Unfreiwillig operiert

Die Unesco erklärt in ihrer ersten Bioethik-Deklaration Forschungen an Patienten, die nicht selber entscheiden können, für zulässig. von kamil majchrzak

Ein Mensch sollte über jeden medizinischen Eingriff ein Mitspracherecht haben. Dieses Statement erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich, doch nicht einmal die Unesco (UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation) hält besonders viel davon, Menschen den unbedingten Schutz ihrer Person zu garantieren. Mitte Oktober verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Unesco die »Universelle Erklärung über Bioethik und Menschenrechte«, die u. a. biomedizinische Versuche zu Forschungszwecken an so genannten einwilligungsunfähigen Personen vorsieht.

Die Erklärung der Unesco ist die erste grundlegende Bioethik-Deklaration. Sie soll weltweite Mindeststandards für ethische Fragen in der Medizin setzen, ist aber rechtlich nicht bindend. Sie enthält universelle bioethische Prinzipien und Verfahren als Leitlinien für das Handeln von Staaten bei der Gesetzgebung und im politischen Prozess sowie für das Verhalten von Ärzten, Forschern, privaten und öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen. In Artikel 7 ist vorgesehen, dass wissenschaftliche Forschung unter bestimmten Voraussetzungen an »einwilligungsunfähigen Personen« zulässig sein soll, auch wenn der Eingriff keinen persönlichen Nutzen für sie hat.

Damit griff die UN-Organisation ein umstrittenes Thema auf. Der Versuch der UN, eine Grundsatzerklärung dazu zu verabschieden, ist bereits in der Generalversammlung der Organisation wegen divergierender Meinungen gescheitert. Nach Auskunft der Unesco habe kein Mitgliedsland gegen die Formulierungen in Artikel 7 schwer wiegende Einwände geäußert und gegen die Annahme der Deklaration gestimmt.

Fraglos ist es in bestimmten Situationen schwierig, die Patienten über die Risiken eines Eingriffs hinreichend aufzuklären und eine freiwillige Einwilligungserklärung zu erhalten. Alzheimerpatienten, psychisch Kranke und geistig behinderte Menschen sind sich der Folgen eines Eingriffs nicht unbedingt bewusst. Deshalb bedarf es in diesem Bereich auch strenger Regelungen zum Schutz dieser Patienten vor Eingriffen, die nicht einmal zu ihrem eigenen Vorteil sind. Forschung an »einwilligungsunfähigen Personen« war bislang sowohl nach internationalem als auch deutschem Recht verboten. Die Unesco-Erklärung bricht damit bislang international verbindliche Normen und verletzt darüber hinaus auch Bestimmungen des deutschen Grundgesetzes. Die Deklaration bezieht sich auf die Bioethik-Konvention des Europarates. Dieser Konvention ist Deutschland aber bislang gerade wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht beigetreten.

Einen ersten Schritt zur Aufweichung dieses Verbots bildete die deutsche Arzneimittelgesetznovelle aus dem Jahr 2001. Mit dieser Novelle und der Verordnung über die Anwendung der so genannten Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln wurde im August vergangenen Jahres eine EU-Richtlinie als deutsches Recht festgeschrieben. Die Forschung an Kindern und Jugendlichen ist hier unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gestattet, wenn kein individueller Nutzen für die betreffende Person, sondern nur ein künftiger Nutzen für die betreffende Patientengruppe erwartet werden kann. Das Gesetz begrenzt die Eingriffe auf eine klar definierte Personengruppe von Kindern und verlangt ausdrücklich die Einwilligung der Eltern.

Dies ist bereits äußerst zweifelhaft. Eltern verfügen aber immerhin über eine enge persönliche Bindung zu ihrem Kind und können so die Folgen und Risiken für ihr Kind besser abschätzen als ein so genannter Betreuer, der alle paar Wochen seine Pflegebedürftigen z.B. im Altersheim besucht und de facto keine Kontrolle über eventuelle Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte besitzt.

Die Unesco-Erklärung sieht jedoch Forschungen an »einwilligungsunfähigen Personen« in solchen Fällen vor, wo die Einwilligung lediglich durch eine nicht näher definierte »Autorisierung« erfolgt. Auch diese Versuche sind mit keinem potenziellen Nutzen für die Probanden selbst verbunden. Die Unesco spricht hier nicht einmal von gesetzlichen Vertretern. So wäre es möglich, eine autorisierte Einwilligung auch per Gesetz zu erlassen oder durch eine Verordnung festzulegen, mit der eine einwilligungsunfähige Personengruppe zu Forschungen gezwungen werden könnte.

Zudem ist Artikel 7 der Deklaration so formuliert, dass die Ablehnung der Betroffenen, an solchen Forschungsprojekten teilzunehmen, nicht verbindlich ist. Es heißt darin: »Die Weigerung einer solchen Person, an Forschungen teilzunehmen, sollte respektiert werden.« Diese Formulierung beinhaltet kein Verbot der Forschung, wenn Menschen sich dagegen ausgesprochen haben. Missbrauch ist damit Tür und Tor geöffnet.

Die Unesco-Deklaration schränkt die Eingriffe nur insoweit ein, als die Belastungen und Risiken »minimal« sein sollen. Das Dokument unterlässt es jedoch, den Begriff »minimal« zu definieren. Gerade hier müssten aber Kriterien festgelegt werden, die objektiv operationalisierbar sind, da über den Eingriff selbst nur eine nicht näher bestimmte »autorisierte« Stelle entscheidet. Damit liegt die Definitionsmacht über den Eingriff bei denen, die ohnehin ein Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens besitzen. Das Wohlergehen der Probanden ist somit für den Eingriff nicht von Bedeutung.

Forschungsvorhaben an »einwilligungsunfähigen« Menschen verletzen die grundgesetzlich verankerte Menschenwürde und entwerten die Grenze zwischen Heilversuch und medizinischem Experiment. Den Unterschied erklärte Michael Pap als Gutachter des Nationalen Ethikrates Anfang dieses Jahres beim Forum Bioethik: »Dem klinischen Experiment fehlt im Gegensatz zum Heilversuch von vornherein die medizinische Indikation im Hinblick auf die Versuchsperson und erst recht die konkrete therapeutische Absicht. (…) Der medizinische Eingriff im Rahmen eines klinischen Experiments stellt sich strafrechtlich zunächst einmal als Körperverletzung dar, die ihre Rechtfertigung ausschließlich in der aufgeklärten Einwilligung des Probanden selbst finden kann.«

Die Menschenwürde ist jedenfalls immer dann verletzt, wenn der Mensch zum bloßen Objekt degradiert wird, zu einem Mittel zum Zweck. Ein Mensch muss sich auch nicht erst durch seine Einsichts- bzw. Kommunikationsfähigkeit seine Menschenwürde verdienen. Diese besitzt er, ob er nun krank oder gesund ist. Der Paradigmenwechsel vollzieht sich in der Umwidmung des ärztlichen Heilauftrages zur Nutzbarmachung des Menschen für bio-medizinische Forschung.