Objekt des Begehrens

Eine Initiative möchte im Kreuzberger Bethanien ein soziales und kulturelles Zentrum einrichten. Entscheiden sollen die Bürger des Bezirks. von christoph villinger

Eine Unterschrift, bitte!« Wer demnächst zu nächtlicher Stunde in einer Kreuzberger Kneipe dieser Aufforderung folgt, bekommt nicht wie sonst zwei Wochen später eine Zeitung probeweise geliefert, sondern möglicherweise, ein wenig später, ein neues soziales und kulturelles Zentrum. Darin soll Platz sein für die Ateliers von Kunstschaffenden aus aller Welt, für das Hausprojekt »New Yorck« und vieles mehr. Das ist zumindest die Vorstellung der Initiative »Zukunft Bethanien«.

Seit Anfang August sind in den Berliner Bezirken Bürgerbegehren möglich. Das erste, das am Mittwoch voriger Woche eingereicht wurde, richtet sich ausdrücklich gegen den Plan des Bezirksamts, das riesige Gebäude am Mariannenplatz an einen privaten Investor zu verkaufen.

Zwei Monate lang hatte die etwa 25köpfige Initiative mit der Hilfe von Anwälten über den fünf Fragen gebrütet. Es galt, das Gleichgewicht zwischen deutlichen Forderungen an das Bezirksamt und dem, was rechtlich zulässig ist, zu wahren. Das scheint gelungen zu sein, denn selbst der Jurist und Vertreter der Kreuzberger SPD im Abgeordnetenhaus, Stefan Zackenfels, konnte ein anerkennendes Schmunzeln beim ersten Durchlesen des Fragenkatalogs nicht verbergen.

Die Initiative fordert, dass das Hauptgebäude des Bethanien in öffentlicher Hand bleibt, damit dort ein »offenes kulturelles, künstlerisches, politisches und soziales Zentrum« entstehen kann. Die Trägerschaft des Gebäudes soll vom Bezirk an eine »geeignete gemeinnützige Körperschaft übergehen«. Schließlich will die Initiative, dass die derzeitigen Nutzerinnen und Nutzer in ihren Räumen bleiben dürfen, einschließlich der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner der Yorckstraße 59, die seit Monaten den Südflügel besetzt halten. Dieser Punkt ist den Bezirkspolitikerinnen und -politikern vermutlich unangenehm, ansonsten unterstützen die drei großen Parteien der Bezirksverordnetenversammlung (Linkspartei, SPD, Grüne) das Bürgerbegehren, wenn man ihren Worten Glauben schenken darf.

Inwieweit insbesondere die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei) und die drei weiteren Stadträte der Linkspartei und der SPD auf ihre Parteien hören werden, bleibt fraglich. Reinauer betonte am Donnerstag vergangener Woche erneut gegenüber der Presse, dass sie eine Räumung der besetzten Etagen im Bethanien bis Ende des Monats erwarte. Dort, in der »New Yorck«, befinden sich inzwischen auch die Büroräume der Initiative »Zukunft Bethanien«. Ihr Angebot, dafür Miete zu zahlen, lehnte der Bezirk ab.

Bevor die Initiative beginnen kann, die etwa 5 000 erforderlichen Unterschriften zu sammeln, muss der Bezirk »umgehend« die mit dem Bürgerbegehren anfallenden Kosten abschätzen und innerhalb von vier Wochen die Zulässigkeit der Fragen prüfen. Unterschreiben dürfen dann offiziell alle Friedrichshainer und Kreuzberger EU-Bürger ab 16 Jahren. Doch die Initiative hat bereits angekündigt, die Unterschreibenden auf keinen Fall nach ihrem Pass zu fragen. Die Bezirksverordnetenversammlung selbst hatte wiederholt ein kommunales Wahlrecht für alle gefordert. Werden also auch die Unterschriften der 23,7 Prozent Bürgerinnen und Bürger des Bezirks mitgezählt, die keinen EU-Pass haben?

