Alle lieben M.P.

Der SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck ist so beliebt, dass seine Überzeugungen kaum jemanden interessieren. von thomas blum

Alle sind von ihm begeistert. Blättert man die Zeitungen durch, um zu erfahren, um wen es sich beim neuen Vorsitzenden der SPD handelt, liest man nicht ein einziges kritisches Wort über ihn. Wer ist Matthias Platzeck?

Er ist – und diese Bezeichnungen für ihn kann man in schätzungsweise 27 verschiedenen Zeitungen nachlesen – ein »Hoffnungsträger«, ein »Sympathieträger«, ein »Versöhner«. »Ich bin nicht Jesus«, sagt er selbst, und da hat er zweifelsohne Recht.

Von allen Zeitungen wird er fortwährend »Deichgraf« genannt, seit er sich 1997 während der Flut an der Oder lächelnd vor die Kameras stellte bzw. die Flut »mitfühlend managte« (taz). Heute ist er der »gute Mensch aus Brandenburg« (Münchner Merkur), der »nette Mann aus Potsdam«, der immer »mit einem Lächeln« (FR) spricht, eine »offene, freundliche Art« zur Schau stellt und »fröhlich grinst« (Rheinischer Merkur), der »große, fröhliche Potsdamer Junge« (taz), den ausnahmslos »alle mögen« (FR). Und auch seine Lebensgefährtin weiß sicher: »Wir können wunderbar gemeinsam lachen.«

Und … hm, welche Überzeugung hat er denn so, dieser Prachtbursche? Nicht so wichtig. Anders formuliert: Er ist für die SPD das, was Christian Wulff für die CDU ist bzw. Günther Jauch für RTL. Ein Strahlemann, den die tumben Menschenmassen intuitiv mögen, wenn er aus dem Fernsehkasten herausguckt, sich »heiter, entspannt, gelassen« (taz) gibt und dabei solche Sachen sagt: »Ich habe immer so viel Freude an dem, was ich gerade tue.« Oder: »Leerstellen, gerade inhaltliche, sind in der Politik manchmal spannendste Punkte.« Seine Sätze »produzieren eine wohlige Wärme bei den Zuhörern« (Rheinischer Merkur).

Die FAZ ist von seiner Fähigkeit zur Zustimmung, seiner Harmoniesucht und seiner bemerkenswerten Kritiklosigkeit ganz verzaubert: »Er galt als loyal zur Parteispitze stehend. Er gab keine Interviews, in denen er Kritik übte.« Und er »vermied« überdies »rednerische Zuspitzungen« beim öffentlichen Sprechen. Schon als Bürger der DDR hat er »nicht den Konflikt mit dem System« (taz) gesucht. Er ist also, wie alle anderen Politiker, ein Langweiler.

Nun gut, eine Überzeugung kann man das nicht gerade nennen, aber seien wir ehrlich: Wer braucht als Mitglied der SPD schon eine Überzeugung? Was er hingegen besitzt, ist das für einen Sozialdemokraten wichtigste, ja unverzichtbare Talent, jederzeit seine Meinung zu ändern und die uneingeschränkte Meinungsflexibilität auch bei den Genossen vorauszusetzen. 1989 sagte Matthias Platzeck: »Eines weiß ich ganz genau. Berufspolitiker werde ich niemals.« Heute ist er SPD-Vorsitzender. »Seine Mitarbeiter berichten davon, dass ihr Chef es so manches Mal schaffe, sie in ein paar Minuten vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was sie ein paar Minuten zuvor noch für richtig gehalten haben.« (taz) Man muss sich vor allem dieses von Platzecks mannigfaltigen Talenten merken, ohne das man nichts wird bei der SPD.

Widerspruchsgeist oder eine eigene Meinung sind nicht erforderlich, seine Qualitäten sind andere: Er ist ein »fröhlicher Pragmatiker« (taz) mit einem »handfesten Pragmatismus« (taz). Handfester Pragmatismus, das klingt wie: eiserner Opportunismus. Den Kompromiss nennt er – man achte darauf, wie salbungsvoll und kerzenlichtstimmungserzeugend der Mann sprechen kann – die »Seele der Politik«.

