Fördern und fordern

Unter der Führung eines lokalen Politikers wurden die größten Kohlebergwerke Kirgisiens besetzt. Die Verhandlungsversuche der Regierung sind bislang gescheitert. von christian hetey

An Kohle mangelt es der Region Jungal nicht, die Mine Kara Ketsche ist eine der größten in Kirgisien. Trotzdem können sich viele Bewohner die Kohle kaum noch leisten. Manche frierenden Kirgisen wünschen sich die Sowjet­zeiten zurück. Damals kostete eine Tonne Kohle bescheidene 18 Rubel, heute beträgt der Preis für die Tonne gut die Hälfte eines durchschnittlichen Monatslohns.

Für Politiker, die der Bevölkerung einen garantierten Anteil an den Ressourcen ihrer Region versprechen, ist das eine gute Ausgangsposition. Zu ihnen gehört Nurlan Motujew. Unter seiner Führung besetzten Anfang Juni hunderte Anhänger der Schoomart (Patriotische Bewegung Kirgisien) die größten Bergwerke des Landes. Sie sind teils in Staatsbesitz, teils in privaten Händen und produzieren fast die Hälfte der Gesamtfördermenge des Landes.

Motujew fordert die Kontrolle über die gesamten Kohlevorkommen, mit dem Ziel, eine Aktiengesellschaft unter seiner Leitung zu gründen. Dann sollen 70 Prozent der Produktion den Einwohnern vor Ort gehören und 30 Prozent dem Staat. Manche vergleichen Motujew mit dem russischen Rechtsextremisten Wladimir Schirinowskij. Andere dagegen, wie Paizullabek Rakhmanov, der Generaldirektor des staatlichen Kohleunternehmens Komur, bescheinigen Motujew, die Situation verbessert zu haben. Er habe die Löhne der fast 1 000 Angestellten verdoppelt und kostenlos Kohle an arme Bewohner der Region geliefert.

Zumindest ein Teil der Bevölkerung unterstützt die Besetzung. Im September veröffentlichte die Zeitung Jany Ordo einen offenen Brief an die Regierung mit 10 000 Unterschriften aus der Region Jungal. Das Papier macht die ehemaligen Besitzer der Mine für die Krise verantwortlich. Sie hätten in die eigene Tasche gewirtschaftet, und deshalb sei die Mine in Kara Ketsche nun besetzt worden. Die alten Besitzer haben beim Staat noch Strom-, Miet- und Steuerschulden von über 100 Millionen Soms (etwa zwei Millionen Euro). Die Unterzeichner empörten sich über einen Regierungserlass, der verfügt, die Kohlemine ihren alten Eigentümern zurückzugeben. Dies sei »Verrat an der Bevölkerung«, die Unterzeichner fordern, »Jungal nicht in ein kirgisisches Tschetschenien zu verwandeln«.

Dieser Vergleich ist zwar überzogen, aber er spiegelt die Ängste der Bevölkerung vor einer Zunahme politischer Gewalt. Die meisten Kirgisen sind enttäuscht von den Ergebnissen der »Tulpenrevolution«, die im Frühjahr Präsident Askar Akajew nach 15jähriger Herrschaft ins Exil vertrieb. Die wirtschaftliche und soziale Lage hat sich nicht verbessert, und auch die neue Regierung unter Präsident Kurmanbek Bakijew zeigt autoritäre Tendenzen. So änderte das Parlament vor kurzem das Strafgesetzbuch, Besetzern drohen nun lange Haftstrafen.

Die Strafandrohung hat die Besetzer erneut gegen die Regierung aufgebracht. Es ist fraglich, ob die derzeitigen Versuche von Regierungsvertretern, mit den Besetzern einen Kompromiss auszuhandeln, erfolgreich sein werden. Bereits im Herbst versuchte der Parlamentsabgeordnete und Miteigentümer Kamtschibek Schol­dosch­ba­jew sein Glück. Einem Bericht der Tageszeitung Weschernij Bishkek zufolge wurden er und seine Begleiter mit Steinen beworfen und flüchteten. Die Straße war jedoch blockiert; der herbeieilende Motujew ließ ihre Autos durchsuchen. Als Gewehre und Schlagringe zum Vorschein kamen, war die Show perfekt. »Sie sind gekommen, um uns zu töten!« soll Motujew geschrien haben. Schol­dosch­ba­jews Anhänger wurden Geld, Uhren und Schuhe abgenommen, einige mussten auf Knien unter dem Beifall der Bevölkerung schwören, nie wieder zu kommen. Die spektakuläre Aktion dürfte allerdings nicht genügen, um die Regierung zum Verzicht auf die wichtigsten Bergwerke des Landes zu bewegen.