Die Welt des Schleims

Erkältungen sind gemein: Man fühlt sich schlecht und sieht auch so aus. von elke wittich

Wann immer kurz nach Weihnachten die Sissi-Trilogie im Fernsehen läuft, sollte man die bekannte Geschichte um die österreichische Kaiserin vor allem als Fortbildungsmaßnahme begreifen. Denn von Elisabeth von Österreich kann man vor allem eines lernen: dekoratives Leiden, Mitleidsmaximierung und graziöses Herumliegen. Krank sein wie Sissi sieht nämlich ungefähr so aus: Man ist, plötzlich und ohne Vorwarnung, angetan mit äußerst hochwertiger und mit extremem Geschick zusammengestellter Garderobe, höchst graziös in sich zusammengesunken. Und hat zwar in der Folge immer wieder tapfer betont, dass nichts sei und man deswegen auch kein Aufhebens wünsche, die eilig herbeigerufenen Ärzte haben jedoch auf exzessive Bettruhe entschieden. Und nun liegt man ebenda, sehr blass und doch immens attraktiv, im pastellfarbenen Rüschennegligé aus teurer Seide – auf passend kolorierten Satinkissen. Und hat als Hauptbeschäftigung Leiden, gleichermaßen heroisch wie elegisch.

Was natürlich zu ganz großem Mitleid bei Familie, Freunden und Bekannten führt, die ob des so vorbildhaft ertragenen Schicksals einander die Klinke des Krankenzimmers in die Hand geben und körbeweise Delikatessen, erbauliche Lektüre, Spielzeug und Schmuck vorbeibringen, denn um die geduldige, vorbildliche Patientin wenigstens ein paar Minuten abzulenken und aufzuheitern, ist selbstverständlich kein Preis zu hoch.

Oder man sitzt auf einer Terrasse in einem sehr angenehm klimatisierten südlichen Gefilde, wagt hin und wieder, sehr blass und immer der Ohnmacht nah, ein paar Schritte durch die lieblichen Orangenhaine und bekommt zur Belohnung den Arsch nachgetragen. So weit die Theorie. Die Praxis besteht jedoch mindestens zweimal im Jahr aus einer schweren Erkältung und damit aus Aufwachen mit schwerem Kopf, Atemnot, Halskratzen, Nasenkribbeln und allgemeinem, extrem schlechte Laune machenden Unwohlsein. Infekt-Profis kennen diese Anzeichen und wissen genau, was danach kommt: Rotz.

Nur wenige Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome fließt die klebrige neongelbe, khakigrüne oder beigebraune Schleimmasse zunächst zögernd, dann in Mengen, von denen man nicht dachte, dass sie auch nur annähernd Platz in den diversen Neben- und Stirnhöhlen haben würden, aus der Nase. An ein normales Leben ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken, nicht nur, weil das Denken sowieso nicht mehr so richtig gut funktioniert, wenn man im Grunde nur noch ein einziger großer Rotzbehälter mit Atemproblemen ist. Und den Papierverbrauch einer mittelständischen Druckerei hat: Nur wenige Stunden nach dem ersten Naseputzen, das noch mit handlichen Papiertaschentüchern erledigt werden kann, werden alle Benimm- und Geschmacksregeln für null und nichtig erklärt, denn der Schmodder hat derart überhand genommen, dass man ständig eine Klopapierrolle mit sich herumschleppt. Die nach ungefähr zwei Stunden aufgebraucht ist. Was insgesamt richtig Scheiße aussieht.

Und sich auch sehr fies anhört: Still und stilvoll leiden à la Sissi ist selbst bei einer mittelschweren Erkältung so gut wie unmöglich. Zum einen, weil man ständig ganz laute Geräusche produziert, und zum anderen, weil man mit zunehmend krächziger werdender Stimme nur noch Dinge äußern kann wie: »Mir geht’s so schlecht!« bzw. »Ich will auf der Stelle tot sein«, also nichts, worauf es eine vernünftige Erwiderung geben kann, weswegen Konversationen in diesem Stadium auch ganz einfach ausgeschlossen sind.

Zum körperlichen Leiden kommt beim gemeinen grippalen Infekt die unerträgliche Langeweile. Denn außer Herumliegen und die Wände anstarren geht meist nicht viel, vom kurz nach dem Nasenschleim aufkommenden beständigen Husten physisch erschöpft – und obendrein noch über einen schlimmen Muskelkater verfügend –, kann man einfach nicht herumlaufen und die unverhoffte Auszeit bei einem netten Einkaufsbummel oder Kinobesuch genießen.

Im Bett liegen – und wir reden hier von einem zerwühlten, nicht gemachten Bett, das mit ausgeblichener, schon zu dem Zeitpunkt, als man sie von Oma geschenkt bekam, damals, ausgesprochen hässlich bemusterter Wäsche bezogen ist, die man nur aus purer Faulheit noch nicht längst in einen Caritas-Sack gesteckt hat – ist das einzige, was noch geht. Sich auf ein auch nur halbwegs lesenswertes Buch zu konzentrieren oder eine Zeitschrift in der Hand zu halten, während man niest und hustet und krächzt und keucht und schwitzt, ist unmöglich. Und Fernsehgucken macht nur noch kranker, denn fröhlichen Menschen beim Gesundsein zuzugucken, ist unendlich deprimierend – und was sind schon berufliche, partnerschaftliche oder finanzielle Probleme gegen das fürchterliche Ägernis, gerade ganz schlimm geniest und keinen Fetzen trockenes Papier zum Aufsaugen mehr zur Hand zu haben.

