Der Fußball-Junkie aus Rivenich

Ob in Frankfurt oder Leverkusen – in seiner ersten Saison war Klaus Toppmöller meistens ein Top-Trainer. Für eine zweite reichte es in der Regel nie. von christian helms

Im Spätsommer des Jahres 2002 durfte sich Klaus Toppmöller schließlich doch noch über einen Titel freuen: Mit großem Vorsprung wählten ihn die deutschen Sportjournalisten zum »Trainer des Jahres«. Matthias Sammer hatte immerhin den damals noch liquiden BVB zur Meisterschaft sowie ins Endspiel des Uefa-Pokals geführt, Rudi Völler die deutsche Nationalelf gar zur kaum für möglich gehaltenen Vizeweltmeisterschaft. Dennoch stuften sie das Kunststück, das Toppmöller in diesem Jahr vollbracht hatte, höher ein. Ihm war gelungen, was lange undenkbar war: Er weckte Begeisterung für Bayer Leverkusen, die »Werkself«.

Millionen fieberten im Frühjahr mit, als nacheinander der FC Liverpool und Manchester United in packenden Europapokalduellen bezwungen wurden. Ganz Europa schwärmte vom schnellen und leidenschaftlichen Offensivfußball, den Toppmöller im Rheinland spielen ließ. Republikweit trugen kleine Kinder zu jener Zeit mit Stolz das rot-schwarze Trikot, auf dessen Brust sich zwei rote Löwen verloren ans Bayer-Kreuz schmiegen. Und durch Rivenich, die 750-Seelen-Gemeinde an der Mosel, wo der Startrainer mit der zeitlosen Frisur residiert, wälzte sich ein konstanter Strom von Journalisten. »Toppis Sportsbar«, das berühmte Wahrzeichen des Dorfes, wurde in derart vielen Beiträgen erwähnt, dass heute jeder Fußballfan das Gefühl hat, er sei schon einmal dort gewesen.

In Rivenich geht es mittlerweile wieder beschaulicher zu. Nicht weil Leverkusen damals keinen der drei möglichen Titel feiern durfte, sondern weil es seit dem Champions-League-Finale im Glasgower Hampden Park (1:2 gegen Real Madrid) für den berühmtesten Sohn der Stadt stetig bergab ging. Mit Zé Roberto und Michael Ballack entnahm die Münchener Konkurrenz wichtige Rädchen des Leverkusener Uhrwerks, das fortan deutlich schlechter lief. Für 15 Millionen Euro kamen »Pflegefall« Jan Simak – wie sich später herausstellen sollte, lag Toppmöller mit seiner Einschätzung des technisch begabten Tschechen gar nicht so falsch – sowie der Brasilianer Franca, dessen Haarpracht zwar an den jungen »Toppi« erinnerte, der zunächst ansonsten jedoch leider den Eindruck erweckte, als einziger Südamerikaner mit zwei Standbeinen bestraft worden zu sein.

»Gnadenlos aussortieren« wollte Toppmöller im Winter. Als Bayer jedoch in akute Abstiegsgefahr geriet, war der im Sommer noch schwer begeisterte Kumpel Reiner Calmund (»Toppi ist ein Glücksfall für uns«) gezwungen zu handeln. Im Februar war der Trainer des Jahres arbeitslos. Monatelang hörte er sich die Angebote europäischer Clubs an; Moskau, Istanbul, London, sogar nach Barcelona reiste Toppmöller, um schließlich beim Hamburger SV zu unterschreiben. »Nur beim HSV hat es ›klick‹ gemacht. Da war ich sofort mit dem Herzen dabei.« Doch im Norden eckte der laute Rivenicher trotz seiner warmen Antrittsworte bei Fans, Präsidium und Medien immer wieder an. Der körperliche Zustand der Mannschaft sei katastrophal, rechnete Toppmöller zunächst mit seinem Vorgänger Kurt Jara ab. Anklagen und Beschwerden, die ihn von Beginn an isolierten. Die Rolle des Kumpeltypen nahm ihm niemand mehr ab.

Ein klares Konzept ließ der Motivator zudem nicht erkennen. Zwar sicherte er dem Verein in seiner ersten Saison den Klassenerhalt, doch nach einem kompletten Fehlstart in der folgenden Spielzeit war auch an der Elbe schnell wieder Schluss für Klaus Toppmöller, der sich zu allem Überfluss von seinem Nachfolger Thomas Doll zeigen lassen musste, zu welch erfolgreichem Fußball sein Personal fähig gewesen wäre.

