Stirb schneller!

Der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) hat mit seinen Äußerungen erneut eine Debatte über die Sterbehilfe ausgelöst. Der Verein Dignitas versucht derweil, Tatsachen zu schaffen. von guido sprügel

Es ist ein Thema, mit dem sich Hinterbänkler profilieren können. Im halbjährlichen Rhythmus regt ein zumeist regional bekannter Politiker die Debatte um die Legalisierung der Sterbehilfe in Deutschland an. Vor kurzem hat sich der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) im Hamburger Abendblatt für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen. In seinem Beitrag vom 11. Oktober fordert er eine »verantwortungsvolle, mitfühlende Sterbehilfe« als »Gebot christlicher Nächstenliebe«. Voller Inbrunst schreibt er: »Der Gott, an den ich glaube, kann gar nicht den Willen haben, einen unheilbar und damit hoffnungslos Kranken über dessen Durchhaltevermögen hinaus leiden zu lassen.«

Vom Willen Gottes gelangt Kusch dann schnurstracks zur profanen Justiz und vergleicht die Sterbehilfe, wie konnte es anders sein, mit dem Schwangerschaftsabbruch. Unsere Rechtsordnung messe mit zweiferlei Maß, schreibt er. »Die Schwangere darf sogar fremdes Leben zerstören, aber der Todkranke darf nicht die Beendigung seines eigenen Lebens verlangen.«

Die Vermengung der Themen »Tötung auf Verlangen« und »Schwangerschaftsabbruch« ist bislang einmalig in der Debatte über die Sterbehilfe in Deutschland. Kusch stellt mit seinem Vergleich die Schwangere, die sich etwa nach einer Vergewaltigung zum Abbruch entscheidet, juristisch und moralisch mit demjenigen gleich, der – möglicherweise um das »Mitleiden« der Angehörigen zu beenden – auf aktive Sterbehilfe bei einem Verwandten drängt. Um Missbräuche zu verhindern, wünscht sich Kusch »drei Voraussetzungen strafloser Sterbehilfe«, nämlich: »erstens die ärztliche Feststellung einer irreversiblen tödlichen Krankheit, zweitens eine eingehende ärztliche Beratung und drittens die notariell beglaubigte Erklärung des Sterbewillens bei vollem Bewusstsein«.

Ähnliche Regelungen gelten in den Niederlanden seit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe im Jahr 2002. Eine Studie der niederländischen Regierung, die der Spiegel veröffentlichte, zeigte inzwischen, dass die Ärzte in 38 Prozent der Fälle die Patienten nicht nur getötet hätten, weil diese unheilbar krank gewesen seien, sondern auch, weil »die Nächsten es nicht mehr ertragen« konnten. Auch die Gruppe von Menschen, für die Sterbehilfe in Erwägung gezogen wird, erweitert sich: Waren es zunächst nur Erwachsene, die auf Verlangen getötet werden durften, diskutiert das niederländische Parlament derzeit die Ausdehnung auf schwerkranke Neugeborene.

Kuschs Artikel im Hamburger Abendblatt zog viele Reaktionen nach sich. Sowohl Vertreter der Kirchen als auch der SPD und der CDU beteuerten ihre Ablehnung der Sterbehilfe. »Wir wollen Hilfe beim Sterben, nicht Hilfe zum Sterben«, betonte der Generalsekretär der CDU, Volker Kauder. Und die amtierende Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hob hervor: »Aktive Sterbehilfe ist und bleibt in Deutschland verboten.«

Überaschend kam in der vorigen Woche hingegen die Äußerung der früheren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie wünschte sich in der Welt, dass die Diskussion »endlich ehrlicher und weniger ideologisch« geführt werde. »Der freie Wille von Schwerstkranken hat bis zum Schluss Priorität. Daher befürworte ich Überlegungen, in ganz schweren Fälle aktive Sterbehilfe zuzulassen.«

Die halbjährlich wiederkehrende Forderung nach der Einführung der aktiven Sterbehilfe lässt jedoch bestimmte Fragen immer wieder unberücksichtigt: Welche Alternativen gibt es zum einfachen Töten? Warum und wie kommen Menschen zu dem Wunsch, sterben zu wollen?

