Dinieren geht über recherchieren

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Jeder Journalist träumt davon, einen Präsidenten zu stürzen. Doch nur wenigen ist dies vergönnt. Zu ihnen gehört Bob Woodward. Er enthüllte gemeinsam mit Carl Bernstein in der Washington Post den Watergate-Skandal, der Präsident Richard Nixon 1974 zum Rücktritt zwang. Doch die Haltung Woodwards zu Präsidenten scheint sich geändert zu haben.

Bereits nach der Veröffentlichung seiner Bücher über den Afghanistan- und den Irakkrieg wurde ihm vorgeworfen, zu schonend mit den Mächtigen umzugehen. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Woodward bereits seit mehr als zwei Jahren über die Tätigkeit der CIA-Agentin Valerie Plame informiert war. Die Enthüllung der Identität Plames, die nach US-Recht eine Straftat ist, gilt als Versuch von Regierungsvertretern, ihren Ehemann, einen Kritiker der Irakpolitik George W. Bushs, zu diskreditieren. Da Woodward die Identität seiner Quelle nicht preisgab, statt die Regierung im Plamegate-Skandal zu attackieren, avancierte er zum Symbol für den Übergang der liberalen US-Medien vom »skeptischen« und »investigativen« zum »patriotischen« Journalismus.

»Dinieren mit dem Establishment« wirft Russ Baker im Magazin Counterpunch Woodward vor. Bequem geworden, scheue er die »ermüdende, oftmals unglamouröse Arbeit« der Investigation, die nun einmal nicht »in die Nähe von Champagner und 100-Dollar-Mahlzeiten« führe. Deborah Howell, die als Ombudsfrau die Berichtserstattung der Washington Post überwacht, bezeichnete Woodwards Schweigen als »sehr schwere Sünde«, er habe viele Leser enttäuscht. Ganz anders sieht das David Feige. »Indem er sein Schweigen bewahrte, hat Woodward mehr als jeder andere im Plamegate-Skandal die höchsten Standards journalistischer Integrität aufrechterhalten«, schreibt er im Online-Magazin Slate. Sein Wissen preiszugeben, hätte ihn zu einem Informanten der Staatsanwaltschaft gemacht.

Unabhängig von der Beurteilung des Verhaltens Woodwards zeigt die Affäre, dass die liberalen US-Medien unter Druck geraten. Viele Leser sind unzufrieden mit der überwiegend regierungstreuen Berichterstattung, von der sich nach der New York Times nun auch die Washington Post zu distanzieren beginnt.

jörn schulz