Sissi hilft da leider auch nicht weiter, denn eine Person, die gelben Rotz ausniest und braune Bröckel aushustet, verströmt niemals den Eindruck von Anmut, Schönheit, Tapferkeit, sondern nur den von höchster Ansteckungsgefahr – und das Äußerste, was der vom beständigen Rumschnauben genervte Anhang an Mitleid und Anteilnahme aufzubringen hat, ist das Angebot, irgendeine Hühnersuppe aus dem Billigangebot kurz aufzukochen oder mittels gezieltem Weitwurf eine neue Klopapierrolle ans Krankenlager zu befördern. Denn das Signal, das ein an grippalem Infekt Leidender an seine Umwelt sendet, lautet: »Wegbleiben, steckt an!«

Außerdem sind die Übertragungswege von Schnupfen, Husten, Heiserkeit eine zutiefst ekelhafte Sache: Vor rund zwei Jahren hatten Wissenschaftler die Verbreitungsgewohnheiten der Erkältungserreger mit einem einfachen Experiment nachgestellt. In einem Raum eingeschlossenen Versuchspersonen wurde dazu eine fluoreszierende Flüssigkeit in die Nase getröpfelt. Nach einiger Zeit schaute man dann nach, ob und wie sich der simulierte Rotz verteilt hatte – das Ergebnis war absolut schockierend.

Denn die im Nasenschleim vorkommenden Bazillen hatten sich überall im Zimmer verteilt. Und das nicht, weil ihnen Flügelchen gewachsen waren und sie etwa fliegen können, nein, sondern weil der Mensch einen immensen Drang zum Nasenpopeln hat. Und mit exakt den Fingern, mit denen er kurz zuvor im Schleim herumgematscht hat, dann ohne folgendes Händewaschen fröhlich Gegenstände, Menschen, Tiere, kurz gesagt, alles, was auch nur irgendwie anfassenswert ist, anfasst. Und dabei selbstverständlich selbst bei der vorsichtigsten Berührung auf dem angepatschten Objekt Millionen, Quatsch, Milliarden bösartiger Infektauslöser hinterlässt, die nun dort still vor sich hin warten, bis eine andere Hand kommt, sie aufnimmt und sie, ihrem Inhaber übrigens völlig unbewusst, in eine andere Nase transferiert.

Wer sich diesen Übertragungsweg auch nur einmal bildlich vorgestellt hat, wird seine Umgebung nie mehr mit denselben Augen sehen können – denn alles, wirklich alles, und nicht nur die noch handwarme Supermarkt-Einkaufswagen-Lenkstange, deren Berührung schon in den infektfreien Jahreszeiten eher unangenehm ist, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in letzter Zeit mit Nasenschleimpartikeln in Berührung gekommen. Die Welt, ein einziger großer Rotz-Übertragungsträger? Jepp, und selbst das Tragen von Handschuhen und Mundschutz wirkt nicht vorbeugend, denn natürlich pappen die bösen Bazillen auch daran fest und finden Mittel und Wege, alle protektiven Maßnahmen zu umgehen, sonst wären sie ja schon vor Jahrmillionen ausgestorben. Und so bedeutet jedes Verlassen der Wohnung ein immenses Risiko, sich anzustecken. Denn helfen, so fanden die Experten heraus, tut gegen die drohende Infektion nur eines: häufiges Händewaschen. Dummerweise reicht es dabei wohl nicht, sich jedes Mal zu reinigen, wenn man von einem Ausflug in das Ansteckungsrisikogebiet da draußen zurückkehrt. Denn der Mensch fasst sich tatsächlich mehrmals pro Minute an die eigene Nase, entsprechend viele Chancen gibt es für die Mikroerreger, ihr gemeines Werk zu vollenden. Und wie soll man, zum Beispiel bei einem Besuch im Kaufhaus, Übertragungen vorbeugen?

Händewaschen ist zwar ein guter Ansatz, in der Realität reicht das jedoch ganz sicher nicht aus. Denn zwischen Waschbecken, Handtüchern und einem Leben ohne Erkältung liegt dummerweise die Toilettentür, die irgendwie geöffnet werden muss. Selbst wenn man die unzweifelhaft zuvor von tausenden Nasebohrern angefasste Klinke nur mit eigens mitgebrachten, in Desinfektionslösung getränkten Papiertüchern bedient, ist das Problem noch lange nicht behoben, denn da draußen wimmelt es dann schon wieder unschönerweise förmlich von Gegenständen und Menschen.

Sissi dürfte das geahnt haben, denn sie verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens in völliger Zurückgezogenheit. Dass sie bei einem ihrer seltenen Ausflüge an die Öffentlichkeit von einem Attentäter ermordet wurde, hat vielleicht garnicht so sehr gestört. Denn sonst hätte sie sich auf ihrer Reise mit ziemlicher Sicherheit mit einer Erkältung infiziert – und rotzetriefend hätte selbst die ehemals schönste Frau der Welt extrem unelegant gewirkt.