Diplomatie ist still

Seit über einem Jahr wussten deutsche Behörden, dass die CIA einen deutschen Staatsbürger nach Afghanistan verschleppt hatte. von jörg kronauer

Düster blickt Wolfgang Bosbach in die Zukunft. »Ich hoffe nicht, dass es stimmt«, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU der Mitteldeutschen Zeitung. »Aber ich fürchte, dass es stimmen könnte.« Es geht um den Verdacht, dass deutsche Sicherheitsbehörden in die Verschleppung des deutschen Staatsbürgers Khaled al-Masri involviert sein könnten. Er wurde fünf Monate lang in Mazedonien und Afghanistan gefangen gehalten und gibt an, dort misshandelt worden zu sein.

Bosbachs Offenheit ist erstaunlich. In der ZDF-Sendung »Berlin Mitte« gab er bekannt: »Wir wissen gar nicht, ob es ein singulärer Fall war oder ob es noch vergleichbare Fälle gegeben hat.« Die Verdachtsmomente gegen deutsche Behörden im Fall al-Masri nahmen in der vorigen Woche fast täglich zu. Sie reichen von Hinweisen auf eine indirekte Zuarbeit für die CIA, die die Verschleppung ausgeführt haben dürfte, bis hin zu Indizien für eine aktive Beteiligung an Verhören in einem afghanischen Foltergefängnis.

Dass der »Fall al-Masri« gegenwärtig die öffentliche Debatte bestimmt, hat seine Ursache wohl darin, dass das Opfer freigekommen ist und von seinen Erlebnissen erzählen kann. Seine Berichte könnten mehrere deutsche Sicherheitsbehörden in Bedrängnis bringen. Die Verhöre, denen er ausgesetzt war, drehten sich nach Angaben seines Anwalts Manfred Gnjidic zu »rund 75 Prozent« um die islamistische Szene in al-Masris Herkunftsstadt Neu-Ulm.

Dabei fragten »die Amerikaner bei ihren Verhören in Afghanistan al-Masri auch nach Erkenntnissen (…), die sie von uns bekommen haben«, zitiert die Berliner Zeitung einen deutschen Sicherheitsbeamten. Ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter sagte der Berliner Morgenpost: »Es sieht so aus, als hätten die Befrager in Skopje und Bagram einen Fragenkatalog abgearbeitet, der eigentlich deutschen Fahndern zur Ehre gereicht hätte.«

Deutet dies darauf hin, dass deutsche Innenbehörden, der Verfassungsschutz oder die Polizei, zumindest die inhaltlichen Stichworte für die Entführer geliefert haben könnten, so fällt ein weiterer Verdacht auf den deutschen Auslandsgeheimdienst BND. Al-Masri behauptet, er sei in Afghanistan auch von einen Mann mit dem Tarnnamen »Sam« verhört worden, den er wegen seines norddeutschen Akzents eindeutig für einen Deutschen gehalten habe. Eine Antwort auf die Frage, ob er Mitarbeiter einer deutschen Behörde sei, lehnte dieser ausdrücklich ab.

War »Sam« ein Agent des BND? Zumindest spielt der deutsche Auslandsgeheimdienst in Afghanistan bereits seit Jahrzehnten eine Rolle. Ende der fünfziger Jahre begann Deutschland mit der Ausbildung afghanischer Polizisten, die es heute erneut federführend betreibt; damals »wurden nicht nur Polizeikräfte ausgebildet, sondern auch Nachrichtendienstler«, sagte der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom dem Internetmagazin german foreign policy. Es seien sogar zwei führende Minister der im Frühjahr 2004 amtierenden afghanischen Regierung »mindestens Einflussagenten, wenn nicht Agenten des Bundesnachrichtendienstes« gewesen, behauptet er.

