Besetzen erlaubt

Göttingens Universitätspräsident plant eine Eliteuniversität. Im Fachbereich Politologie sieht er eine »Schwachstelle«, die »auszumerzen« sei. von jan langehein

Alle Jahre wieder, so scheint es, bringt die Vorweihnachtszeit dem beschaulichen Göttingen nicht nur Glühweinstände und Lichterketten, sondern auch eine neue studentische Protestwelle. Im Jahr 2003 waren es die Kürzungspläne der damals neuen Landesregierung Christian Wulffs (CDU), die die Studenten auf die Straße brachten, im vorigen Jahr war es die geplante Einführung allgemeiner Studiengebühren.

Dass auch in diesem Winter wieder Tausende demonstrieren, hat weniger damit zu tun, dass der niedersächsische Landtag vor wenigen Tagen als erster die Einführung allgemeiner Studiengebühren zum kommenden Wintersemester abgesegnet hat. Es geht vielmehr um hochschulinterne Umstrukturierungspläne, nach denen alle Fakultäten 8,5 Prozent ihrer Ausgaben einsparen sollen. Die Gelder sollen zur Bildung bestimmter Schwerpunkte, so genannter Cluster, genutzt werden, mit denen Universitätspräsident Kurt von Figura seine Hochschule für eine Förderung im Rahmen der so genannten Exzellenzinitiative bereit machen will. Bei den Sozialwissenschaften soll noch mehr gekürzt werden als im Durchschnitt, ein Vorhaben, das letztlich auf die Abwicklung der Fachbereiche Pädagogik, Sport- und Politikwissenschaften hinausläuft.

Vor allem auf die Politologie, die er als Wissenschaftler nicht ernst zu nehmen scheint, hat es der Biochemiker von Figura abgesehen. Obwohl das Fach in Göttingen mit den Parteienforschern Peter Lösche und Franz Walter echte Prominenz vorweisen kann und der Islamwissenschaftler Bassam Tibi seit Jahren Bestseller über den Nahen und Mittleren Osten publiziert, wirft der Präsident dem Fachbereich vor, er leiste zu wenig. Es handele sich bei ihm um eine »Schwachstelle«, die »ausgemerzt« gehöre, Proteste dagegen seien die »Phantomschmerzen einer Amputation«. Im Rahmen der Gespräche über die zu bildenden Cluster sei mit der Landesregierung abgesprochen worden, die Politikwissenschaften in Hannover zu konzentrieren und in Göttingen aufzugeben.

Die Wortwahl und die biologistische Metaphorik von Figuras haben an der Göttinger Universität einen wahren Sturm der Entrüstung ausgelöst. An der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, der die Politikwissenschaft angegliedert ist, bildete sich eine Protestbewegung von Studierenden und Dozenten. Bassam Tibi erklärte: »Ich hatte gedacht, das Ausmerzen sei endgültig vorbei in Deutschland.« Eine studentische Vollversammlung mit rund 1 000 Teilnehmern forderte den Senat und den Stiftungsrat der Universität Ende November auf, ­»ihrer Verantwortung als Kontrollorgan des Universitätspräsidiums gerecht zu werden und den Universitätspräsidenten Prof. Kurt von Figura mit sofortiger Wirkung von seinen Ämtern zu entheben«.

Auch die Stadt hat sich aus Sorge um den Wirtschaftsstandort auf die Seite der Studierenden gestellt. Von Figuras Ankündigung, seine Sparpläne liefen auf die Streichung mehrerer hundert Studienplätze in Göttingen hinaus, hat Verwaltung und Politik in Alarmbereitschaft versetzt. Die Entscheidung ziehe den Verlust einer entsprechenden Zahl von Arbeitsplätzen nach sich, heißt es, und das bedeute für das strapazierte Stadtsäckel wie für den Einzelhandel ein Desaster.