In der Initiative sprießen inzwischen die Ideen, was man alles mit dem Bethanien anfangen könnte. Von einem »Leuchtturmprojekt, wie man vieles in Kreuzberg besser machen kann«, träumt etwa Wolfgang Lenk. Ihm liegt besonders eine »Förderung aller Lebenskünste« am Herzen. Im Umkreis des Bethanien befürchten jedoch einige, dass die Zusammenarbeit von Vertreterinnen und Vertretern der »Hochkultur«, für die das Künstlerhaus Bethanien steht, und jenen der »Kiezkultur« im Sinne der »New Yorck« Probleme mit sich bringen könnte.

Fast nebenbei wurde vor wenigen Tagen bekannt gegeben, dass aus der Anfang Juni geräumten »Yorck 59« mittlerweile zwei Projekte hervorgegangen seien. Die Besetzerinnen und Besetzer des Bethanien wollen dauerhaft im Haus bleiben. Eine weitere, inzwischen ebenfalls auf 60 Menschen angewachsene Gruppe will mit Hilfe des Mietshäuser-Syndikats eine leer stehende Schule in der Scharnweberstraße in Friedrichshain kaufen.

»Da muss man doch nur mal laut ›piep‹ sagen, dann ist die Hütte voll«, sagt Dieter Ruhnke, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE). Er sieht kein Problem darin, das Hauptgebäude des Bethanien für den Bezirk »kostenneutral« zu bewirtschaften. Damit widerspricht er dem zentralen Argument des Bezirksamts, weshalb das Gebäude an einen privaten Investor verkauft werden müsse. Ruhnke weiß, wovon er spricht: Die GSE betreibt das »Georg-von-Rauch-Haus« im ehemaligen Schwesternwohnheim des Bethanien-Krankenhauses. Doch das Bezirksamt zog weder ihn noch Matthias Schindler zu Rate, der mit seiner alternativen Wirtschaftsberatung »Berolina« vor zwei Jahren ein Genossenschaftskonzept für das Bethanien entwickelte.

Ein Grund für die Verweigerung einiger Bezirkspolitikerinnen und -politiker könnte die Frustration darüber sein, dass in den letzten Jahren etliche ihrer Vorschläge an den diversen Interessengruppen im Haus scheiterten. Zudem sind sie mit einem einstimmigen Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses vom November 2004 konfrontiert, demzufolge alle Immobilien der Bezirke entweder von Bezirkseinrichtungen benutzt oder spätestens im Laufe des Jahres 2006 an den landeseigenen Liegenschaftsfonds übertragen werden müssen. Erst der drohende Verkauf an einen privaten Investor weckte sowohl Anwohnerinnen und Anwohner als auch die Projekte im Haus auf.

Der Hauptgrund für die Blockade dürfte jedoch sein, dass sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die etwa gleich starken Parteien Grüne, Linkspartei und SPD permanent im Wahlkampf befinden. So empfanden Angehörige der Linkspartei die Besetzung des Bethanien als »Inszenierung der Grünen« im Bundestagswahlkampf, die ihrem Direktkandidaten Hans-Christian Ströbele die Gelegenheit gab, »populistisch in einem besetzten Haus durchs Bild laufen« zu können. Offensichtlich hatte er damit Erfolg: 53 Prozent der Kreuzberger Erststimmen sind ein deutliches Votum.

Und nach der Wahl ist vor der Wahl: Im Herbst 2006 wird die Bezirksverordnetenversammlung neu gewählt. Zumindest im Stadtteil Kreuzberg droht die Linkspartei, zwischen den Grünen und ihren in der Wasg organisierten Kritikerinnen und Kritikern zerrieben zu werden. Deshalb machen sich die Grünen Hoffnungen, Ende 2006 als stärkste Partei im Bezirk wieder den Bürgermeister stellen zu können.