Mein Afrika

Eine kolonialkritische Stimme: G. A. Krause alias Malam Musa. Von Peter Sebald

Als Reichskanzler Bismarck 1884 mit Kolonialannexionen in Afrika den ersten Schritt des Kaiserreichs in die überseeische Welt vollzog, machte jene Welt ihm sofort klar, dass sie ihr »Eigenleben« hatte. Zu den nach seinen Direktiven geplanten Kolonialgründungen im Gebiet Südwestafrikas (heute Namibia) und Kameruns kam die nicht vorgesehene Annexion der Togoküste am 5. Juli 1884. Die Häuptlingsgruppe eines Dorfes hatte sich verhandlungswillig gezeigt, weil ihr religiöses Oberhaupt im Schutzvertrag mit dem Kaiserlichen Generalkonsul Dr. Gustav Nachtigal zum »König« erhoben wurde.

Aufmerksam nahmen die Deutschen Kenntnis von der neuen, exotisch-»deutschen« Welt in Afrika, die ihnen die Regierung als Ergebnis ihrer Geheimdiplomatie präsentierte – aber auch misstrauisch, ob der einseitigen amtlichen Darstellung. Denn Bismarck baute aus den Informationen der vom Auswärtigen Amt und vom Reichsmarineamt nach Afrika und Übersee entsandten Beamten und Kommandeuren der Kriegsschiffe nicht nur seine imperiale Kolonial- und Flottenpolitik gegenüber den europäischen Großmächten aus. Mit diesen neuen Themen wollten die Regierung und die sie unterstützenden Parteien auch die Wähler beeinflussen.

Das geschah vor allem über die Presse, insbesondere über Tageszeitungen, die politischen Parteien nahe standen oder sich als »unabhängig« deklarierten. Die Redaktionen waren an zusätzlichen Informationen zu den offiziösen Verlautbarungen interessiert. In Afrika lebenden Deutschen, meist Handelsagenten, Missionaren und »Reisenden«, eröffnete sich somit eine Möglichkeit, in deutschen Zeitungen an die Öffentlichkeit zu treten. Die Regierung verordnete ihren Beamten die Zustimmung der Vorgesetzten für Presseveröffentlichungen. Missionare und Handelsagenten unterstanden ohnehin ihren Direktionen, die Informationen mehr zur Durchsetzung ihrer Missions- bzw. Geschäftsinteressen bei der Regierung in Berlin als zur Aufklärung der deutschen Leserschaft nutzten.

Die wenigen Deutschen, die sich aus Enthusiasmus der Erforschung Afrikas zuwandten, köderte die Regierung für eine freundliche Berichterstattung mit lukrativen Forschungsaufträgen, finanziert aus ihrem angeblich wissenschaftlichen Zwecken dienenden »Afrika-Fonds«, oder diffamierte sie gnadenlos, wenn sie die koloniale Kollaboration ablehnten oder die Regierung kritisierten, wie es der »Fall Krause« allen deutlich machte.

Gottlob Adolf Krause (1850 bis 1938), ein sächsischer Bauernsohn, hatte schon als Gymnasiast in Leipzig den Entschluss gefasst, »an der Erforschung und Humanisierung Afrikas mitzuwirken«. 1868/69 hielt er sich zum ersten Mal in Libyen auf, begann Arabisch und das in Westafrika weit verbreitete Hausa zu lernen. Bereits 1875 erkannte er: »Es gibt zwei Arten von Negern. Solche, die in Lehrbüchern und Köpfen von Europäern, und solche, die in Afrika vorkommen. Beiden gemeinsam ist wenig mehr als der Name.« 1873 bis 1876 studierte er in Leipzig Naturwissenschaften, 1878 bis 1882 betrieb er in und um Tripolis linguistische, historische und botanische Studien. 1883 kehrte Krause aus finanziellen Gründen nach Deutschland zurück. Auch für ihn wurde 1884 zu einem Einschnitt. Ein »Mäzen« sandte ihn als Leiter einer wissenschaftlichen Niger-Expedition an die Küste Nigerias. Doch als er dort deutsche Kolonialpläne verwirklichen sollte, lehnte er ab: »Ich wünsche nicht, dass die Reichtümer Afrikas dazu dienen sollen, reiche Europäer noch mehr zu bereichern.«

Die Rache der Regierung traf ihn, als er 1886 um Beihilfe für eine Expedition ins Innere Westafrikas nachsuchte: »Seitens des Ausw. Amts wurde eine Unterstützung des Krause nicht befürwortet, weil derselbe sich um die Förderung kolonialpolitischer Unternehmungen in Afrika keine Verdienste erworben habe, vielmehr ausschließlich Gelehrter und Sprachforscher sei.« Krause erschloss sich eine finanzielle Quelle, indem er in der Berliner Presse, insbesondere der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung) und dem Berliner Tageblatt, Artikel über Afrika veröffentlichte. Er wollte Verständnis für afrikanische Probleme in allen Menschen wecken, »und der geneigte Leser wird sich dann selbst ein Urteil bilden können, ob das Seelenleben der Neger fast ›vertiert‹ ist oder nicht«.

Mit finanzieller Unterstützung der Kreuz-zeitung unternahm er 1886/87 eine Forschungsreise ins Innere Westafrikas. Von Accra marschierte er über Ouagadougou bis in die Nähe von Timbuktu. Auf dem Rückmarsch durchquerte er als erster Deutscher das unbekannte Hinterland von Togo. Insgesamt legte er, im Besitz von 126 Mark, etwa 4 300 Kilometer zurück. »Ich habe überall das Land friedlich betreten und friedlich verlassen, ohne eine Waffe zu haben. Die Wissenschaft braucht kein Blut.« Das stand im Gegensatz zu den kolonialen Forschungsexpeditionen, wie die Kreuzzeitung am 4. März 1889 vermerkte.

