Durch die Wüste geschleust

Marokko wirft Algerien vor, schwarzafrikanische Flüchtlinge über die Grenze zu lassen, um dadurch das Nachbarland zu destabilisieren. von bernhard schmid, paris

Große Mauern dienten schon immer in der Menschheitsgeschichte dazu, die Wohlhabenden vom Elend der Ausgesperrten abzuschirmen, so jedenfalls die Sichtweise derer auf der einen Seite der Trennlinie. Eine solche Mauer, die die dramatischen Unterschiede, was den Wohlstand angeht, absichern soll, bildet die Südgrenze Europas, die den »alten Kontinent« vom postkolonialen Afrika und Asien trennt. Es ist ein Glücksfall der Geographie, vom Standpunkt der Befürworter einer Abschottung, dass die Wassermassen des Mittelmeers die Errichtung von Sperranlagen unnötig machen.

Rund um die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla sollen die stacheldrahtbewehrten Absperrungen, an denen seit Ende August bereits – offiziell – 14 Personen den Tod fanden, nunmehr von drei auf sechs Meter Höhe aufgestockt werden. Doch in der Gegend gibt es noch eine zweite »Mauer der Schande«, wie sie von den algerischen Nachbarn bezeichnet wird. Sie umgibt die Kernzonen der von Marokko beanspruchten und seit 1975 annektierten Westsahara, auf die auch die von Algerien unterstützte »Sahaurische Befreiungsbewegung« Polisario Anspruch erhebt.

Es hängt wohl auch mit der Existenz dieser anderen Mauer zusammen, wenn Algerien bislang die durchreisenden Migranten aus dem Rest des afrikanischen Kontinents – die nach Marokko und von dort aus weiter auf spanisches Territorium streben – relativ ungestört passieren ließ. Durch ihre Anwesenheit auf marokkanischem Boden wuchs der Druck der Europäischen Union auf die marokkansiche Regierung, die Schmutzarbeit zu übernehmen und diese Leute von der Wohlstandsfestung fern zu halten.

Einen gezielten »Versuch der Destabilisierung« seines Landes durch den Nachbarn beklagte vorige Woche der marokkanische Premierminister Driss Jettou. Die algerische Presse giftete zurück, die Tageszeitung El Watan sprach von einem »Delirium der marokkanischen Behörden«. Die französischsprachige Liberté publizierte empörende Erlebnisberichte afrikanischer Migranten, die von der marokkanischen Polizei misshandelt und danach in der Wüste ausgesetzt worden waren. Dabei suchte sich die Zeitung solche Migranten heraus, die nach ihrer Deportation in die südmarokkanische Wüste von Mitgliedern der auf algerischem Staatsgebiet angesiedelten Polisario-Front aufgenommen worden waren, und verortete ihren Aufenthaltsort in der Nähe der »Mauer der Schande«. Die Instrumentalisierung der Empörung, die über die marokkanischen Praktiken erweckt wurde, für nationale Anliegen war überdeutlich.

Die EU möchte ihr Interesse, ihre Südgrenze besser bewacht zu sehen, nicht durch die Rivalität zwischen den beiden nordafrikanischen Regionalmächten gefährden lassen. Deshalb plant sie, bis zum Ende des laufenden Jahres einen gemeinsamen Gipfel der Union mit Marokko und Algerien über die »Kontrolle der Migrationsströme« abzuhalten. Dessen Beschlüsse sollen einen repressiven Aspekt – eine verstärkte Absicherung der eigenen Grenzen durch die nordafrikanischen Staaten – und einen »Marshallplan für Afrika« miteinander verbinden. Denn offiziell hat man auch bei der EU erkannt, dass die Verelendeten eines Kontinents auf Dauer nicht allein durch Mauern oder den Gebrauch von Schusswaffen von der Suche nach einem besseren Leben abzuhalten sind. Konkret ist aber bislang allein die Rede von einer Verdopplung des Entwicklungshilfebudgets. Auch dies wird allenfalls für geringfügige Abhilfe sorgen. Stattdessen ist die internationale Arbeitsteilung in Frage zu stellen, die die Probleme immer weiter perpetuiert.