Petritsch und sein Mantra
Wolfgang Petritsch hatte die Anwesenden auf seiner Seite. Österreichs Botschafter bei den Vereinten Nationen war einer der Ausrichter der Konferenz »Zehn Jahre Dayton und danach«, die Ende vergangener Woche in Genf stattfand. Vor dreieinhalb Jahren hatte sich Petritsch als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina verabschiedet. Das Hauptziel der Konferenz war es, das unter seiner Ägide nicht durchgesetzte »Ownership«-Konzept endlich dauerhaft im politischen System Bosniens zu verankern. Das Konzept sieht mehr Eigenverantwortung für lokale Politiker und die Zivilgesellschaft vor.
Petritschs britischer Nachfolger Paddy Ashdown war zwar auf der Konferenz ebenfalls präsent, doch die uneingeschränkte Sympathie der Anwesenden gehörte dem österreichischen Sozialdemokraten. Denn knapp eine Dekade nach dem Friedensschluss von Dayton, der den Bosnien-Krieg im November 1995 nach mehr als dreieinhalb Jahren beendete, lässt sich der Unmut über die rabiate Herrschaft des britischen Lords kaum noch verbergen. Vergangenes Jahr enthob Ashdown allein an einem Tag fast fünf Dutzend bosnisch-serbischer Amtsinhaber und Parteifunktionäre ihrer Posten. Der renommierte Berliner Think Tank »European Stability Initiative« hatte dem früheren Vorsitzenden der britischen Liberaldemokraten schon vor längerem vorgeworfen, das Nachkriegsland zu regieren wie die königliche Kolonialmacht Indien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
»Paddy, go home«, rufen deshalb Unternehmer und Politiker nicht nur in der bosnisch-serbischen Republika Srpska. Auch in der muslimisch-kroatischen Föderation, dem zweiten in Dayton geschaffenen, als »Entität« bezeichneten bosnischen Bundesland, sehnt man sich nach einem Nachfolger, der den lokalen Autoritäten mehr Spielraum lässt. Petritsch sprach diesen Kreisen auf der Konferenz aus dem Herzen. »Die überwältigende Dominanz der internationalen Gemeinschaft in Bosnien muss beendet werden«, sagte Petritsch der Jungle World. Ähnlich äußert sich mittlerweile auch Ashdown selbst: »Mein Ziel war es, Bosnien unwiderruflich zu einem normalen Staat zu machen und das Land auf den Weg in Richtung EU und Nato zu bringen. Das ist die Voraussetzung, um die Rolle des Hohen Repräsentanten einzuschränken und die Behörde letztlich abzuschaffen«, sagte Ashdown der Jungle World.
Pläne dieser Art hegt die EU schon seit längerem. Denn als Sondergesandter des EU-Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, ist der Hohe Repräsentant in den vergangenen Jahren immer mehr zum Statthalter für die Bosnien-Politik der EU geworden, auch wenn die USA und Russland im »Friedensimplementierungsrat«, einer Art Aufsichtsrat der Protektoratsbehörde, weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Die Präsenz in dem Land mit den 3,5 Millionen Einwohnern, die teuer ist und viel Personal erfordert, will sich die Union nicht länger leisten. Der im Dezember erwartete Beginn von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU soll deshalb den Anfang vom Ende der umfassenden Vollmachten des Protektoratschefs einleiten.
Greifen muss dann »das Mantra der Eigenverantwortung«, wie Petritsch das von Sozialwissenschaftlern entworfene »Ownership«-Konzept umschreibt. Das ist nicht einfach in einem Staat, den zwei der drei Bevölkerungsgruppen nicht wollen und in dem alle mit Verweis auf die Entscheidungshoheit des Hohen Repräsentanten Kompromisse gerne umgehen. Deshalb dürfte es auch Ashdowns Nachfolger, der in den kommenden Wochen ernannt werden soll, nicht leicht haben. Vielleicht ein Deutscher? »Es hat mich schon erstaunt, dass Berlin bislang keinen eigenen Kandiaten für den Posten vorgeschlagen hat«, sagt Petritsch.