Die Krähen kommen

Die panischen Berichte über ein Vordringen der Vogelgrippe nach Europa lenken von den tatsächlichen Gefahren einer Grippepandemie ab und führen zu zweifelhaften Maßnahmen. von cord riechelmann

Es gab vor einigen Tagen einen kurzen Beitrag im »heute-journal« aus dem rumänischen Donau-Delta, der beides zeigte, den Schrecken der vorbeugenden Maßnahmen und die Art und Weise, wie hierzulande Kausalbeziehungen hergestellt werden, ohne sie zu begründen. Man sah mit Gasmasken bekleidete Menschen in Schutzanzügen, die Gänse und Hühner an Hälsen und Körpern packten, in Mülltonnen stopften und dann Gas hineinleiteten, um die Tiere zu töten. Dazu gab es ein paar Bemerkungen über die Vogelgrippe in Rumänien, dann einen Kameraschwenk auf wilde Reiher, die Behauptung, dass das Virus von Zugvögeln von Asien nach Rumänien gebracht worden sei, und die etwas zusammenhanglose Bemerkung, dass angeblich über 300 verschiedene Vogelarten im Donau-Delta lebten.

Einen Gedanken daran, dass mit der Vernichtung des Geflügels im rumänischen Donau-Delta vielen Menschen dort – genauso wie auch bei den Massenschlachtungen in Asien vor einem Jahr – schlicht die sowieso nicht üppige Existenzgrundlage geraubt wird, verschwendete der Bericht nicht. Natürlich kam man auch nicht auf die Idee, die Massenschlachtungen generell als unsinnig anzusehen. Die Frage liegt aber nah, warum denn die Grippe aus Asien jetzt immer näher in die Zentren Europas vordringt, wenn doch vor einem Jahr dort jedes Huhn, dessen man habhaft werden konnte, erschlagen wurde? Hätte man sich dann die Schlachterei nicht sparen können, wenn sie die Ausbreitung sowieso nicht verhindert hat?

Neben den unterlassenen Fragen gab es im Beitrag aber auch eine nicht mal als Spekulation getarnte Falschmeldung: Es gibt bis heute keinen wissenschaftlichen Nachweis des als Erreger der Vogelgrippe benannten Influenza-Virustyps H5N1 bei auch nur einem Zugvogel. H5N1 ist nach den bisherigen Erkenntnissen bei domestizierten Hühnern, Enten und Gänsen entstanden, und seine Verbreitungschancen unter diesem Geflügel steigen exponenziell mit der Zahl der auf engem Raum gehaltenen Tiere. Die Tiere innerhalb der EU in die Stallhaltung zurückzuzwingen, in deren Folge der Virus entstanden ist, und das als vorbeugende Maßnahme zu verkaufen, ist nicht nur absurd, sondern grob fahrlässig.

Als Jürgen Trittin am Mittwoch vergangener Woche zum Schutz vor der so genannten Vogelgrippe die Eilverordnung zum Wegsperren bisher freilaufender Hühner, Enten und Gänse erließ, forderte er gleichzeitig die Bundesländer auf, auch die Wildvögel sehr streng zu beobachten und zu kontrollieren. Der Anlass für diese Maßnahmen war die Meldung, dass in der Gegend von Tula in Russland, 200 Kilometer südlich von Moskau, bei Hausgeflügel die »klinischen Anzeichen« der Vogelgrippeinfektion festgestellt wurden, wie die FAZ am Donnerstag auf der ersten Seite schrieb. Und aus der Gegend von Tula gebe es eine direkte Zugvogelverbindung durch Osteuropa bis nach Deutschland, womit die Gefahr, dass die Vögel den gefährlichen Erreger hierher bringen könnten, sozusagen angestiegen sei.

Was daran stimmt, ist, dass tatsächlich vor allem Saatkrähen aus der weiten russischen Ebene im Dreieck Petersburg, Moskau und Wologda im Herbst zum Überwintern nach Deutschland fliegen. Zehntausende der schwarzen Vögel kommen zum Beispiel jedes Jahr nach Berlin und treffen sich jeden Abend zwischen dem ehemaligen Palast der Republik und dem Alexanderplatz, um dort in den Bäumen zu schlafen. Die Vorstellung, dass Trittin oder wie der zuständige Politiker in Berlin heißt, dort nachts jetzt genauso viel. Ein-Euro-Jobber aufmarschieren lässt, die den Krähen dann mit dem beginnenden Tag in alle Himmelsrichtungen in die Vororte der Stadt folgen müssen, in die sie sich tagsüber verteilen, um sie »streng zu beobachten« und »engmaschig zu kontrollieren«, lässt einen erst lachen und dann erstarren.