Die Beteiligung eines BND-Agenten an einem Verhör in einem Folterkeller wäre kein Einzelfall. Den deutschen Staatsbürger Haydar Zammar sollen im November 2002 Beamte des BKA, des Verfassungsschutzes und des BND drei Tage lang gemeinsam befragt haben – in einer Gefängniszelle des syrischen Militärgeheimdienstes, der für seine Foltermaßnahmen berüchtigt ist. (Jungle World, 48/05)

Von ähnlichen Verhören im Libanon berichtete der Kriminaloberkommissar vom BKA, Ralph Trede, im September der Süddeutschen Zeitung. Zuvor hatte er bei seinem Vorgesetzten gegen offenkundige Foltermaßnahmen der libanesischen Sicherheitsbehörden protestiert, denen die von seinen Kollegen und ihm Verhörten ausgesetzt gewesen seien. Trede wurde wenig später wegen einer angeblich überhöhten Telefonrechnung vom Dienst suspendiert. Sein Fall lässt erahnen, warum Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, die einen unangenehmen Verdacht äußern wollen, sich nicht namentlich zitieren lassen. Zumal es inzwischen nicht mehr nur um mögliche personelle Konsequenzen innerhalb einer Behörde geht, sondern um bedeutende Bestandteile der vergangenen und der gegenwärtigen Regierungspolitik.

»Die anonyme Behauptung, deutsche Stellen seien an der Verschleppung al-Masris beteiligt, ist empörend und unverantwortlich«, ereiferte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Wochenende in der Bild-Zeitung. Offiziell ist als erster Otto Schily über die Verschleppung al-Masris informiert worden. Er gibt an, am 31. Mai von US-Botschafter Daniel Coats die Nachricht erhalten zu haben. Für Schily ein äußerst günstiges Datum: Zu diesem Zeitpunkt war al-Masri bereits seit zwei Tagen auf freiem Fuß. Träfe ein Bericht der Wa­shington Post zu, dem zufolge der damalige Innenminister noch vor der Freilassung des Verschleppten informiert worden sei, dann wäre es dessen Amtspflicht gewesen, alles zu tun, um den Gefangenen zu unterstützen. »Ich bin nicht der Ermittlungsgehilfe der Staats­an­waltschaft«, sagte Schily, als er mit den Vorwürfen konfrontiert wurde. Innenminister war er damals allerdings.

Nimmt man Schily beim Wort, dann muss zu Zeiten der rot-grünen Regierung Steinmeier den Posten des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsgehilfen innegehabt haben. Er informierte jedenfalls Anfang Juni 2004 die Behörden, als er durch ein Schreiben von al-Masris Anwalt auf dessen Verschleppung aufmerksam gemacht wurde. Auch Joschka Fischer war offenbar seit dieser Zeit im Bilde. Man habe sofort die »relevanten Stellen« informiert, bestätigt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Fragt sich nur: Wer war »relevant« in der damaligen Bundesregierung?

Glaubt man dem SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck, dann kann es sich nicht um Steinmeier gehandelt haben. Dieser war zwar ohnehin schon informiert, sei aber »weisungsgebunden gewesen«, erläuterte Platzeck der Mitteldeutschen Zeitung. Musste sich der Leiter des Kanzleramts im Fall al-Masri eine »Weisung« von oben holen?

Steinmeier war Regierungsbeauftragter für die Nachrichtendienste der Bundesrepublik. Sollten deutsche Dienste mittelbar oder unmittelbar in die Verschleppung al-Masris involviert gewesen sein, dann wäre der neue Außenminister politisch dafür verantwortlich. Unmittelbar verantwortlich wäre der Staatssekretär im Innenministerium, August Hanning – bis vor kurzem war er Leiter des BND.

Sowohl Steinmeier als auch Hanning werden bereits jetzt von der Affäre um Haydar Zammar schwer belastet. So ist es kein Wunder, dass sich maßgebliche Regierungspolitiker heftig gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Wehr setzen. Zumal damit zu rechnen ist, dass Wolfgang Bosbach Recht hat und noch weitere »Fälle« an die Öffentlichkeit dringen. Allein zwei kamen in der vergangenen Woche ans Tageslicht. Spiegel online zufolge soll das BKA an der Festnahme zweier Jemeniten durch die CIA beteiligt gewesen sein, deren Verbleib seitdem ungewiss ist. Der Tagesspiegel berichtet, deutsche Sicherheitsbehörden hätten mehrfach einen Gefangenen in einer nordirakischen Haftanstalt befragt – trotz Berichten über Menschenrechtsverletzungen in irakischen Gefängnissen.