Der studentische Protest ist, wie in den Jahren zuvor, alles andere als homogen. Getragen wird er einerseits von linken Gruppen wie dem Bündnis gegen Bildungsklau und dem Basisdemokratischen Bündnis, andererseits von einem liberal-konservativ ausgerichteten Asta. Der Asta argumentiert ganz im Sinne der Standortlogik und befürchtet, der Ruf der Universität könne Schaden nehmen. So sei etwa »die Exzellenz des Göttinger Hochschulsports« gefährdet, für den die Stadt bekannt sei. Bisweilen trägt die Argumentation dieses Teils der Protestierenden fast schon absurde Züge. So erklärte Sportreferent Marc Franz auf einer Demonstration seine Ablehnung von Kürzungen an seinem Fachbereich mit dem Satz: »Das deutsche Volk ist ohnehin schon zunehmend adipös«, also fettsüchtig.

Der linke Flügel versucht dagegen, den Massenprotesten einen gesellschaftskritischen Stempel aufzudrücken. Das Konzept der Clusterbildung wird als Absage an universitäre Bildungsideale und als Hinwendung zu Forschung und Lehre nach den Kriterien der Verwertbarkeit interpretiert. Gerade Fächer, die noch die Möglichkeit einer kritischen Gesellschaftsanalyse beinhalteten, sollten jetzt geschlossen oder geschwächt werden, andere würden nach den Maßgaben der Elitebildung umstrukturiert.

»Es geht um die Frage, ob es bildungs-, wissenschafts- und demokratietheoretisch sinnvoll sein kann, mehr ›Elite‹ und weniger ›Masse‹ zu fordern. Und nicht zuletzt geht es ganz banal um die Fächervielfalt nicht nur an der Uni Göttingen: Jedes Mal, wenn ein Unipräsident über Orchideenfächer spricht, sind diverse Studiengänge und Forschungsbereiche in Gefahr«, schreibt das Basisdemokratische Bündnis. Neben dem Rücktritt von Figuras und einer Rücknahme der Kürzungspläne fordert es eine (Re-)De­mo­kratisierung der Hochschulen. Seit der Umwandlung der Göttinger Universität in eine Stiftung könne der Präsident faktisch schalten und walten wie ein »kleiner Diktator«, demokratische Interessenvertretung finde nicht mehr statt.

Was den Zuspruch zu den Protesten angeht, können die Organisatoren mittlerweile einige Erfolge vorweisen. Wöchentlich finden Demonstrationen statt, oft mit mehreren tausend Teilnehmern. Das Präsidiumsgebäude war mehrere Tage lang besetzt, und an einer »48-Stunden-Uni« gegen die Kürzungspläne beteiligten sich ebenfalls etwa 1 000 Menschen.

Allein, etwas bewirkt haben die Interventionen bislang nicht. Obwohl die aktuellen Kürzungen nicht im fernen Hannover, sondern direkt in Göttingen beschlossen wurden, also auch dort revidiert werden könnten, droht der studentische Widerstand mangels realer Macht wieder ins Leere zu laufen. Zumindest der linke Flügel der Protestierenden ist sich dessen bewusst, dass von Figura zwar allein handelt, sich aber mit seiner Entscheidung in einem allgemeinen hochschulpolitischen Trend wieder findet. So dokumentieren die studentischen Demonstrationen und Aktionen immer wieder vor allem die Hilflosigkeit der Protestbewegung.

Die Besetzer des Präsidiumsgebäudes etwa traten vermummt an die Fenster und hissten die rote Fahne. Gleichzeitig aber war allen Beteiligten klar, dass die Besetzung überhaupt nur durch eine Absprache mit der Universitätsleitung möglich geworden war: Solange sich die Aktivisten im Foyer aufhielten und keine Arbeitsabläufe störten, durften sie bleiben. Der Versuch, mit der Besetzung politischen Druck aufzubauen, scheiterte. Als von Figura genug hatte von den Campern vor seinem Büro, ließ er vor dem Gebäude einige Einheiten der Bereitschaftspolizei anrücken und drohte die gewaltsame Räumung an. Die Studierenden zogen ab.

Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre kann sich Kurt von Figura ohnehin darauf einstellen, dass der Widerstand nach der Weihnachts­pause vorbei ist und folgenlos bleibt. Es wäre eine schöne Überraschung, sollte es diesmal anders laufen.