Kriminelle Chromosomen

in die presse

Ian Brady und Myra Hindley waren ohne Zweifel unangenehme Zeitgenossen. In den sechziger Jahren ermordete das Paar mehrere Kinder und hielt die Taten auf Tonband fest, um sich später mit den Aufnahmen zu stimulieren. Als der Fall bekannt wurde, waren die Menschen in Großbritannien geschockt. Politiker, die Presse und die Öffentlichkeit fragten sich: Warum?

Die Briten können nun endlich aufatmen. Das Magazin SZ-Wissen hat in seiner aktuellen Ausgabe die Antwort. Brady und Hindley seien »das beste Beispiel für böses Saatgut«. Das glaubt zumindest der New Yorker Psychiatrieprofessor Michael Stone. Stone, »eine Koryphäe auf dem Gebiet der Persönlichkeitsstörungen«, hat weitere bahnbrechende Erkenntnisse parat: »Es gibt alles, es gibt Hitler, es gibt Mozart. Manche Typen schlagen eine verdammte Kerbe in unser Sozialgefüge. Aber sie lehren uns etwas über unser Hirn, wie es arbeitet.«

Diese Lektion haben die im Artikel befragten Hirnforscher längst gelernt. Und so suchen sie »im präfrontalen Kortex, gleich oberhalb der Augen« oder im Frontalhirn, wo »Aggressionsimpulse aus dem limbischen System fast ungehindert passieren« können, nach dem »Bösen« im Menschen. Und wo es schon so biologistisch zugeht, dürfen sie nicht fehlen, die »Aggressions-Gene« und »kriminellen Chromosomen«.

All die graue Theorie bedarf natürlich der Vermittlung in die Praxis. Die Schreiber von SZ-Wissen sind anscheinend Menschen der Tat und liefern die anregenden Fragestellungen gleich mit: »Man kann also etwas tun im Täterhirn? Operativ, durch Erziehung?« Und nicht nur im medizinischen, auch im juristischen Bereich gibt es Tipps für die konkrete Anwendung: »Aber ein Richter sollte wissen, wenn ein Mensch genetische Fehler hat.«

Myra Hindley bleiben diese Zumutungen der modernen Wissenschaft und des modernen Journalismus erspart. Sie starb 2002 im Gefängnis.

markus ströhlein