sie es sich schon ausgemalt, dem Chef und dem ganzen Rest des Ladens gehörig die Meinung zu geigen. Zu sagen, hier werde eine miese Ausbeutung betrieben, die hunderten, nein hunderttausenden von gut ausgebildeten und arbeitswilligen Hochschulabsolventen den Eintritt ins Berufsleben mies mache. Dass diese Unart, die sich Unternehmen ungestraft leisten können, nicht nur für die finanzielle Misere, sondern auch für die desolate Gemütslage einer gesamten Generation verantwortlich sei. Zu sagen, sie kündige auf der Stelle und hoffe, der Laden werde als Strafe für die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte den Bach runtergehen. Sie stellt sich vor, wie sie sich auf dem Absatz umdreht, die Tür hinter sich zuknallt und einen verstörten und nachdenklichen Chef zurücklässt.

An das Gefühl kann sich Silvia noch gut erinnern, allerdings auch daran, dass die Wirklichkeit dann doch etwas anders ausgesehen hat: Weil der Chef am nächsten Tag ihre Arbeit lobte und ihr noch ein wenig mehr Verantwortung zugestand, hielt sie die Klappe und schluckte den Frust runter. Sie arbeitete weiter als unbezahlte Vollzeitkraft, denn sie dachte: Bald kommt vielleicht die Chance aus dem allzeit verfügbaren Heer von Praktikanten aufzusteigen.

»Junges, kreatives Unternehmen für Internetdienste im Bereich Tourismus und Information bietet redaktionelle Praktika. Deine Aufgaben sind das Verfassen von Reiseführern sowie die Überarbeitung und Aktualisierung von Texten. Die Praktikumsdauer beträgt drei bis sechs Monate, ca. 30 Stunden pro Woche. Eine Vergütung gibt es leider nicht, bei langfristigen Praktika sind nach einer Zeit von vier bis sechs Monaten aber erfolgsabhängige Zahlungen möglich. Das Praktikum kann auch in bequemer Heimarbeit absolviert werden.« Die Internet-Jobportale quellen über von Angeboten wie diesem. Immer mehr Unternehmen sind wegen der hohen Bewerberzahlen dazu übergegangen, ihre Praktikanten gar nicht zu entlohnen. Warum auch, die Stellen sind trotzdem begehrt.

Um Berufseinsteigern die Suche nach einem wenigstens sinnvollen Praktikumsplatz ein wenig zu erleichtern, hat die Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbunds das Projekt »Students@Work« gestartet. In der Firmenübersicht kann man nachlesen, wie ehemalige Praktikanten die Arbeitsbedingungen bei den Unternehmen bewertet haben. Wer sich hier informiert, findet nur wenige Firmen mit einer positiven Bewertung. Bei fast allen Unternehmern wird beanstandet, dass die Praktikanten fest eingeplant sind und somit reguläre und bezahlte Arbeitskräfte ersetzen. Das Beispiel eines Berliner Medienunternehmens macht Schule: Auf zwei fest Angestellte kommen vier freie Mitarbeiter und die stolze Zahl von zehn Praktikanten.

»Es ist immer noch besser, umsonst zu arbeiten, als zu Hause zu sitzen«, hört man oft als Rechtfertigung. »Ich mache gerade ein Praktikum« sagen zu können, scheint auch Akademiker mit größerem Stolz zu erfüllen als vom Staat Geld zu beziehen. Und das, obwohl Hartz IV lukrativer ist.

Das Praktikantengeschäft expandiert, und es wird Universitätsabsolventen immer normaler, mit 30 Jahren wie zu Studentenzeiten abends in der Bar zu stehen, nachdem man den ganzen Tag umsonst geackert hat. So kann man sich weiter jung und frei fühlen, denn die Stelle fürs Leben ist in weiter Ferne, alle Wege sind offen, das Studentenleben geht irgendwie weiter.

Doch wer weiß, wie lange Silvia und die vielen anderen noch bezahlte Kneipenjobs finden werden. Schon stößt man auf Anzeigen wie diese: Ein Café in Berlin sucht einen Praktikanten für drei bis sechs Monate, für fünf Tage die Woche. Eine Vergütung gibt es leider nicht, aber während der Arbeitszeit ist für die Verpflegung gesorgt. Immerhin kann man dort alles von der Pieke auf lernen und sich vom Nobody zum Tellerwäscher hocharbeiten.