»Die Provisorien sind nicht sicher«

Werena Rosenke

Am frühen Morgen des 2. Dezember brach in einer Notunterkunft für Wohnungslose in Halberstadt in Sachsen-Anhalt ein Feuer aus, bei dem neun Menschen ums Leben kamen. Als Ursachen wurden zunächst ein technischer Defekt oder fahrlässiges Verhalten eines Bewohners vermutet. In der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe engagieren sich verschiedene Sozialorganisationen, private und öffentliche Träger. Mit ihrer stellvertretenden Geschäftsführerin, Werena Rosenke, sprach Stefan Wirner.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem Brand in der Notunterkunft in Halberstadt hörten?

Ich dachte, dass es wieder so ein typischer Fall zu sein scheint. Es hat ja schon häufig solche Brände gegeben, aber glücklicherweise bisher nicht mit so vielen Toten.

Warum brennt es so oft in solchen Unterkünften?

Offensichtlich ist die Situation so, dass die Kommunen die Leute in Provisorien unterbringen, in denen solche Brände ausbrechen können. Dabei ist ja erst einmal egal, ob es sich um einen technischen Defekt handelt oder ob jemand unvorsichtig war. Dass es sich so dramatisch auswirkt, liegt ja an der Situation. Da wird eine Menge Menschen auf dichtem Raum in einem Container untergebracht. Oft heißt es nach so einer Katastrophe, sie sei »selbst verschuldet« gewesen. Aber was bedeutet das schon, wenn möglicherweise jemand versucht hat, einen Gaskocher zu benutzen, weil es dort keine andere Möglichkeit gibt, sich etwas zu essen zuzubereiten? Diese Art von struktureller Vernachlässigung ist offensichtlich noch immer anzutreffen.

Sie fordern seit Jahren eine menschenwürdige Unterbringung von Wohnungslosen. Wie reagieren die Kommunen und die Politik darauf?

Man kann einfach nur darauf hoffen, dass diese Appelle auch gehört und die Unterkünfte verbessert werden. Wir haben Ende der neunziger Jahre eine Umfrage gemacht, um herauszufinden, wie der Standard in den Notunterkünften ist, und wir stehen im ständigen Austausch mit den Kollginnen und Kollegen vor Ort, mit den Sozialarbeitern, die natürlich wissen, was in den städ­tischen Unterkünften geschieht. Man kann feststellen: Je kleiner die Stadt und je abgelegener die Unterkunft, desto schlechter sind die Bedingungen. Das ist auf jeden Fall ein Trend, von Ausnahmen und Einzelfällen einmal abgesehen.

In den größeren Städten, wo es auch eine gute Infrastruktur von freien Trägern gibt, wo also die Kommune nicht unbeobachtet ist, kann man den Eindruck bekommen, dass sich einiges zum Besseren gewendet hat und unsere Forderungen eher auf fruchtbaren Boden fallen. In kleineren Städten in ländlichen Regionen ist es so, dass nach wie vor versucht wird, die Wohnungslosen weiterzuschicken, dass man gar nicht zuständig sein will oder dass Provisorien aufgestellt werden, bei denen man nie sicher sein kann, dass nicht doch etwas passiert.

Welche konkreten Verbesserungen fordern Sie?

Es geht um Mindeststandards. Wir fordern die Abschaffung von Massenunterkünften und die Einrichtung von dezentral in der Stadt verteilten Unterkünften. Sie sollten nicht überbelegt sein, und es sollte Einzelzimmer geben, so dass nicht wildfremde Menschen aufeinanderhocken müssen. Es gibt auch viel zu wenig passende, sichere Unterkünfte für Frauen. Auch angemessene sanitäre Verhältnisse sind oft nicht vorhanden, also ausreichend Waschmöglichkeiten.

Ein Mindestmaß an Privatsphäre müsste gewährleistet sein, so dass auch eine Art von autonomer Lebensführung möglich wird. Das sind alles profane Dinge, etwa dass eine Küche vorhanden ist, in der sich die Leute auch einmal etwas kochen können. Wichtig wäre zudem, dass diese Unterkünfte ganzjährig geöffnet und flexibel zugänglich sind. Es gibt viele kommunale Unterkünfte, wo die Menschen morgens raus müssen oder nur zu bestimmten Tages- oder Jahreszeiten Einlass finden.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Armut, dem Angebot an Wohnungen in den Städten und der Wohnungslosigkeit? Unterstützen Sie die Forderung nach mehr billigem Wohnraum?

