Der Himmel wird lauter

Die Betreiberfirma des Frankfurter Flughafens will eine fünfte Landebahn bauen. Dagegen formiert sich ein bürgerlicher Widerstand. von martin kröger

An die Versprechen von damals erinnert sich niemand mehr. Nach den Massenprotesten gegen die Startbahn West hatten die hessischen Verwaltungsstellen im Jahr 1984 fest zugesichert, dass es keinen weiteren Ausbau des größten deutschen Flughafens, des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt am Main, geben werde.

»Heute befinden wir uns bereits im zweiten Verwaltungsschritt, der Anhörung zum Planfeststellungsverfahren«, erläutert Jochen Kahl, stellvertretender Pressesprecher des Kreises Groß-Gerau, der schon vor 20 Jahren gegen den Ausbau der Startbahn West vor Gericht zog. Auch gegen die neuesten Ausbaupläne, die Errichtung einer Landebahn Nordwest im nahe gelegenen Bannwald, hat sich in der Region Protest formiert. »Wir haben uns mit 30 Städten und Gemeinden in der Initiative Rhein-Main zusammengeschlossen, um Widerstand gegen die Ausbaupläne zu leisten«, berichtet Kahl.

Gemeinsam erstellen die Kommunen Gutachten und sammeln Geld, um die Prozesse finanzieren zu können. Dringend gebraucht werden auch »gute Argumente«, wie Kahl sagt, für das bis März stattfindende Anhörungsverfahren gegen die Pläne der Fraport AG. Danach wird das Darmstädter Regierungspräsidium unter dem Regierungspräsidenten Gerold Dieke, eingesetzt als neutraler Moderator, darüber entscheiden, ob gebaut wird oder nicht. »Wir zweifeln allerdings nicht daran, dass die hessische Landesregierung und die Fraport mit allen Mitteln versuchen werden, den Ausbau durchzusetzen«, sagt Jochen Kahl.

Mit dem schon heute achtgrößten Flughafen der Welt hat die börsennotierte Fraport AG Gigantisches vor. Im »Generalausbauplan 2000« hat Fraport drei Schwerpunkte festgehalten: den Bau der Landebahn Nordwest, eines weiteren Terminals und einer Werft für das Großraumflugzeug des Typs Airbus 380. »Trotz dieser beträchtlichen Ausdehnung des Verkehrsvolumens werden wir alles dran setzen, die damit verbundenen Belastungen für Menschen und Umwelt möglichst gering zu halten«, verspricht das Unternehmen auf seiner Homepage. Zusätzlich versucht Fraport, die Kritiker mit dem Ankauf von Ausgleichsflächen, auf denen wieder aufgeforstet wird, und der Zusage für 100 000 neue Jobs, die angeblich in der Region entstehen sollen, den Ausbau zu versüßen.

Doch selbst die Kommunen in der Region, die den Ausbau des Flughafens nicht grundsätzlich ablehnen, sondern einen »Standortvorteil« darin erblicken, sind skeptisch. Schon gar nicht glauben die lokalen Bürgerinitiativen, die sich mit Umweltverbänden im Bündnis der Bürgerinitiativen zusammengetan haben, an die Versprechen des Flughafenbetreibers. »Fraport als börsennotiertes Unternehmen ist doch dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und schon heute dabei, Stellen auf dem Flughafen abzubauen«, sagt Burckhart Reiche, Sprecher der Bürgerinitiative Sachsenhausen. Die Versprechungen bezeichnet er als »Joblüge«.

Doch das ist nicht die einzige Kritik der Gegner des Ausbaus. »Bestimmte Gegenden um den Flughafen werden bereits heute in einer Weise beschallt, dass es nach gängigen Kriterien nicht mehr zulässig ist«, sagt Reiche, der von Beruf Arzt ist. Durch den Ausbau werde sich die Lärmbelästigung ins Unerträgliche steigern. Hinzu komme, dass Gesundheitsgefährdungen, wie der Anstieg des Herzinfarktsrisikos und die Belastung durch die so genannten Feinstäube, noch gar nicht vollständig erforscht seien, sich aber jetzt schon abzeichnen würden. Schließlich würden die Emissionen nicht nur mit dem zusätzlichen Luftverkehr gesteigert, sondern auch mit dem wachsenden Autoverkehr, der zu erwarten sei. Flugzeuge zählen wie Dieselfahrzeuge zu den Hauptproduzenten der gefährlichen Mikroteilchen, die insbesondere für Kinder gefährlich sind. »An den Triebwerksdüsen kann man keine Rußfilter installieren, weil die Flugzeuge dadurch ihre Schubkraft verlieren würden«, erläutert Reiche.