Ein Kolonialoffizier aus Togo berichtete: »Er ist nicht als Baturi – weißer Herr –, sondern als Malam Musa und Bruder der schwarzen Händler aufgetreten«, und ein Stabsarzt Dr. Wolf forderte, Krauses Ausreise nach Togo zu verhindern, »weil sonst das Ansehen der Europäer eine schwere Schädigung erleidet und die Achtung vor der ›weißen Hautfarbe‹ verloren geht«. Darauf wies das Auswärtige Amt die Beamten in Togo vertraulich an, ihn künftig aus der Kolonie auszuweisen.

Noch war das Landesinnere Westafrikas unter den Großmächten nicht aufgeteilt. Krause begab sich 1889 dorthin, nach Salaga, einem 350 Kilometer von der Küste entfernten Ort. Im 19. Jahrhundert war Salaga ein Zentrum des innerafrikanischen Fernhandels, von dem Hausa-Händler in Karawanen die Kolanuss nach Nordnigeria brachten. Jene Hausa zogen aber auch von Salaga zur britischen Küste der »Gold Coast Colony« und der deutschen Kolonie, je nachdem, wo sie billig einkaufen konnten.

In Salaga gründete Krause eine »wissenschaftlich-kommerzielle Station«, betrieb Sprachstudien und unterrichtete Afrikaner: Beides brachte ihm seinen afrikanischen Namen »Malam Musa« ein. Der fließend Hausa sprechende Krause war durch die Fernhändler über die Vorgänge in Westafrika hervorragend informiert, auch über die deutschen Vorstöße ins Hinterland von Togo. Im Gegenzug zur Kola brachten die Hausa-Händler Vieh und »Sklaven«, und sie hatten schnell herausgefunden, dass die britischen Administrationen den Sklavenhandel verboten hatten, die deutschen Beamten aber Sklaverei und Sklavenhandel nicht nur duldeten, sondern förderten.

Krause richtete deswegen im September 1891 eine Petition an den deutschen Reichstag, »betreffend den Sklavenhandel im deutschen Schutzgebiet Togo«. Diese Petition ließ die Reichsregierung ins Leere laufen. Aber die Diskussion über die Artikel Krauses hielt an. Seine Argumente fanden jedoch keine amtliche Erwiderung. Mit der reaktionären Mehrheit im Reichstag verabschiedete die Regierung schließlich ihr mehr als fragwürdiges Gesetz zur Bestrafung des Sklavenraubes und des Sklavenhandels.

Als sich die Kontroverse zuspitzte, kehrte Krause nach Berlin zurück und lebte hier seit 1895 fünf Jahre lang in finanziell bedrängten Verhältnissen. In einer Petition an den Reichstag, datiert vom 11. Dezember 1898, klagte er sowohl die Regierung in Berlin als auch die führenden Beamten in Togo u.a. »wegen grober Täuschung des Reichstages«, »falscher Berichterstattung« und »Begünstigung und Förderung des Sklavenhandels in Togo« an. Um von der Regierung nicht weiter ignoriert zu werden, bat er: »Der Hohe Reichstag wolle beschließen: Die Regierung aufzufordern, gegen den ergebenst unterzeichneten Petenten ein Strafverfahren einzuleiten wegen gewohnheitsmäßiger verleumderischer Beleidigung von Togo-Beamten.«

Auch jetzt zögerte die Regierung die Erhebung des Strafantrages hinaus. Erst 1900 wurde eine 154 Seiten umfassende Anklage gegen Krause zusammengestellt, doch verwies der Erste Staatsanwalt beim Königlichen Landgericht I in Berlin auf die günstigen Positionen Krauses. Der Prozess, auf den der Forscher jahrelang gewartet hatte, fand niemals statt. Im Februar 1900 ergab sich die Chance, nach Salaga zurückzukehren. Von dort berichtete er für das Berliner Tageblatt über den Aschantikrieg, mit dem die Briten nunmehr das Hinterland der Gold Coast Colony unterwarfen.

Von 1907 bis 1912 lebte und forschte Krause wieder in Tripolis und prangerte 1911/12 in 40 Artikeln die italienische Kolonialeroberung an. Die italienischen Kolonialisten waren nicht minder rachsüchtig als die deutschen: Sie vernichteten seine wissenschaftlichen Arbeiten. Malam Musa verließ die neue italienische Kolonie: »Ich will nach Zentralafrika, um dort zu sterben.« Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 hinderte ihn daran. Als Deutscher in Marseille interniert, lebte er von 1915 bis zu seinem Tode 1938 in der Schweiz, »vergessen« von der kolonial beeinflussten deutschen Afrikanistik.

Anmerkung

Alle Zitate aus: Peter Sebald: Malam Musa – G. A. Krause (1850–1938). Forscher – Wissenschaftler – Humanist. Leben und Lebenswerk eines antikolonial gesinnten Afrika-Wissenschaftlers unter den Bedingungen des Kolonialismus, Akademie Verlag, Berlin 1972.

Redaktionell bearbeiteter Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hg.): »… Macht und Anteil an der Weltherrschaft«. Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast-Verlag, Münster 2005. 284 S., 28 Euro