Rocky Horror Monster Show

Die Bloodhound Gang spielte in Hamburg auf. Rund um die Reeperbahn nachts um halb eins waren stefan rudnick und ivo bozic im Einsatz

Mike was? Mike Watt! Ach so, Mike Watt. Das war ja nun wirklich nicht zu erwarten, dass der Abend so enden würde: Im gemütlichen Golden Pudel Club am Hamburger Hafen mit einem Vortrag unseres geschätzten Kollegen Felix Klopotek über Mike Watt, den ehemaligen Bassisten der Punkband The Minutemen, und scharfsinnigen Gedanken des Intro-Chefredakteurs Thomas Venker über Popmusik und Feminismus. Nein, nein, darauf deutete nun wirklich gar nichts hin, ein paar Stunden vorher in der Großen Freiheit 36, wo wir im Schweiße fremden Angesichts zusammen mit vielleicht 2 000 anderen Bekloppten auf die Bloodhound Gang warteten. Und das Warten zog sich hin. Eine Umbaupause ist etwas anderes. Das Hamburger Publikum, offenbar gestählt in der St.-Pauli-Fankurve, stimmte einen Fußballschlachtruf nach dem anderen an und warf Plastikbecher auf die Bühne, bis endlich, endlich in einer leeren Sprechblase an der Wand hinter der Bühne die Begrüßung »Good Evening, Kuhdorf« eingeblendet wurde.

Zuvor hatten schon zwei Bands mächtig eingeheizt. Die Berliner Punkrocker von Spitting Of Tall Buildings machten ganz unaffektiert Tempo, und wenn sie nicht so verdammt energisch abgerockt hätten, wäre der ans Publikum gerichtete Satz »Am liebsten würde ich euch alle adoptieren« der Frontfrau Jana Pallaske, bekannt auch durch ihre Filmrollen in »Alaska.de« und »Baader«, sicher als unglaublich uncool erschienen. Aber wer musikalisch so auf die Tube drückt, darf das, und setzt sich nebenbei angenehm vom derben Mackergespreize ab, das den restlichen Abend dominieren sollte.

Anschließend erschienen drei kleine Japaner auf der Bühne, die sich für AC/DC oder Black Sabbath hielten. Der Drummer war schon vor dem ersten Song von einer Socke über seinem Geschlechtsteil abgesehen komplett nackt und spielte durchgängig mit vier Sticks. Das Publikum tobte. Electric Eel Shock nennen sich die Live-Monster (laut.de), und nachdem sie mächtig einen auf Satan und böse Buben gemacht hatten, standen sie am Ende des Konzerts selbst an ihrem Merchandising-Stand und boten piepsig »CDs, T-Shirts, Vinyl« an.

Aber eigentlich wollten ja alle nur die Bloodhound Gang sehen. Auch die Loser, die uns schon auf der Reeperbahn mit ihren Pappschildern »Suche Konzertkarte« entgegen kamen. Offenbar vorgefertigt und nicht zum ersten Mal in Gebrauch, denn dem Augenschein nach sind es immer dieselben, die nie eine Karte abbekommen. Gut also, wenn man auf der Gästeliste steht und an der endlosen Schlange vorbei in die altehrwürdige Kiez-Disko in der Großen Freiheit gelangt. Unter der gewölbten braunen Holzdecke fühlte man sich wie im Bauch eines großen alten Schiffs inmitten einer zum Meutern bereiten Mannschaft.

