Freiwillige in Handschellen

Zum ersten Mal seit dem Ende des Irakkrieges hat eine europäische Regierung Flüchtlinge in die Krisenregion abgeschoben. von fabian frenzel, sheffield

Mit der Abschiebung von 15 Kurden nach Arbil im Nordirak hat die britische Regierung vor zwei Wochen zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges Flüchtlinge gezwungen, in den Irak zurückzukehren. Einer der Betroffenen berichtete nach der Ankunft, sie seien geschlagen worden und mit Handschellen gefesselt gezwungen worden, in ein Militärflugzeug zu steigen. Dort seien für jeden der Flüchtlinge drei Sicherheitsbeamte abgestellt worden.

Die erste Abschiebung aus einem europäischen Land erhöht den Druck auf die irakisch-kurdischen Flüchtlinge in Großbritannien. Die Regierung erklärte bereits im Februar 2004, rund 5 000 irakische Flüchtlinge, denen der Antrag auf Asyl verweigert worden war, so schnell wie möglich abschieben zu wollen. Doch frühere Versuche wurden durch öffentliche Proteste und Gerichte verhindert. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hielt bislang aufgrund der kritischen Situation im Irak eine sichere Rückkehr von Flüchtlingen für ausgeschlossen. Das britische Innenministerium behauptete jedoch immer wieder, die kurdischen Provinzen im Nordirak seien sicher. Im September wurde dies durch einen neuen Report des UNHCR bestätigt. In dem Bericht heißt es, dass sich die Sicherheitslage im Irak im Vergleich zum Vorjahr insgesamt verschlechtert habe. Für drei der vier kurdischen Provinzen im Nordirak sei allerdings eine »freiwillige Rückkehr« von Flüchtlingen bedingt vertretbar, wenn diese »über intakte soziale oder familiäre Netzwerke« in den Provinzen verfügten. Die kurdischen Behörden erklären ebenso wie die irakische Übergangsregierung, dass sie über keine Mittel verfügen, zurückkehrende Flüchtlinge zu unterstützen.

Das britische Innenministerium hat bereits vor der Veröffentlichung des UN-Berichtes mit der internationalen Organisation für Migration (IOM) ein Programm zur freiwilligen Rückkehr irakischer Kurden ausgearbeitet. Das Programm sieht die Organisation der Rückreise sowie finanzielle Unterstützung für die Flüchtlinge bis 1 500 Euro vor und wird von der britischen Regierung finanziert. Ähnliche Programme hat die IOM bereits für die Rückführung afghanischer Flüchtlinge mit mehreren europäischen Staaten entwickelt. Allerdings ist das Attribut der »Freiwilligkeit« für Flüchtlinge absolut fragwürdig. Paragraph vier des Asylgesetzes besagt, dass abgelehnte Asylbewerber, die – wie Flüchtlinge aus dem Irak – nicht unmittelbar in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden können, in Großbritannien nur dann weiter Anspruch auf staatliche Unterstützung haben, wenn sie schriftlich erklären, dass sie »freiwillig« zurückkehren, sobald dies möglich ist. Gleichzeitig ist es ihnen verboten zu arbeiten. Auf der Basis von Paragraph 4 wurde seit Anfang September vielen irakischen Kurden ein Ultimatum gestellt. In Briefen teilte ihnen das Innenministerium mit, dass eine sichere Rückkehr in den Irak mit Hilfe der IOM jetzt möglich sei. Sollten sie die freiwillige Rückkehr nicht akzeptieren, würden ihnen die Wohnung und die finanzielle Unterstützung entzogen. Nach Angaben des britischen Flüchtlingsrates wurden bis Mitte November über 400 Kurden auf die Straße gesetzt.