»Die Äußerungen von Herrn Kusch sind eine schlimme Art von Volksverdummung, denn es wird nur die Alternative Töten für schwerstkranke Menschen angeboten«, sagt Monika Schweihoff, eine Ärztin im Grundsatzreferat der Deutschen Hospiz-Stiftung, der Jungle World. Dabei zeige der Alltag in den Hospizen, dass der Todeswunsch von Patienten, die umfassend gepflegt und palliativmedizinisch versorgt werden, abnehme. »Die Forschung im Bereich der Palliativmedizin zeigt, dass bei Patienten in erster Linie der Wunsch nach Leidensminderung vorhanden ist und nicht der Todeswunsch«, meint sie.

Doch in Deutschland ist die umfassende medizinische, soziale und psychologische Betreuung von Sterbenden in Hospizen immer noch die große Ausnahme. In nur zwei Prozent der Fälle wird diese Patientengruppe palliativ betreut. Dass bei den leidenden, allein gelassenen Menschen so schnell der Wunsch aufkomme, »von ihren Schmerzen erlöst« zu werden, ist für Eugen Brysch, den Geschäftsführenden Vorstand der Deutschen Hospiz-Stiftung, nur verständlich. »Dieser Wunsch bedeutet aber oft nichts anderes als die Bitte um ›Erlösung‹ von diesen furchtbaren Lebensbedingungen und vom Alleinsein«, erläutert er.

Die Deutsche Hospiz-Stiftung bemüht sich seit zehn Jahren um eine umfassende Einführung von Hospizen in Deutschland. Sie denkt dabei an ein Netzwerk, in dem alle für einen schwerkranken Patienten zuständigen Fachkräfte zusammenarbeiten, vom Hausarzt bis zu den Klinikärzten. »Und da viele Bürger in Deutschland, aber auch Pfleger und Ärzte die Palliativmedizin und die Einrichtung Hospiz kaum kennen, sind Fort- und Weiterbildungen ein dringendes Gebot«, meint Schweihoff.

Für die Einführung von palliativmedizinischen Versorgungsstrukturen in Deutschland würden rund 0,5 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen benötigt; in der Realität stehen gerade einmal 0,12 Prozent zur Verfügung, hat die deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin errechnet.

Während die Politiker sich nun öffentlich Gedanken über ihr Gewissen machen und wie so oft angeblich innerlich um den richtigen Weg ringen, schafft der Schweizer Verein Dignitas bereits Tatsachen. Ende September eröffnete er in Hannover sein erstes Büro in Deutschland. Ziel von Dignitas ist die Hilfe zum Suizid mit dem Medikament Natrium-Pentobarbital. In der Schweiz darf dieses Medikament verschrieben werden, Dignitas bietet dort eine »umfassende« Sterbebegleitung an. Für knapp 1 100 Euro kann man sich beraten lassen, um schließlich das Medikament und die Todesbegleitung zu erhalten. Die Hilfe zum Selbstmord ist in der Schweiz straffrei.

Knapp 250 Deutsche sind in den vergangenen Jahren bereits in die Schweiz gereist, um die Dienste von Dignitas in Anspruch zu nehmen. Für die Deutsche Hospiz-Stiftung handelt es sich um ein Geschäft mit dem Tod. »Dignitas bietet überhaupt keine umfassende Beratung, sondern als einzige Alternative den Tod an – und verdient daran«, meint Schweihoff.

Der für Dignitas in Deutschland zuständige Rechtsanwalt, Dieter Gräfe, weist diese Vorwürfe weit von sich. »Das sind unwahre Behauptungen. Wir erheben nur eine Art Mitgliedsbeitrag, wie er auch in Gymnastik- oder Wandergruppen üblich ist. In den Kosten ist sogar schon der Sarg enthalten«, betont er im Gespräch mit der Jungle World.

Die niedersächsische Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) hat indes vorgeschlagen, Dignitas zu verbieten und »den geschäftsmäßigen Betrieb von Suizidhilfe« durch eine Bundesratsinitiative strafrechtlich zu verfolgen.