Und es hätte auch nicht mehr viel gefehlt, bis die Ersten vor Ungeduld die Bühne gestürmt hätten. Kurz bevor die Stimmung kippte, betrat wieder einer der Japaner die Bühne und hielt das Publikum dazu an, lautstark nach der Bloodhound Gang zu rufen. Die Herren ließen sich also bitten. Aber dann kamen sie über uns wie ein Tsunami. Vor allem Gitarrist Evil Jared enttäuschte nicht, und ließ sich wie schon im letzten Jahr in Berlin (Jungle World, 35/04) einen Liter Jägermeister per Schlauch einfüllen, den er später auf der Bühne routiniert wieder auskotzte. Dass er dann auf einer Box stehend die Hose runterließ, um Sänger Jimmy Pop anzupissen, kann als weiterer Höhepunkt verbucht werden, denn die Musik wird bei den Konzerten, oder sollte man sagen den Shows?, immer mehr zum Randereignis. Man erlebt eine Rocky Horror Monster Show mit Soundtrack.

Es ist offensichtlich nicht leicht, die provokantesten Live-Auftritte der Welt zu liefern, so wie man es sich auf die Fahnen geschrieben hat. Publikumsbeschimpfung ist Ehrensache, Musikinstrumente über die Bühne pfeffern sowieso, aber es wirkt schon fast verzweifelt, wenn man auf die Backstagepässe das Konterfei eines weltbekannten Terroristen drucken lässt und sich Jimmy Pop zwischen zwei Songs in »Ossama Jim Laden« umbenennt. Das ist dann doch zu billig – oder womöglich sogar ernst gemeint. Auch die regelmäßig wechselnden Einblendungen in der Sprechblase mit vermeintlich lustigen Unfreundlichkeiten gegen Schröder, Merkel oder Hamburg alias Pinneberg wurden schnell zäh, und auch mit Michael-Jackson-Witzen kann man kaum noch schocken.

Aber geschockt haben die Jungs aus Pennsylvania dann doch noch: als ihr Disko-Song »Uhn Tiss Uhn Tiss Uhn Tiss« angekündigt wurde und in der Sprechblase »Scooter!« zu lesen war. Doch die Buh-Rufe bei den Zuschauern, die sich nicht als »Scooter«-Fans denunzieren lassen wollten, verstummten schnell, als der blonde Kirmes-Techno-Hase H.P. Baxxter von »Scooter« tatsächlich auf der Bühne erschien und zusammen mit den Amis den Song performte, was auch bar jeder Textkenntnis irgendwie kein Problem war.

Weil das Mitgrölen bei Auftritten der Bloodhound Gang zentral ist, haben sie ihre neue Platte »Hefty Fine« mit relativ einfachen Refrains ausgestattet. Um hinter den »Sinn« der Textzeile »Foxtrot Uniform Charlie Kilo« zu kommen, braucht man kein Anglist zu sein. Trotzdem ist es wieder ein großartiges Crossover-Album geworden, und wer auf seiner Party die Leute zum Tanzen und Saufen bringen möchte, der kommt nach wie vor an der Bloodhound Gang kaum vorbei. Dass man nach fast sechs Jahren ohne neuen Song eine Scheibe mit nur neun Tracks herausbringen kann, ohne dass von einem Comeback die Rede ist, verdankt die Band ihren ausgiebigen Touren und zeigt außerdem ihre pragmatische Einstellung: Mit einer Handvoll guter Hits kommt man ein Jahrzehnt sicher über die Runden, und warum sollte man zwischendurch mühsam Songs produzieren, die keine Hits sind? Statt im Tonstudio herumzuhängen, kann man die Zeit doch prima dazu nutzen, auf den verschiedenen Kontinenten seinen Schwanz ins Publikum zu halten und massenweise Groupies abzugreifen. (»Later on we’re around the busses, so if you want fuck …«)

Aber welcher Zusammenhang besteht nun zwischen Mike Watt, dem Pudel-Club und diesem Theater in der Großen Freiheit? Eigentlich keiner, außer dass sich vermutlich alle Beteiligten des Abends irgendwie auf »Black Flag« hätten einigen können. An einem Mischpult sitzend spielten Klopotek und Venker zwischen ihren kleinen Vorträgen aus der Popgeschichte den einen oder anderen Song aus Zeiten, als Punkrock noch »Anti« war und Provokation mehr als ein Spektakel. Aber die Musik war damals auch nicht besser.