Weiterhin verärgert die Bürgerinitiativen die kurzfristige Politik des Flughafenbetreibers, die weitere Ausbauvorhaben in zehn Jahren wahrscheinlich mache. Es sei erwiesen, dass die Kapazitäten, die der Flughafen mit seiner heutigen Ausstattung bewältigen könnte, noch gar nicht ausgeschöpft seien. »Wir vermissen außerdem eine wirkliche Alternative zum Standort Frankfurt«, sagt Burckhart Reiche. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Zeiten der zentralen Drehkreuze, die von den kleineren Flughäfen mit Passagieren versorgt werden, passé seien. Sinnvoller wäre es dagegen, nicht voll ausgelastete Flughäfen wie Stuttgart auszubauen oder gleich einen neuen Satellitenflughafen zu errichten, etwa in der strukturschwachen Region Nordhessen. All diese Argumente seien im laufenden Erörterungsverfahren professionell von Gutachtern der Bürgerinitiativen vorgetragen worden, wie Reiche meint, während die Gutachten der Betreiberfirma dürftig und unseriös gewesen seien.

Auch die vermeintlich neutrale Einstellung des Regierungspräsidiums in Darmstadt sieht Reiche kritisch. »Der Regierungspräsident ist befangen«, sagt er. Dies werde beispielsweise daran deutlich, dass bedeutende Akten für die Bürger seit einem Jahr nicht einzusehen seien, obwohl sie wichtige Erkenntnisse für die zu erwartenden juristischen Auseinandersetzungen bieten könnten. Für die Zukunft macht man sich bei Initiativen deshalb keine Illusionen und plant wie die Anrainerkommunen, sämtliche juristischen Möglichkeiten bis hin zum Bundesgerichtshof auszuschöpfen.

Gerade die Verlagerung des Schwerpunkts auf die juristischen und argumentativen Möglichkeiten macht den Unterschied zu den Protesten der achtziger Jahre aus. »Wir sind inzwischen ein bürgerlicher Widerstand geworden«, sagt Reiche. »Die Menschen ketten sich nicht mehr an, weil es dafür zu spät ist und es damals auch nichts gebracht hat.«

Das stimmt jedoch nicht ganz. Erst im September besetzten Aktivisten der Umweltschutzorganisation Robin Wood Bäume auf dem für Rodungen vorgesehenen Gelände der neuen Airbus-380-Werft, und knüpften damit an gewisse Formen des Widerstands gegen die Startbahn West an. Und es ist noch nicht mal drei Jahre her, dass antirassistische Aktivisten ihr Grenzcamp in Frankfurt aufschlugen, um auf die Bedeutung, die Rhein-Main als wichtigster deutscher Abschiebeflughafen für Flüchtlinge hat, aufmerksam zu machen.

Dennoch ist vom früheren Widerstand mit großer linksradikaler Beteiligung, der Frankfurt über Wochen in den Ausnahmezustand versetzte und viele Jugendliche politisierte, nicht viel geblieben. Vielen dürfte es wie Alexander Schubart gehen. Der mittlerweile über 70jährige Rentner war damals eine der bekanntesten Figuren des Protests, weil er vor laufenden Fernsehkameras zur »Besichtigung« des Flughafens aufrief. Über 110 000 Menschen stürmten daraufhin das durch eine Betonmauer gesicherte Baugelände der Startbahn West und lieferten sich eine Woche lang bürgerkriegs­ähnliche Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Wie viele der damaligen Akteure hat sich Schubart heute ins Privatleben zurückgezogen. »Das war vor langer Zeit«, sagt Schubart. Für Telefoninterviews hat er keine Zeit, lautstark fordern die Enkelkinder die volle Aufmerksamkeit des Großvaters, der damals für seinen Aufruf verurteilt und aus dem Staatsdienst entlassen wurde.