Großrazzia im Wäscheschrank

Als Fernsehzuschauer kann man regelmäßig Sozialfahnder bei ihren Kontrollen begleiten und so ein bisschen mitschnüffeln. von elke wittich

Die eine Frau betatscht im Schlafzimmer mit schwitzigen Fingern einen Stapel Unterwäsche, während die andere vor dem geöffneten Kühlschrank steht und Kommentare über dessen Inhalt abgibt. Während die Besitzerin von Slips und Margarine kleinlaut daneben steht und nichts, aber auch gar nichts gegen die Eindringlinge unternimmt. Wie auch? Die beiden Schnüfflerinnen waren die Protagonistinnen einer sehr erfolgreichen Sat.1-Doku-Soap, die die Arbeit von zwei Sozialamtskontrolleurinnen im Berliner Bezirk Steglitz zum Thema hatte. Ihr Job ist es, die Berechtigung der bei der Behörde eingereichten Anträge auf Renovierungszuschüsse, Möbelanschaffungen, sonstige Extramittel vor Ort zu prüfen.

Ende letzten Jahres waren die beiden Berlinerinnen jedoch ziemlich verunsichert, denn es war nicht klar, ob sie mit dem Beginn von Hartz IV auch weiterhin ihren Job in der Form würden ausüben dürfen. Nun, kontrolliert wird wieder fleißig, das Vorgehen ist dabei genau wie vorher: Es wird zum Beispiel überprüft, ob Bezieher von ALG II mit jemandem in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenleben – was wie früher Einfluss auf die bezogenen Leistungen hätte – oder eben in einer Wohngemeinschaft.

Aber wie soll man prüfen, ob eine solche eheähnliche Gemeinschaft vorliegt? Die juristische Definition lautet: »Eine eheähnliche Lebensgemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen.« Diese Sätze taugen wenig für eine Überprüfung, denn Kontrolleure können nur in Schränke und nicht in Köpfe gucken. Und was sollen die Kriterien für innere Bindungen sein? Sicher nicht, dass man an einem Freitagabend statt auszugehen oder mit Leuten bei leckeren Speisen und interessanten Gesprächen um den Esstisch herumzusitzen, in schlumeligen Klamotten stumm gemeinsam vor dem Fernseher herumdumpft, eines der bis heute untrüglichsten Zeichen dafür, dass ein Paar ein Paar ist.

Und kann es überhaupt legal sein, Menschen überfallartig – bei vorheriger Anmeldung, so die Kontrolleure, könnten schließlich wichtige Indizien beiseite geschafft werden – in ihren eigenen Wohnungen auszuspionieren? Das Sozialgericht Düsseldorf meldete nach der Klage einer Frau, bei der die Kontrolleure verschiedene Indizien wie Klamotten ihres Freundes in der Wohnung zum Anlass für eine Mittelstreichung genommen hatten, in einem Urteil kürzlich »erhebliche Bedenken gegen die Verfahrensweise der Antragsgegnerin an, den Sachverhalt durch überraschende Hausbesuche von Außendienstmitarbeitern, mit anschließender Durchsuchung der Wohnung, ermitteln zu wollen«. Das Amt meinte, erklärte das Gericht, »ermittelt zu haben, dass die Vorgenannten in einer gemeinsamen Wohnung zusammenleben. Weiter vermutet die Antragsgegnerin offenbar, dass zwischen den Vorgenannten auch eine sexuelle Beziehung besteht. Dies sind aber – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – keine Kriterien einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.«

Dass dieses Urteil das Ende nicht nur vieler Sozialkontrolleurskarrieren ist, sondern dann auch gleich das Aus für die unzähligen Doku-Soaps zum Thema bedeutet, scheint allerdings fraglich. Dabei wäre es wirklich nicht schlimm, wenn das Herumwühlen in anderer Leute Leben nicht mehr im Fernsehen übertragen würde. Nicht weil so genannter Sozialbetrug nun etwas uneingeschränkt Begrüßenswertes ist, sondern weil die gesendeten Fälle in aller Regel mit unschönen Klischees spielen. Wahrscheinlich werden exakt solche Fälle für die Ausstrahlung ausgewählt, die geeignet sind, Vorurteile der Zuschauer zu befriedigen: Als mutmaßliche Betrüger entpuppen sich in aller Regel Leute, die in vornehmen Gegenden wohnen, jung und trendy angezogen in schicken Altbauwohnungen leben oder Pärchen, die gesund genug zum Sex, aber zu krank zum Arbeiten sind.

Um zu demonstronstrieren, dass das Sozialamt mit seinen Schnüffeleien am Ende nur für das Wohl der wirklich Bedürftigen kämpft, für diejenigen, die nicht frech genug sind, dreiste Forderungen zu stellen, liefen die beiden Sat.1-Sozialschnallen bevorzugt in den kärglich eingerichteten Wohnungen alter Damen und unrüstiger Rentner zur Hochform auf. Dann gab es neben den beantragten Kleinigkeiten, mit Bemerkungen wie »Also, das geht ja gar nicht mehr!« oder »Nein, so etwas ist unzumutbar!« versehen, gleich auch noch Ersatz für die durchgesessene Couch, den schon halb zusammengefallenen Kleiderschrank oder die sich bereits ins Gelbliche gammelnde Badezimmertapete.

Alten Leuten wird nämlich nicht zugetraut, dass sie, obschon sie erkennbar noch körperlich rüstig und mental fit sind, über genügend kriminelle Energie verfügen, ihre Partner angesichts des drohenden Besuchs der Kontrolleurinnen mal für kurze Zeit zu den Enkeln auszuquartieren, die durch Schwarzarbeit erworbene Nappaledercouch, die DVD-Sammlung und das Auto zu verstecken oder die gebunkerten Champagner- und Kaviarvorräte tags zuvor niederzumachen.

Natürlich bleibt ein Problem: Es gibt ihn, diesen schmierigen Typ Sozialbetrüger, der dreistdumm versucht, zu dem zu kommen, was er stur als »mein Recht« bezeichnet, während er sich über »die Kanaken, die hier im Mercedes ’rumfahren«, mokiert und darauf verweist, dass er als Erzeuger von »künftigen Rentenzahlern« ja wohl unbedingt bevorzugt zu behandeln ist. Auch wenn ein Blick auf seine vor dem Fernseher herumhängenden Nachkommen genügt, um festzustellen, dass sie, während sie gern Dinge wie »Die Schule hab ich in der 8. Klasse geschmissen, bringt doch nix« und »Am liebsten würde ich Gangster werden« in die laufende Kamera sagen, wohl nie etwas anderes als gelernte Sozialleistungsbezieher werden.

Aber auch für diesen unangenehmen Typus gilt, dass er das Recht auf die eigene Privatsphäre haben muss. Was auch für das arglose Sat.1-Publikum besser wäre, das dann nicht mehr zu befürchten hätte, plötzlich unvorbereitet Einblicke in die Unterhosen von Ekelpaketen zu bekommen.

Und die so gerne mit herumschnüffelnden Fernsehzuschauer müssen ja nicht gleich völlig auf Kontroll-Dokus verzichten, denn es gibt schließlich auch Kontrolleure, gegen deren Tätigkeit wirklich niemand etwas hat, außer vielleicht man würde die erwischten Übeltäter befragen. Gerne werden auch Berichte über den Alltag von Mitarbeitern der Behörde gezeigt, die für die Beachtung der Hygienevorschriften im Gaststättengewerbe zuständig ist.

Manche Dinge sind wirklich keine Privatsache.