»Wir hatten in den letzten Wochen über hundert Räumungen nach Paragraph 4«, erklärt ein Aktivist von der Kampagne gegen Deportation von irakischen Flüchtlingen in Sheffield (CADDI) der Jungle World. »Darunter sind auch Kurden, die nicht aus den drei Provinzen stammen, die für sicher erklärt wurden.« In Sheffield sind nach London die meisten der irakisch-kurdischen Flüchtlinge angesiedelt. CADDI vermutet, dass ein Großteil der Betroffenen in den informellen Arbeitsmarkt abtaucht, in dem die Stundenlöhne auf ein Fünftel des gesetzlichen Mindestlohnes von 7,50 Euro absinken können.

Neben den irakischen Kurden, die in den letzten Wochen in die Illegalität gedrängt wurden, gibt es nach Schätzungen des britischen Flüchtlingsrates mindestens eine halbe Million Menschen, die ohne Papiere in Großbritannien leben. Premierminister Tony Blair erklärte 2004 unter politischem Druck der Opposition und konservativer Medien, er wolle die englische Einwanderungsgesetzgebung »hart und gerecht« gestalten. Er versprach bis spätestens Ende 2005 monatlich mehr Abschiebungen und freiwillige Rückreisen als gescheiterte Asylverfahren. Dadurch soll die Zahl der abgelehnten Asylbewerber, die in Großbritannien leben, reduziert werden. Die Abschiebung vor zwei Wochen kam genau einen Tag bevor das Innenministerium verlauten ließ, dass Blairs Ziel bis Ende 2005 nicht erreicht werden könne. Die BBC bezeichnete die Abschiebung deswegen als »höchst symbolischen Akt«. Im Oktober berichtete die Tageszeitung Guardian über ein internes Papier des Innenministeriums, in dem Sachverständige zu der Einschätzung kamen, dass nach rechtlicher Prüfung maximal zwanzig aller irakischen Kurden in Großbritannien tatsächlich abgeschoben werden könnten.

Wegen der Schwierigkeiten, Blairs Ziel durch Abschiebungen zu erreichen, setzt das Innenministerium verstärkt auf das Regime der »freiwilligen« Rückkehr.

Paragraph 4 und 9 des Asylgesetzes fungieren dabei als Druckmittel. Die Neuregelung von Paragraph 9 im Asylgesetz von 2004 erweitert die Bestimmungen von Paragraph 4 auf Flüchtlingsfamilien. Die soziale Unterstützung, die bisher abgelehnten Asylbewerbern mit Familie und Kindern bedingungslos gewährt wurde, wird nun auch an die Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr geknüpft.

Die Anwendung dieses Paragraphen ist derzeit in einer Testphase in drei britischen Ballungszentren und hat nicht nur bei Flüchtlingsorganisationen zu heftigen Protesten geführt. In Bolton, einem Vorort von Manchester, der von der Labour Party regiert wird, verweigert der Stadtrat die Anwendung von Paragraf 9 und unterstützt die betroffenen Flüchtlingsfamilien weiter. Der Stadtrat argumentiert, Familien mit Kindern auf die Straße zu setzen, verletze die rechtlichen Bestimmungen zum Kinder- und Familienschutz. Paragraph 9 sieht vor, dass die Kinder von ihren Eltern getrennt in Heimen untergebracht werden. Das ist für die Städte teurer, als die betroffenen Familien weiter zu unterstützen und ihnen Wohnungen zu geben.

Auch die Anwendung von Paragraph 4 gegen irakische Kurden scheint derzeit am lokalen Widerstand zu scheitern. In Leeds haben sich Stadtrat und Labour-Abgeordnete des Unterhauses an das Innenministerium gewendet und eine Aussetzung der Evakuierungen gefordert. Vor dem Hintergrund von drohender Obdachlosigkeit und Hunger sprachen sie von einer abstrakten, bürokratischen Regelung, die praktisch nicht anwendbar sei.

Der für Asylfragen zuständige Staatsekretär im Innenministerium, Tony McNulty, erklärte Ende letzter Woche nach einem Treffen mit den Parteikollegen aus Leeds, dass die Anwendung von Paragraf 4 für die Kurden vorerst gestoppt werde.

Für die knapp 200 Kurden, die seit September unter dem Druck von Paragraf 4 in die »freiwillige« Rückkehr eingewilligt haben, kommt diese Wendung indes zu spät.