Raus aus dem Rosengarten

Fußball-Coach Hans Meyer ist zurück – die Bundesliga kann sich freuen. von christian helms

Seine Zeit als Trainer sei vorbei, verkündete Hans Meyer, nachdem er im März 2003 sein Amt als Chefcoach von Borussia Mönchen­gladbach niedergelegt hatte. Aus jener Zeit stammt auch die berühmte Mär vom riesigen Rosengarten in Bad Hersfeld, durch den die zahlreichen Enkel des Fußballlehrers springen. Dort wolle er künftig seine Zeit verbringen, »selbst wenn Real Madrid anruft«. Nein, die Königlichen haben sich natürlich nicht gemeldet, aber immerhin Dieter Hoeneß, der den Ruheständler vor knapp zwei Jahren zur abstiegsbedrohten Hertha lockte. Meyer bewahrte den Hauptstadtclub vor der Zweitklassigkeit, bedankte sich artig – im Namen seiner Enkel – für die üppige Erfolgsprämie und sprach wieder von der Rosenzucht.

Vor genau vier Wochen ist Hans Meyer erneut rückfällig geworden. Dieter Hoeneß soll den Kontakt hergestellt haben – in erster Linie natürlich, weil er in Meyer den richtigen Mann für den vakanten Trai­nerposten beim 1. FC Nürnberg sah. Dass die klammen Berliner damit gleichzeitig einen gut bezahlten Scout von ihrer Lohnliste streichen konnten, kam dann halt dazu.

»Ihr könntet jetzt schreiben, dass ich geldgeil bin, oder mich meine Frau aus dem Garten gejagt hat«, liefert Meyer die Erklärung gleich mit. Wo andere Trainer sich hinter stupiden Nullphrasen verstecken (»Der Klassenerhalt wäre unglaublich wichtig für die gesamte Region!«), bedient Meyer gern das Klischee vom kau­zigen Alten, der daheim unter der Fuchtel steht. Längst hat er begriffen, dass es auf Pressekonferenzen im Grunde niemanden interessiert, ob in seinem Garten tatsächlich auch nur eine einzige Rose wächst. Solange er der Presse regelmäßig aus ihrer Verlegenheit hilft – mit zitierfähigem Material, um das sich eine nette Geschichte stricken lässt –, darf er in Ruhe arbeiten. Hans Meyer hilft gern und pflegt sein Image.

Unter großem Geschrei wurde in den letzten Wo­chen wieder einmal der humorige Ossi mit Herz, der aber auch mal knallhart sein kann, durch die Presse gejagt. »Wir sind überzeugt, dass er der richtige Trainer ist«, sagte FCN-Sportdirektor Martin Bader bei der Vorstellung Meyers. »Er bringt die Ruhe, die Souveränität, die Gelassenheit mit und er hat einen Humor, der einzigartig ist.« Auch die Franken sind sich bewusst, dass sie mit Meyer einen der heimlichen Stars der Liga verpflichten konnten. Doch muss man seinen unbestrittenen Witz gleich als Schlüsselqualifikation anführen? Als könnte der Thüringer mit einem gepflegten Bonmot die sportlichen Probleme des »Clubs« vertreiben?

Das Weglächeln ist nicht seine Art. Das überlässt er gerne Bundestrainer Jürgen Klinsmann, dessen Hintermannschaft der internationalen Konkurrenz zuletzt ähnlich weit hinterherlief wie der FCN der nationalen an den ersten zwölf Spieltagen. Wenn sich nach einer mäßigen Partie der Nationalelf die ernsten Gesichter um den blonden Schwaben scharen, gibt er den unerschütterlich grinsenden Optimisten und findet überall positive Ansätze. Bei Me­yer ist es oft genau umgekehrt. Knapp und mürrisch, allerdings stets auf den Punkt, kommen seine Ausführungen in vergleichbaren Situationen daher. Dabei ist er dann der einzige im Raum, auf dessen Gesicht kein Lächeln zu sehen ist.