Kurz: der Mann ist »weder ein linker noch ein rechter Sozialdemokrat, und trotzdem zweifelt niemand an seiner sozialdemokratischen Identität« (Die Zeit). Er ist der idealtypische Sozi, der fleischgewordene Kompromiss, die Große Allparteienkoaliton in einer Person vereinigt. Er selbst beschreibt sich nicht ohne Grund als »Rot-Grünen mit konservativen Zügen«, hat also für alle etwas in seinem Sortiment, da kann keiner meckern.

Er muss als eine Art sanfter Terminator verstanden werden, als ein fortwährend milde und verständnisvoll dreinblickender und den Menschen beschwichtigend zuredender Vollstrecker der jeweils neuesten Notwendigkeit, die der Staat verkündet, einer, der das Sozialsystem mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen demontiert und dabei nicht müde wird zu betonen, dass er und seine Partei es gut meinen mit »den Menschen im Land«.

Die taz, die ihn neulich als eine Art Heldengestalt feierte, freut sich gewaltig: Platzeck sei es seinerzeit formidabel gelungen, den Armen »die brutale Wahrheit direkt ins Gesicht« zu sagen: »dass Schröders Sozialreformen notwendig sind«. Das Gerede davon, dass der Sozialabbau alternativlos sei, trug er »immer lächelnd« (Rheinischer Merkur) vor. Ginge es jedenfalls nach der taz, dürfte der neue, dufte SPD-Vorsitzende gleich morgen in ihre WG einziehen. Sozialabbau hin, Kapitalismus her, der Matthias, der seinem Selbstbild zufolge »das Leben, den Rotwein und die Frauen liebt« (taz), ist voll in Ordnung.

Der FAZ ist aufgefallen, dass die Delegierten sich einen »neuen Stil« wünschen und dass mit dem neuen Vorsitzenden, dem »innigen Redner«, eine Ära des verständnisinnigen Kuschelns begonnen habe: In der SPD manifestiere sich ein »neues Bedürfnis nach Gehört- und Gefragtwerden«. Vermutlich, wenn es so weitergeht, sitzen die Delegierten auf künftigen Parteitagen im Kreis, halten sich an den Händen fest und betreiben konstruktiven Gedankenaustausch, bevor sie den Kündigungsschutz abschaffen oder die Bundeswehr Krieg führen lassen.

Dabei gab Platzeck auf dem SPD-Parteitag nur die üblichen Worthülsen von sich, mit denen sich auch ein Schokoriegel verkaufen ließe: »Links ist Bewegung, Zuversicht, Weltoffenheit. Wir sind das.« Die SPD macht mobil, bei Arbeit, Sport und Spiel. Des weiteren hörte man von ihm den mittlerweile allgemein üblichen, klebrigen Standardpatriotismus (»Deutschland ist ein wunderbares Land«) und diese für ihn typische blütenweiße Mischung aus halb anbiederndem, halb aufmunterndem Gratisgeschwätz, Kommunitarismus und Muttertagsgemenschel: »Man packt mit an, man hilft sich, man nimmt sich Zeit füreinander, daran hat man viel Freude.« Die Sozialdemokraten seien eine Partei »zupackender, optimistischer Menschen in einem Land der tatkräftigen Erneuerung«. Was man halt so sagt, wenn sich alles in einer desolaten Situation befindet und man das Gegenteil herbeilügen muss.

Auch Die Zeit ist von diesem Wohlfühlbummbumm ausgesprochen angetan: »Nun hat er sich aufgerafft. Und wie! Seine Karlsruher Rede hatte mehr Kraft als die von Müntefering oder dem Ex-Kanzler. Da kommt was.« Ja, da kommt was. Das ist zu befürchten.

»Es gibt Tage, da wird ihm klar, wie sehr sich sein Leben verändert hat«, heißt es auf Spiegel online. Vor einer Weile beispielsweise »stand er bei der Jubiläumsfeier der Bundeswehr vor dem Reichstag. Er, der als Pazifist Bundesbürger wurde, umzingelt von Leuten in dunklen Uniformen, angestrahlt von Fackeln. In diesem Augenblick habe er daran denken müssen, welch gemischte Gefühle ihn am 3. Oktober 1990 bewegt hatten, als die Nationalhymne erklang und am Reichstag die schwarz-rot-goldene Fahne gehisst wurde. Damals sei das weder seine Hymne gewesen, sagt er, noch sein Land. Nun, beim Großen Zapfenstreich, sei ihm bewusst geworden, dass diese Bundesrepublik ›komplett mein Land ist (…) ein tolles Land‹.«