Das Engagement in Hamburg würde Klaus Toppmöller am liebsten aus seiner Vita streichen. Seine Tage verbringt er seit einem Jahr wieder öfter in Rivenich – Abendbrot mit Ehefrau Rosi in der großen Villa mit Wildgehege, dann und wann mal vorbeischauen in »Toppis Sportsbar«, so stellen wir uns momentan seine Welt vor. »Ich brauche keine Bundesliga, um zu leben«, hat Toppmöller einmal gesagt. »Ein frisch gezapftes Pils, Knobeln, dabei Fußball schauen – das ist für mich Glück«, so der Coach.

Dass die Karriere des Klaus Toppmöller (»In meinen Adern fließen keine Blutkörperchen, sondern kleine Fußbälle«), inzwischen 54 Jahre alt, so besinnlich enden wird, ist allerdings schwer vorstellbar. Was bliebe in der öffentlichen Wahrnehmung? Unzählige spöttische Bemerkungen zu seinen Krawatten – unvergessen ist dabei der schmucke Binder mit den vielen Klaviertasten, den er in seiner Leverkusener Zeit stets lässig um den Hals trug – und seiner Fähigkeit, auch heute noch immer wieder Sakkos auszugraben, die in den frühen neunziger Jahren vielleicht einmal modern waren. Ein Brückenschlag zu seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt, seiner ersten Bundesliga-Station, als der Newcomer mit seinem Team einen furiosen Start hinlegte, schließlich aber noch vor Saisonende gehen musste. »Bye, bye, Bayern«, wird vielleicht irgendwann auf dem Grabstein des studierten Maschinenbau-Ingenieurs stehen, daneben könnte eine leere Schachtel Zigaretten liegen.

Die Erinnerung an den talentierten Spieler Topp­möller darf nicht fehlen in einem solchen Rückblick, die beeindruckende Quote von 108 Treffern in 204 Bundesligaspielen für den 1. FC Kaiserslautern spricht für sich, sogar drei Länderspiele absolvierte er. Aus dieser Zeit stammt auch die rührige Anekdote vom »Profi« Toppmöller, der im Alkoholrausch seinen Ferrari gegen einen Baum setzt und sich anschließend stundenlang vor der Polizei im Pfälzer Wald versteckt, um auszunüchtern. Authentisch nennt man das.

Doch auch der Schatten des schlechten Verlierers bleibt leider hängen, zu intensiv suchte Toppmöller zuletzt die Schuld für seine jüngsten Misserfolge bei anderen. »Schiedsrichter Hoyzer hat mich um meinen Job betrogen«, polterte er, als sei das berühmte Pokalspiel von Paderborn der einzige Grund für sein Scheitern. »In Hamburg wurde ich nie geliebt« oder »Man hat mir nicht genug Zeit gegeben« – Rufe, die nur dreieinhalb Jahre nach der Wahnsinnssaison in Leverkusen viel von seinem Renommee gekostet haben. Zumindest hierzulande.

»Ich bin vorsichtiger geworden nach dem HSV.« Klaus Toppmöller ahnt: Bei seinem nächsten Arbeitgeber darf er sich keinen Fehlgriff mehr leisten, will er eines Tages doch noch einmal einen Pokal oder eine Schale in die Höhe halten und ein Bild davon in »Toppis Sportsbar« hängen. Der israelische Fußballverband suche einen Trainer, heißt es. Auch bei seinem alten Verein, dem FCK, war er kurzzeitig im Gespräch, doch ist der Posten auf dem Betzenberg momentan wirklich keiner, mit dem man etwas gewinnen kann. Zuletzt wurde gemunkelt, SAP-Milliardär Dietmar Hopp habe Klaus Toppmöller eingeladen, um ihm in aller Ruhe seine Vision von einem Bundesligisten im Rhein-Neckar-Raum zu beschreiben. »Ich gebe keine Wasserstandsmeldungen mehr ab«, entgegnet der oft so redselige Toppi heute auf Nachfragen. Es klingt also ernst.

Wo auch immer, ein Wiedersehen mit dem Fußball-Junkie Klaus Toppmöller wird es ganz sicher geben. »Ich habe studiert, ein Examen gemacht, aber, egal ob Bundesliga oder Alte Herren – Fußball ist das, was ich wirklich kann und wirklich will.«