Sein Erfolgsgeheimnis ist aber eben nicht sein Humor, sondern sein hoher Credibility-Wert. Ein Begriff, den im deutschsprachigen Raum ausschließlich Menschen benutzen, die ein Leben lang erfolglos danach suchen. Schon sein Name könnte bodenständiger und glaubwürdiger kaum sein. Me­yer ist intelligent, bescheiden und findet offensichtlich regelmäßig die richtigen Worte, nicht nur im Umgang mit der Presse, auch in der täglichen Arbeit mit dem kickenden Personal. Sofern dieses denn bemüht ist, den hohen Ansprüchen des 63jäh­ri­gen Coaches zu genügen. »Er hat uns jetzt schon mit seiner Aura gezeigt, dass er uns da unten rausführen wird«, bekannte sich Nürnbergs Kapitän Cantaluppi gleich nach den ersten Trainingseinheiten als Meyer-Fan. Aber welcher Angestellte würde in der Öffentlichkeit anders über seinen neuen Vorgesetzten sprechen?

Er kenne wenige Trainer, die »aus Scheiße Butter machen« können, wies Hans Meyer kürzlich noch einmal eloquent darauf hin, dass die Möglichkeiten eines Trainers, die Leistung einer Mannschaft zu beeinflussen, gemeinhin überschätzt würden. Nichts könne er den Nürnbergern garantieren – trotz seiner Aura. »Meine Frau sagt, ich sei ein krampfhafter Realist.« Dieser Wesenszug unterscheidet Hans Meyer auch gravierend von den beiden anderen Namen, die in Nürnberg für die Nachfolge Wolfgang Wolfs gehandelt wurden. Peter Neururer, inzwischen in Hannover untergekommen, ist ebenfalls ein anerkannter Fachmann; im Erfolgsfall sieht sich Neururer jedoch keineswegs ungern im Mittelpunkt. Lothar Matthäus benötigt dafür bekanntlich nicht einmal Erfolg.

Zu Meyers Lieblingsthemen zählt auch die absurd hohe Bedeutung, die der Fußball mitt­lerweile in der Gesellschaft eingenommen hat, ebenso lässt er keine Gelegenheit aus, die wahnwitzigen Gehälter zu hinterfragen, die in diesem Geschäft gezahlt werden. Dabei käme niemand auf die Idee, ihn auch nur in die Nähe der Scheinheiligkeit zu rücken. Zu offen spricht er aus, was andere hoch dotierte Mitglieder der Gilde gerne verschweigen. »Wir haben doch alle viel mehr, als wir verbraten können.« Auch deshalb ist er einer der wenigen, dem man das Geld wirklich gönnt. »Bis 1990 habe ich nicht für Geld, sondern für den Sozialismus gearbeitet.«

Seine Trainerlaufbahn begann 1971 in Jena, 1981 erreichte er mit dem FC Carl Zeiss nach sensationellen Erfolgen über den AS Rom, den FC Valencia und Benfica Lissabon das Finale des Europacups der Pokalsieger, das seine Mannschaft allerdings mit 1:2 gegen Dynamo Tiflis verlor. Über Erfurt (1984 bis 1987), Chemnitz (1988 bis Juni 1993), erneut Jena (Oktober 1993 bis August 1994) sowie den niederländischen Erstligisten Twente Enschede (Januar 1996 bis September 1999) kam Hans Meyer schließlich zur Gladbacher Borussia, damals Tabellenschlusslicht der 2. Bundesliga. Zwei Jahre später führte er den Traditionsverein zurück ins Fußballoberhaus und war endlich dort angekommen, wo Ulf Kirsten, Andreas Thom und Matthias Sammer nach der Wende mit offenen Armen empfangen worden waren. Für den Trainer Meyer hatte sich im Westen zunächst niemand interessiert.

Das hat sich mittlerweile grundlegend ge­ändert. Plötzlich ertappt man sich dabei, wie man sich auch für die samstäglichen Spielberichte des 1. FC Nürnberg begeistert, während diese vor wenigen Wochen noch genutzt wurden, um dringende Telefonate auch während der Sportschau erledigen zu können. Der FCN wurde durch die Verpflichtung Meyers zumindest deutlich aufgewertet – der Trainer als wohltuendes Gegengewicht zum extravaganten Teppichkönig Michael A. Roth. Vielleicht wird Hans Meyer am Saisonende wieder von Rosenzucht und seinen Enkeln sprechen, bis dahin darf man ihn aber guten Gewissens als eine der Attraktionen im bizarren Zirkus Bundesliga bezeichnen. Gerade weil der Mann so normal ist. Das spricht übrigens nicht unbedingt für die Branche.