Einfach deshalb, weil die in den Äußerungen wie den Maßnahmen behaupteten Zusammenhänge nicht gegeben sind. Und die Fernsehbilder von der Geflügelvernichtung etwa aus dem rumänischen Donau-Delta zeigen vor allem, wie Tiere in Massenhaltung gezwungen und dort psychisch und physisch auf »perverse Art mechanisiert« werden, wie der Schriftsteller Hans Wollschläger schreibt. Dessen zuerst im Jahr 1987 im Periodikum Die Republik erschienene Polemik gegen die Behandlung von Tieren im Dienste von Wissenschaft, Pharmaindustrie und moderner Landwirtschaft enthält mehr empirische Ursachenforschung zur so genannten Vogelgrippe als das meiste, was in den letzten Wochen zu lesen und zu sehen war, obwohl er von dem Phänomen damals noch nichts wissen konnte.

Unter in Massen auf engem Raum gehaltenem Geflügel gibt es Krankheitssymptome, die allein auf die Massenhaltung als Ursache zurückgeführt werden können, die den von der Vogelgrippe hervorgerufenen – wie manche meinen: verdächtig – ähnlich sind. Das heißt: Wenn die hier wieder eingesperrten Hühner die Symptome der Vogelgrippe zeigen, muss das nicht unbedingt an der Vogelgrippe liegen, es kann auch mit der Einsperrung zusammenhängen, und das gilt natürlich nicht nur hier, sondern auch in Asien.

Das auf diesen Zusammenhang in kaum einem Medienbericht hingewiesen wird, hängt mit einem allgemeinen Phänomen der Wissenschaftsberichterstattung zusammen. Kritik an den Methoden der Verfahren etablierter wissenschaftlicher Arbeit gibt es genauso selten wie eine exakte Beschreibung der Verfahren, die den Nachweis für das Virus H5N1 liefern (sollen). Es gibt bei Influenza-Viren allgemein Schwierigkeiten, das Virus nachzuweisen, die mit den Verfahren selbst zusammenhängen. Die Virologin Ortrud Werner antwortete auf die Frage, wie das H5N1-Virus nachgewiesen werden könne, in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Oktober: »Es gibt Schnelltests, die auch in der Humanmedizin (…) verwendet werden. (…) Die sind für den Nachweis bei Geflügel aber oft nicht geeignet. Wir wollen noch in diesem Monat eine Reihe dieser kommerziellen Schnelltests prüfen, um herauszufinden, ob sie sich für eine solche Diagnose überhaupt eignen und unter welchen Bedingungen.«

Man kann den Worten auch ohne böse Absicht entnehmen, dass die Testverfahren nicht ausgereift sind. Daraus – wie es jetzt geschieht – Panikberichte abzuleiten, die ein rasendes Vordringen der Vogelgrippe nach Europa beschwören, lenkt entschieden von den tatsächlichen Gefahren einer Grippepandemie ab und führt in der Folge zu zweifelhaften Maßnahmen wie Geflügelmassenschlachtungen und der Wiedereinführung von Haltungsbedingungen, die zumindest die ökologische Landwirtschaft als Ursache für bestimmte Krankheiten erkannt hat. Davon unabhängig gilt, dass Grippeviren überall und zu allen Zeiten durch Mutation zu bisher nicht bekannten Varianten werden können, die verheerende Pandemien zur Folge haben. Davor schützt dann auch das Schlachten von Hühnern und der Kauf von Grippemitteln nicht.

Einen messbaren Effekt der Vogelgrippepanik gibt es aber doch. Die Aktien der Grippemittel herstellenden Pharmafirmen hätten im Zuge der nahenden Vogelgrippe deutlich zugelegt, sagte kürzlich ein Börsenanalyst im Fernsehen. Und zu Recht, wie der Fernsehbörsenanalyst hinzufügte. Das wird wohl stimmen.