Selbstverständlich. Das Vorhanden­sein von preiswertem Wohnraum ist der wichtigste Einflussfaktor, wenn es um die Zahl der Wohnungslosen geht. Die Arbeitslosigkeit oder der Bezug von Sozialhilfe wirken sich allenfalls indirekt aus. Man kann nicht sagen, dass die Zahl der Wohnungslosen automatisch steigt, wenn die Arbeitslosigkeit zunimmt. Wir konnten das in den vergangenen Jahren nicht beobachten. Die Zahl der Arbeitslosen und der Sozialhilfebezieher wuchs ja ständig, während ein Rückgang der Wohnungslosigkeit zu verzeichnen war. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen ist der wichtigste Faktor.

Aber offensichtlich ist das nicht alles. Ich nehme an, dass in Sachsen-Anhalt genug Wohnungen zur Verfügung stehen, und trotzdem sind Menschen nach wie vor wohnungslos und kommen aus dieser Situation nicht heraus. Wir haben in Ostdeutschland in vielen Regionen einen Leerstand von Wohnungen. Und trotzdem gibt es viele Wohnungslose, also offensichtlich Menschen, die keine Wohnung bekommen, weil sie möglicherweise verschuldet sind oder früher schon mal keine Miete bezahlt haben. Wenn etwa eine Schufa-Anfrage gemacht wird, bleiben solche Personen draußen und werden gar nicht mehr integriert.

Also können Sie keinen Einfluss der Sozialpolitik auf die Situation der Wohnungslosen feststellen?

Es ist kein automatischer Zusammenhang festzustellen. Man kann nicht sagen: Wenn die Zahl der Arbeitslosen steigt, steigt auch die Zahl der Wohnungslosen. Wenn die Zahl der Arbeitslosen steigt und der Wohnungsmarkt zusätzlich eng ist, dann sieht das schon anders aus. Wenn jemand seine Arbeit verliert, heißt das nicht automatisch, dass er auch seine Wohnung verliert. Wenn der Betroffene aber sozial isoliert ist, die notwendigen Ämtergänge nicht meistert oder keine Mög­lichkeit hat, kostengünstig zu wohnen, kann das schon eher geschehen.

Hat sich die Ausgrenzung von Obdachlosen in der Gesellschaft verschärft? Es gibt ja auch immer wieder Angriffe auf Obdachlose.

Ja, eigentlich kontinuierlich. Ich kann derzeit aber nicht beurteilen, ob diese Gewalt zugenommen hat, aber sie hat nie ausgesetzt. Spätestens seit Anfang der neunziger Jahre gab es immer wieder Überfälle auf Wohnungslose, oftmals mit Todesfolge. Das findet in allen Teilen Deutschlands statt. Der Kreis der Täter ähnelt sich sehr häufig. Es handelt sich meist um junge Männer. Oftmals sind es Jugendliche in Gruppen, die sich über Wohnungslose hermachen.

Wie sehen Obdachlose ihre eigene Situation? Gibt es so etwas wie eine Politisierung unter ihnen?

Nur bei einem sehr kleinen Teil. Das sind Leute, die in der Region zusammenfinden und gemeinsame Aktionstage veranstalten. In Berlin gab es immer wieder solche Initiativen, auch in Baden-Württemberg wird seit Jahren kontinuierlich gearbeitet, ein Berbertreffen, wie sie das nennen, organisiert.

Diejenigen, die sich seit Jahren engagieren, haben sich auf Bundesebene in der Betroffeneninitiative zusammengeschlossen und bestehen auch darauf, an den Diskussionen unseres Verbandes beteiligt zu sein. Einige sind in unseren Fachausschüssen vertreten. Wenn man sich die Gesamtzahl der Wohnungslosen ansieht, ist das eine kleine Minderheit, aber immerhin sind es mehr als vor einigen Jahren.